Mats Staub: Erinnerungsdomino

Mats Staub
Mats Staub(c) Festwochen (Inge Prader)
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Was Großeltern erzählen, ist ein Schatz. Mats Staub hebt ihn mit seinem Projekt "Erinnerungsbüro" bei den Wiener Festwochen. Und: Das ist ansteckend.

TIPPS

Daran konnte sich Mats Staub noch gut erinnern: wie seine Großmutter mit zittrigen dünnen Fingern die Umrisse von ­Afrika in die Luft malte. „In den letzten Jahren hat sie nur mehr von ihrer Zeit in Afrika erzählt. Und es hat sich immer wieder gelohnt zuzuhören.“ Aber irgendwann stellte Mats Staub fest: Die Geschichte, wie sich seine Großeltern in Tansania kennengelernt haben, sie eine Professorentochter, er ein Bauernbub, eine Liebe, die in der Heimat nie möglich gewesen wäre – diese Geschichte kannte er in- und auswendig. Auch die Heldenepisode, als sein Großvater einmal einen Leoparden schoss.

Aber wenn er die Lebensgeschichte seiner Großeltern vervollständigen wollte, stieß er doch auf einige Erinnerungslücken: „Ich bin direkt erschrocken darüber, wie viel ich nicht gewusst habe“, sagt er. Gerade diese Leerstellen haben es ihm angetan – und führten schließlich zu seinem Projekt „Erinnerungsbüro“. Dafür fragt er Menschen nach deren Großeltern. Oder genauer gesagt: Er lässt sie vom Leben ihrer Großeltern erzählen. 200 solche Gespräche hat er schon geführt, aufgezeichnet und als „Hörinstallation“ präsentiert. Da gibt es eine Landkarte, auf der verzeichnet wird, wo der Enkel und die vier Großeltern jeweils geboren worden sind.

Und es gibt alte Fotos. Und Erinnerungen auf einem iPod. Begonnen hat Staub sein Langzeitprojekt in der Schweiz – bei den Wiener Festwochen ist er jetzt mit einer österreichischen Edition zu Gast. „Ich habe gewusst, dass ich damit unbedingt nach Wien kommen muss. In der Schweiz habe ich bei den
Erzählungen doch gemerkt, dass das Land im Krieg so eine verschonte Insel war. In Österreich ist das schon sehr spannend. In Wien hört man diese Vermischung von Opfer- und Täterschaft explizit durch. Das Ausblenden der Zeit des Zweiten Weltkriegs ist sehr stark.“ Bei diesen Gesprächen zeigte sich aber: „Ob das den Enkeln jetzt recht ist oder nicht – da ist eine große Empathie, selten kommt es zur Verurteilung, meist ist da der Versuch, sich in die Großeltern hineinzuversetzen.“

Zeitreise im Omasessel. Wer zu Mats Staub ins Erinnerungsbüro kommt, wird auf den alten, gemütlichen Sessel seiner Oma gesetzt. Und dann kann die Zeitreise beginnen. Auch nach der Veranstaltung im Museumsquartier gibt es an manchen Tagen die Gelegenheit, Staub aufs Band zu sprechen. „Es empfiehlt sich, zu zweit hinzugehen. Denn ich kann ja nicht immer da sein. Aber man hat nachher einfach das Bedürfnis, auch zu erzählen.“ Eine Art Erinnerungsdomino. Von den Wiener Teilnehmern ist die jüngste 15 Jahre alt, die älteste schon selbst Großmutter. Ihre Enkelin hat auch mitgemacht und erzählt in ihrem Audioclip von der Entwicklung der Großmutter, mit der sie „mit Plakaten für die Priesterweihe für Frauen am Stephansplatz herumgestanden ist“.

Einige Jahre später hat sich die Oma scheiden lassenund lebt jetzt mit einer Frau zusammen. Die Geschichten entwickeln einen ganz eigenen Sog – auch wenn sie keine schöne Pointe oder wie Staubs eigene einen exotischen Hintergrund haben. „Die lückenhafte Erinnerung macht das auch für den fremden Zuhörer spannend.“ Vor drei Jahren war Staub mit „5000 Liebesbriefe“ bei den Festwochen. „Das war ähnlich. Beim Hören der Briefe über Kopfhörer im Kaffeehaus hat man ja auch sehr viele Lücken mit ­eigenen Vorstellungen gefüllt.“ Und dann gibt es noch etwas, was Staub die „fantastische Erinnerung“ nennt: „Es gibt auch eine ,emotionale Wahrheit‘. Eine Frau hat mir erzählt, sie hat immer gedacht, ihr Großvater sei Bürgermeister gewesen. Und dann hat sie herausgefunden, er war nur Schreiber. Und sie hat gesagt: Aber für mich bleibt er Bürgermeister.“

Zeitgeistopas. Das zeigt auch gut, worum es Mats Staub geht: nicht oberflächlich um Oral History, sondern um „die Frage, was ist Wahrheit, was können wir wissen, wie erzählen wir etwas weiter?“. Das Phänomen „Erinnerung“ fasziniert ihn schon lange: „Jahrzehntelang hat man vielleicht nicht gewusst, dass man das weiß. Im Gespräch taucht das einfach wieder auf. Es ist ein Ausflug in eine Region, in der man sich länger nicht aufgehalten hat.“

Und schließlich ist es nicht nur die Vergangenheit, die Mats Staub in seinem Projekt thematisiert. Seine Gesprächspartner fragt er auch immer, wie sie einmal selbst als Großeltern sein wollen: „Da sagen eigentlich fast alle, dass sie verrückte Omas oder Opas sein wollen. Das muss der Zeitgeist gerade sein . . .“

Wiener Festwochen 8. 5. bis 14. 6., Eröffnung am Rathausplatz mit Randy Crawford, Juliette Greco, Dulce Pontes und anderen.

Erinnerungsbüro ab 25. 5., Kunsthalle, Ursula Blickle Lounge.

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