Landleben der Künstler, Kolonie und Kommune

„Malen, speisen, schwimmen“: Klimt mit Emilie Flöge.
„Malen, speisen, schwimmen“: Klimt mit Emilie Flöge. (c) Anonym/Imagno/Picturedesk.com
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Klimt am Attersee, Schiele in Krumau, Picasso, Cézanne in Südfrankreich, Künstlerkolonien in Worpswede oder Murnau. Die Stadtflucht hatte viele Gründe: soziale, arbeitsmäßige, erotische, gesundheitliche.

Es schüttet an diesem Sonntag am Attersee. Das Klimt-Zentrum gegenüber Schloss Kammer ist recht voll. 16 Sommer verbrachte der Künstler am Attersee. Vom Dekorations- zum Landschaftsmaler wurde Klimt aber nicht durch die Natur, sondern durch die Malerei: Bei der ersten Ausstellung der Wiener Secession 1898 sah der 36-Jährige Landschaften des belgischen Symbolisten und Mädchen-Malers Fernand Khnopff. Dessen verhangene Bäume faszinierten Klimt ebenso wie Monets Seerosen. Schimmernde Wasserflächen, feenhafte Apfelbäume, Sonnenblumen und Bauernhäuser malte Klimt am Attersee. Die Führung auf seinen Pfaden wartet mit allerhand pikanten Details aus seinem Privatleben auf: Über seine 14 illegitimen Kinder, seine Liebschaften mit Modellen wird erzählt und von seinem Lebensmenschen, der Modesalon-Besitzerin Emilie Flöge.


Zwiespalt. „Klimt war ein Mann des 19. Jahrhunderts, aber auch eine Hetäre“, sagt Alfred Weidinger, Klimt-Spezialist, Vizedirektor des Belvedere, das ab Oktober die Ausstellung „Klimt/Schiele/Kokoschka und die Frauen“ zeigt. Daheim war Klimt bei seiner Mutter und in der Großfamilie, daneben gab es Amouren, Modelle, Kinder, aber die Arbeit ging immer vor. Am Attersee zeigt er sich im weißen Bürger-Anzug und im Kittel mit Emilie im Boot. Aber er war auch ein Voyeur, wenn er masturbierende Mädchen zeichnete. Der Zwiespalt zwischen einem Bürger- und einem freien Künstlerleben traf auch Egon Schiele. Mit Wally Neuzil, seinem Modell und seiner Geliebten, ging er 1911 nach Krumau, eine äußerst fruchtbare Arbeitsphase begann. Doch die Bewohner der Kleinstadt feindeten ihn wegen seiner wilden Ehe an, außerdem ging ihm das Geld aus. Nach wenigen Monaten verließ er Krumau. 1915 heiratete er Edith Harms.

Die Sommerfrische ist eine Erscheinung des 19. Jahrhunderts. Altmeister zogen allenfalls auf die Schlösser ihrer adeligen Auftraggeber. Dass Rubens 1635 einen Landsitz erwarb, hatte eher mit dem Wunsch nach bürgerlicher Repräsentation zu tun als mit Urlaubsträumen. Bellotto malte in Schloss Schönbrunn, weil Kaiserin Maria Theresia dort den Sommer verbrachte. Die venezianische Aristokratie ließ sich Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts im Hinterland ihre Sommervillen errichten, etliche von Palladio. Künstler wie Veronese oder Tiepolo schufen dort Freskenzyklen. Mit der Industrialisierung und dem Aufstieg des Bürgertums im 19. Jahrhundert entstand eine neue Schicht mit viel Geld und Ehrgeiz, es den Aristokraten gleichzutun.

Sommers flohen Bürger wie Künstler aus den unwirtlichen Städten. Wien etwa war eine ewige Baustelle, schlechte Luft, verunreinigtes Wasser und Lärm gefährdeten die Gesundheit. Man sehnte sich nach einem besseren Leben. Künstlerkolonien entstanden, nicht nur mit dem Anspruch, dem als öde empfundenen Akademismus zu entfliehen, in der Natur, nach der Natur zu malen, sondern sie waren auch verbunden mit sozialen Reform-Modellen. Man tauschte sich über die Arbeit aus, diskutierte, speiste, vergnügte sich mit- und untereinander. Französische Landschaftsmaler bildeten Mitte des 19. Jahrhunderts die Schule von Barbizon. Eine der bekanntesten deutschen Künstlerkolonien, die auch aus dem Wunsch nach einfacher bäuerlicher Lebensweise entstand, war Worpswede, gegründet 1889, Heimat von Jugendstil-Künstlern, Expressionisten und Impressionisten. Die bekanntesten sind das Paar Paula Modersohn-Becker und Otto Modersohn.


Monte Verità. Als Zentrum des politischen Widerstandes gegen die wachsende kriegerische Stimmung in Europa positionierte sich 1900 im Schweizer Tessin der Monte Verità. Hermann Hesse, Max Weber, Gerhart Hauptmann, Ernst Bloch oder der Maler Alexej Jawlensky lebten hier. In Murnau/Oberbayern versammelten sich vor Beginn des I. Weltkrieges die expressionistischen Künstler des „Blauen Reiter“, darunter Kandinsky und Franz Marc. Von 1924 bis 1933 lebte auch Horváth hier. Ein Ballungszentrum künstlerischer Energie war Südfrankreich. Picasso bewunderte Cézanne, der das Schloss Vauvenargues gemalt hatte. Picasso kaufte das Schloss, sein Grab befindet sich im Park, ein klarer Fall von künstlerischer Einverleibung. Den Grimaldis gehörte ein weiteres Picasso-Schloss in Antibes, wo sich heute eines der vielen Picasso-Museen befindet. „Mein Mann Picasso“ (1996), mit Anthony Hopkins in der Hauptrolle des exzentrischen Künstlers, zeigt dessen turbulentes Leben.

Zurück nach Österreich: Auf den Spuren von Andy Warhols Factory und Sexualforscher Wilhelm Reich (1897–1957) gründete Otto Mühl 1970 eine Kommune, die der Kunst und der freien Liebe dienen sollte. 1974 bezog die Gemeinschaft den burgenländischen Friedrichshof, ein soziokulturelles Zentrum, das im Gefolge der 1968er-Revolution, die eine gesamtgesellschaftliche Reform mit Zielrichtung auf mehr Freiheit in allen Lebensbereichen anstrebte, und teilweise auch durchsetzte, einige Anziehungskraft entfaltete. 1991 wurde Mühl wegen sexuellen Missbrauchs und Vergewaltigung von Kindern und Jugendlichen zu sieben Jahren Haft verurteilt. Danach lebte er in seiner neuen Kommune in Portugal, wo er 2013 starb. Wer mit ihm sprach, stellte fest, dass er wenig Einsicht oder Reue zeigte.


Gute Geschäfte. Seinen 50. Geburtstag beging 2014 das burgenländische Neumarkt an der Raab. Früher ging es dort heftig zu, es wurde kreiert, gefeiert, gestritten. Peter Handke arbeitete hier an seinem Buch „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“, Peter Turrini und Wilhelm Pevny schrieben die „Alpensaga“. Zu Gast waren auch H.C. Artmann, Gerhard Roth, Friederike Mayröcker, Otto Breicha, Martin Kippenberger, Walter Pichler. Ein Buch darüber erschien im Residenzverlag. Domizile wichtiger Künstler werden gern in Museen umgewandelt und dienen dem Fremdenverkehr. Im Klimt-Zentrum am Attersee kann man Klimt-Pralinen und ein Modell seines Malerkittels kaufen. Nicht einmal die Toilette kommt ohne ihn aus: „Gustav und Emilie“ steht auf der Tür.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2015)

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