Mit Liebe gefälscht

The top half of Alberto Giacometti's 'L'homme Au Doigt' (Pointing man) sculpture is pictured at Christie's Auction House in the Manhattan borough of New York
The top half of Alberto Giacometti's 'L'homme Au Doigt' (Pointing man) sculpture is pictured at Christie's Auction House in the Manhattan borough of New YorkREUTERS
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Sie imitieren die Werke großer Meister, ohne Reue zu zeigen. Sind Kunstfälscher Betrüger oder verkannte Genies? Die Schuldfrage ist oft unklar.

Der teuerste Bildhauer des 20. Jahrhunderts fertigte nur rund 500 Skulpturen an. Auf dem Markt werden aber weit mehr Werke von Alberto Giacometti (1901−1966) angeboten – denn der Holländer Robert Driessen fügte dem schmalen Œuvre Fälschungen mit Signatur und passendem Gießereistempel hinzu. Mehr als 1000 Skulpturen soll er gefälscht haben, der Schaden beträgt mindestens 4,75 Millionen Euro. Jetzt stand Driessen vor Gericht und legte ein umfangreiches Geständnis ab.

Aber kann man den Fälscher überhaupt anklagen? Schließlich hat er selbst keine Arbeit auf den Markt gebracht. Dafür war der „Reichsgraf von Waldstein“ zuständig, der sich als Freund von Giacomettis jüngerem Bruder Diego ausgab – und alle glaubten dem ehemaligen Heizer aus der DDR bereitwillig. Sogar die abstruse Geschichte, die Skulpturen würden aus einem geheimen Fundus stammen, ließ kaum jemanden aufhorchen. Wer zweifelte und einen Echtheitsbeweis verlangte, erhielt gefälschte Zertifikate und das Buch „Diegos Rache“. Darin wird die Geschichte des geheimen Horts erzählt – wie einfach doch das Schwindeln auf dem Kunstmarkt ist! Wohl auch, weil bis heute kein Werkverzeichnis Giacomettis existiert, fielen Händler, Auktionshäuser, Käufer und sogar Museen darauf herein.


„Selber schuld.“ Vor sechs Jahren flog der Schwindel dann auf. Einem verdeckten Ermittler des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg wurden fünf falsche Skulpturen für 338.000 Euro angeboten. Bald fand man das Lager in Mainz. Der Mainzer Kunsthändler Schulte, zwei Wiesbadener Händler und der falsche Graf sind bereits zu mehr als sieben Jahren Haft verurteilt. Nur der Künstler fehlte, er war in Thailand untergetaucht und konnte erst bei seiner Rückreise nach Holland erwischt werden. Zum Prozessauftakt gab Driessen die Fälschungen zu, fügte aber hinzu, wer seine Skulpturen kaufe, sei selber schuld: „Die Kunstwelt ist verrottet. Wer glaubt, für 20.000 Euro einen echten Giacometti kaufen zu können, verdient es, hinters Licht geführt zu werden“, sagte er dem „Spiegel“.

Vieles an diesem Fall ist typisch für Kunstfälschungen. So erfand auch der jüngst aus dem Gefängnis entlassene Fälscher Wolfgang Beltracchi eine abenteuerliche Geschichte, um seine Neuschöpfungen von Max Pechstein oder Max Ernst an den Mann zu bringen. Gefälschte Dokumente, vermeintliche Korrespondenzen und falsche Inventare spielen immer wieder eine Rolle. Auch die fehlende Reue aufgrund der „Gier auf dem Kunstmarkt“ und den Schmerz über die mangelnde Anerkennung des eigenen Werks findet man häufig – und zwar seit Jahrhunderten. Der Heidelberger Kunstgeschichtsprofessor Henry Keazor erzählt in seinem Buch „Täuschend echt!“ (Theiss Verlag) von zahlreichen Fällen seit der Frühen Neuzeit: von den vielen Kopien von van Gogh, die unter anderem von seinem Arzt angefertigt wurden, bis zu Elmyr de Horys systematischen Picasso-, Renoir- und Matisse-Zeichnungen und dem Fall Beltracchi.

Doch ab wann sprechen wir von Plagiat, Imitat oder nur Stilaneignung, von Nachahmung, Hommage, Fingerübung? Ändert die Tatsache der Kopie etwas an der Schönheit des Werkes, das Wissen über die Entstehungsumstände etwas an der Einschätzung? Immerhin werden bereits Werke von Fälschern gefälscht, wie im Falle Han van Meegerens, der über Jahre erfolgreich neue Vermeer-Gemälde schuf, diese auch an Hermann Göring verkaufte und daher wegen Kollaboration mit den Nazis angeklagt wurde. In Folge gab er schnell seinen Nebenerwerb zu. Andere Künstler fügten absichtlich klare Hinweise ein, wie der Maler und Restaurator Tom Keating in den 1970erJahren. Er hatte in Bleiweiß Botschaften an seine Kollegen in den Restauratorwerkstätten auf die Leinwand geschrieben, die beim Röntgen sichtbar wurden – „Zeitbomben“ nannte Keating diese Details, mit denen er den korrupten Kunstmarkt entlarven wollte.


Die „Eitelkeitsfalle“. Prinzipiell gilt: Der Tatbestand der Fälschung ist dann gegeben, wenn wie bei Driessen eine falsche Künstlersignatur und eine technische Manipulation hinzugefügt wird – etwa, um Neues alt erscheinen zu lassen. Manche bedienen sich auch der Methode der „Hyperrestaurierung“, wie es Keazor nennt: Der belgische Maler-Restaurator Jef van der Veken rekonstruierte schlecht erhaltene Bilder, die durch den Bankier Emile Renders als alte flämische Meister verkauft wurden – einiges davon findet sich bis heute in der Forschungsliteratur. Überhaupt spielt die akademische Welt eine wichtige Rolle in der Geschichte der Fälschungen, denn ob willentlich oder nicht, oft sind es erst die Spezialisten, die den Betrug zum Erfolg führen. Die „Eitelkeitsfalle“ nennt Keazor dieses Schema, wenn Akademiker bei der Aussicht auf Ruhm jede Vorsicht beiseite lassen. So fiel 1896 der Louvre auf eine angebliche Tiara (goldene Krone) des Königs der Skythen herein, und das New Yorker Metropolitan Museum kaufte zwischen 1915 und 1921 drei „seltene etruskische“ Terrakottafiguren.

Wer aber trägt die Schuld bei Fälschungen – die Künstler? Sind sie Betrüger oder verkannte Genies? Liegt die Verantwortung bei den gierigen Kunden oder den allzu eitlen Wissenschaftlern? Funktionieren Fälschungen gar erst durch unterstützend wirkende sensationsheischende Medien?

Im Fall des Giacometti-Fälschers Driessen ist die Schuldfrage nun geklärt: Er wurde am Mittwoch zu fünf Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Der wichtigste Garant für erfolgreiche Fälschungen liegt aber außerhalb des Kreises etwaiger Schuldiger. Nach wie vor existiert keine Datenbank bereits entlarvter Fälschungen – die so oft wieder im Handel landen. So sollte 2012 in Dubai ein Moise Kisling zugeschriebenes Bild versteigert werden. Die Vorbesitzer: „Collection Jagers“ und „Collection Beltracchi, Palma“. Erst nach heftigen Protesten wurde Beltracchis Fälschung zurückgezogen.

Falsche Giacomettis

Täuschend echt. Trotz Verurteilung verkauft Kunstfälscher Robert Driessen noch immer falsche Giacometti-Skulpturen. Auf seiner Homepage bietet er sie als „Original Giacometti Reproductions“ zu Preisen zwischen 750 und 2000 Euro an. Auch auf Ebay sind solch hageren Figuren „frei nach Giacometti“ erhältlich, sie kosten bis zu 880 Euro. Ein echter Giacometti dagegen kann bis zu 126 Millionen Euro kosten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2015)

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