Kunstgeschichte: Ein Bübchen auf Rubens' „Pelzchen“

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Neues vom berühmtesten barocken Pin-up: Rubens' halb nackte Ehefrau war ursprünglich nicht allein auf dem Bild. Und das KHM widmet ihr einen Schwerpunkt.

Fast auf den Tag genau 70 Jahre ist es her, dass die Alliierten den Tresor der Wiener Postsparkasse öffneten. Und eines der berühmtesten Pin-ups der Kunstgeschichte hier in Sicherheit gebracht fanden: „Das Pelzchen“, eines der Hauptwerke von Peter Paul Rubens. Und eines der Hauptwerke der Sammlung des Kunsthistorischen Museums, wo es seither auch wieder hängt, meist im Saal XIII, gleich neben dem zeitgleichen Selbstporträt Rubens' als maliziösem Malerfürsten (1638/40) in vollem Prunk, mit Handschuh und Degen und fetter Säule daneben. Ein nahezu zeitgenössisches Ehe-Bild-Paar, das einer Boulevardzeitung entsprungen sein könnte. Immerhin ist die halb nackte Dame im Pelz mit den springenden Brüstchen niemand Geringerer als die eigene Gattin, die Rubens hier 1636/38 darstellte, in für damalige Begriffe obszön mythologisch unverbrämter Offenheit. Sugardaddy und seine sexy Hausgöttin im Neureichenpelz. Köstlich.

So gemein sollte man sich aber natürlich nicht machen in der Interpretation dieser barocken Ikone, vor allem legte die mit 16 Jahren vom 55-Jährigen als zweite Gemahlin erwählte Helena Fourment eine selbstbewusste Karriere als Künstlerwitwe hin. Sie heiratete nach dem Tod des Malerstars einen jüngeren Diplomaten, managte den Nachlass und verfügte noch über 30 Jahre nach dem Tod des ersten Gatten, dass sie an seiner Seite zu verrotten gedenke, in seiner Grabkapelle im Scheitel des Chors der St.-Jakobs-Kirche in Amsterdam. Die Dame verstand etwas von Glanz und Glorie. Beides wurde ihr früh zuteil, sie galt als schönste Frau der Stadt, als „Helena von Antwerpen“ wurde sie bei ihrer Hochzeit 1630 gepriesen.

Enthüllt: Ein verfänglicher Brunnen

Als solche stellte sie der Gespons dann auch dar. Diese Darstellung allerdings ist tricky und gibt den Kunsthistorikern und Kunsthistorikerinnen bis heute Rätsel auf. Eines kann jetzt als gelöst gelten. Denn die Kunstwissenschaft hat wieder einmal gezaubert, und zwar mit einem Makro-Röntgenfluoreszenz-Gerät. Eine extrem langsame Methode, man entschied sich daher für ein Fleckerl nur, für die rechte Seite neben Helena, mit eigentlich sehr unspektakulärem, dunklem Hintergrund. Hier sah, wer genau hinblinzelte, schon seit Langem einen wasserspeienden Löwenbrunnenkopf durchschimmern unter der Übermalung. Jetzt weiß man, woher dieses Wasser sich speiste. Rubens hatte dem verfänglichen Porträt ursprünglich einen noch verfänglicheren Brunnen zur Seite gestellt, zweistufig, gekrönt mit einem Puer mingens. Das sind aus der Antike bekannte feiste Bübchen, die ihr Becken vorstrecken, das Hemdchen hochschieben und freihändig, ja, pinkeln. Ein Fruchtbarkeitssymbol. Aber auch schwer erotisches Beiwerk für eine Venus-Susanne-Bathseba-Helena, die noch dazu praktisch nackt im Freien, wohl in einem Garten stehen sollte. Doch Rubens besann sich eines eindeutig Besseren, übermalte den üppigen Brunnen und ließ so alle Blicke auf die Kurven der Superfrau fallen. Nichts lenkt mehr ab.

Diese Erkenntnis war dem KHM eine eigene Ausgabe der Serie „Ansichtssache“ wert, dieser besonders lobenswerten Folge von Hervorhebungen einzelner Werke inmitten der Gemäldegalerie. Mitsamt dem Gatten-Selbstporträt, natürlich, wurde Helene dazu nicht nur in ein intimes Kämmerchen entführt, sondern auch aus der gewohnten Andachtshöhe (über der in den Sälen üblichen Lamperie) gerissen. Fast Aug in Aug steht sie uns jetzt gegenüber, ein unglaubliches Erlebnis für all jene, die dachten, sie würden sie bereits kennen. Auch die Rubens-Spezialistin des Hauses, Gerlinde Gruber, liebt diese tiefere Hängung. Doch sie kann nur temporär sein, denn das Meisterwerk ist dazu verdammt, in einem der großen Säle für große Gruppen zu prangen.

Erst später kam der Unterleib

Dafür war das höchst private Bild natürlich nie gedacht. Wo genau in Rubens' Haus das mit 1,62 Meter wahrscheinlich sogar ein wenig überlebensgroße Porträt hing, weiß man zwar nicht. Aber man weiß, dass es tiefer, vielleicht nicht ganz so tief gehangen sein muss (viel niedrigere Wände). Und dass es sicher nicht für jedermann sichtbar war. Was hätte das bedeutet für den untadeligen Ruf der jungen Ehefrau! Vielleicht hing Helene ja auch bei Rubens zu Hause in direkter Nachbarschaft zu ihrem etwas anrüchigen Vorbild, Tizians „Mädchen im Pelz“, das Rubens bei einem England-Besuch eigenhändig kopiert hatte. Es ist eine Großartigkeit dieser Mini-Schau, dass jetzt das Original aus dem Tizian-Saal neben die Nachfolgerin wandern konnte. Wobei das „Pelzchen“, das erkennt Restauratorin Elke Oberthaler an den später ergänzten Brettern des Bildgrunds, ursprünglich auch nur ein Halbporträt hätte werden sollen. Doch dann, während des Malens, verlängerte Rubens es um Unterleib und Beine. Das berühmteste barocke Pin-up war fertig für seinen Walk of Fame in die Kunstgeschichte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.07.2015)

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