Schwammerln im Glashaus

Zeitgenössische Werke haben Hochkonjunktur. Nützt das nur dem Markt oder auch der Kunst? Drei Sommerausstellungen geben Antworten.

Lang galt Kunst als elitär, und das wenige Publikum interessierte sich hauptsächlich für Museales. Aktuelles wurde kaum verstanden und daher abgelehnt, man schätzte nur, was längst etabliert war. In der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts vergrößerte sich der Graben endgültig, denn die Jungen brachen programmatisch mit den Traditionen und Techniken ihrer Väter – das Unverständnis der Bürger nahmen sie als Qualitätsmerkmal.

Wie sehr hat sich die Situation mittlerweile geändert! Immer mehr Menschen interessieren sich für Kunst– und zwar vor allem für Zeitgenössische. Noch nie haben derart viele Menschen die Museen besucht, die fast durchwegs auch aktuelle Kunst vermitteln. Immer mehr Kunstmessen werden gegründet, selbst Antiquitätenmessen holen sich Zeitgenössisches ins Haus. Die Kölner Antiquitätenmesse Cologne Fine Art wird heuer mit Galerien aus der Region erweitert, auch auf der Wiener Art& Antique sieht man mehr Malerei als historische Möbel. Immer mehr Städte schmücken sich mit Kunstprojekten, immer mehr Private gründen Museen, und Firmen unterhalten eigene Kunsthallen. Ist die Kunst populärer geworden oder das Publikum offener? Wer profitiert von dieser Veränderung?


Hommage an Lavant. In Klagenfurt leistet sich der Technologiepark Lakeside einen eigenen Kunstraum. Vom Künstler Josef Dabernig als Ausstellungs-, Projekt- und Veranstaltungsraum gestaltet, sind die sehr eingeschränkten Öffnungszeiten auf die Menschen in dem Areal zugeschnitten, denn nach Feierabend kommt niemand mehr her. Inhaltlich nimmt der Kunstraum auf diesen Kontext aber keine Rücksicht: Ein Blick in das Archiv zeigt, dass hier seit Beginn ein radikales Programm stattfindet, mit Themen wie „Grenzen der Arbeit“, „Wirtschaftsparadiese“ und „Zukunft“.

Jetzt eröffnete gerade die Schau „So wilde Freiheit war noch nie. Für Christine Lavant“ – ein „Geschenk an die Schriftstellerin“, wie es Kuratorin Hemma Schmutz nennt. Die Ausstellung ist zwar eine Hommage an die berühmteste Dichterin Kärntens, aber eine kritische: Geboren 1915 im Lavanttal, 1973 in Wolfsberg gestorben, hat sie von sich selbst ein Bild großer Zurückgezogenheit gezeichnet. Schmutz betont mit ihrer Ausstellung, dass Lavant durchaus im Kontakt zu Kollegen ihrer Zeit stand, zu Maria Bussmann, Gerhard Rühm und natürlich Werner Berg, der mit seinem Holzschnitt ein trauriges Lavant-Portrait gezeichnet hat. Einige Jüngere haben eigens Werke für die Ausstellung geschaffen, wie Markus Proscheks „Adaption“: Schwarze Reitstiefel, über einen ist ein dicker Strumpf gezogen – Lavant hat für ihren Lebensunterhalt gestrickt, zugleich ist es eine Anspielung an Lavants Freundin Ingeborg Teuffenbach, die in ihrer Jugend laut Schmutz „euphorische Nazi-Gedichte schrieb“.


Alte Legebatterie. Der Kunstraum Lakeside ist zwar zu drei Vierteln privat finanziert, kann aber frei agieren – freier vielleicht sogar als ein Museum, denn um Besucherzahlen geht es hier nicht. Eine ähnliche Freiheit hat auch Schauplatz Kornberg. 2013 gründeten Michaela Leutzendorff-Pakesch und Elfie Semotan zusammen mit Schlossbesitzer Andreas Bardeau den steirischen Kulturverein Meierhof Kornberg. Der zum Schloss Kornberg gehörende Meierhof war in den 1930er-Jahren verkauft worden, diente mitunter als Hühner-Legebatterie, konnte dann vom Schlossherrn zurückgekauft werden und ist jetzt ein Ort „für Ideen, Initiativen und Projekte zum weitgefassten Thema Landwirtschaft“ (Pressetext).

Heuer wurde zur Sommereröffnung der dänische Künstler Tue Greenfort eingeladen. Er entwarf zusammen mit Mathis Esterhazy ein elegantes Gewächshaus, um das Zusammenleben von Pflanzen und Pilzen zu untersuchen. Mitten auf der eigens angelegten „schmetterlings- und bienenfreundlichen“ Streuobstwiese steht eine Hütte aus Glas, Lehm, einer Wand aus Buchenstämmen und einem kleinen Kellerloch. Greenfort hat hier drei Kleinklimazonen angelegt, auf den Stämmen und in speziellen Bodenmischungen sollen Burgundertrüffel, Shiitake- und Stockschwammerln wachsen. „Wenn das Experiment gelingt, könnten die Pilze beginnen, die Wand im Verlauf mehrerer Jahre aufzufressen,“ erklärt Kuratorin Leutzendorff-Pakesch. Ein „ökologisches, ein philosophisches oder ein utopisches Projekt, aber auch eine Form der Heilung“, nennt sie es.

Das Projekt wird vollständig vom Institut „Kunst im Öffentlichen Raum Steiermark“ finanziert, das auch die ambitionierte, von der Künstlerin Eva Grubinger konzipierte Ausstellung „Politische Landschaft. Kunst, Widerstand, Salzkammergut“ unterstützt. Ein Teil findet im Tal, ein anderer im Hochgebirge, ein dritter im Kunsthaus Graz statt. Am 12. und 18.Juli wird eine Bergwanderung angeboten. Sechs international renommierte Künstler thematisieren in ihren Beiträgen die politische Geschichte dieser Region.


Symbiose. Dass solch eine herausfordernde Ausstellung finanziert wird, zeigt deutlich das gewandelte Interesse des Publikums: Kunst dient keineswegs nur als Dekoration oder Investition, wie es der Kunstmarkt manchmal nahe legen könnte. Kunst ist die Möglichkeit, spezifische Aspekte des Lebens aus ungewohnten Perspektiven wahrzunehmen. Der ehemals tiefe Graben zwischen Publikum und Kunst wird überwunden, indem hier Landschaft nicht zum Motiv malerischer Fragestellungen, sondern konkreter historischer Ereignisse und einer kollektiven Erinnerung wird. Kunst ist in solchen Projekten keine Ware, sie ist ein Weg für Veränderungen.

Das gilt ebenso für die facettenreiche Hommage an die Dichterin Lavant im Kunstraum Lakeside und ganz besonders für Greenforts Hütte in Kornberg. Er präsentiert dort eine Weltsicht, die nicht auf einseitigem Nutzen, sondern auf symbiotischem Leben basiert. Mykorrhiza wird das Phänomen in der Biologie genannt: Ein Pilz lebt in dem Feinwurzelsystem einer Pflanze, liefert der Pflanze Nährsalze und Wasser und erhält dafür wichtige Stoffe. Vielleicht kann Mykorrhiza ja als Metapher dienen, um die Veränderungen zwischen Kunst und Publikum zu beschreiben: Keiner profitiert einseitig von dem zunehmenden Interesse, auf beiden Seiten wird der Lebensraum bereichert. Das Problem allerdings: Nicht immer klappt der Austausch zum beidseitigen Vorteil – Symbiosen sind anfällig für Ausbeuter und Täuscher. Aber das findet auf einem anderen Parkett statt.

Ausstellungen

Kunstraum Lakeside
„So wilde Freiheit war noch nie. Für Christine Lavant“: Technologiepark Lakeside in Klagenfurt, bis 14. 8.

Schauplatz Kornberg
„Tue Greenfort: Amilkorkim“: Meierhof zu Schloss Kornberg, jederzeit offen.

„Politische Landschaft. Kunst, Widerstand, Salzkammergut“
Das Projekt findet in Graz, Altaussee und auf der Alm statt. Workshops und Wanderungen, bis 24. 8.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2015)

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