Kunsthalle Krems: Ach, du heilige Schwerkraft!

(c) Kunsthalle Krems/APA-Fotoservice
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Er wolle uns ";zu einer Art Unendlichkeit zusammenschließen", sagt Ernesto Neto. In der Kunsthalle Krems zeigt er seine einschlägigen Skulpturen.

Wer (künstliche) Paradiese betreten will, darf/muss die Schuhe ausziehen. Diese Lebensweisheit bewährt sich derzeit bei der Ausstellung des brasilianischen Bildhauers Ernesto Neto, leider wird sie mehrmals ergänzt durch den wärterlichen Imperativ: Nicht berühren!

Das verwirrt, denn Netos Installationen scheinen sanft zu rufen: Berühre mich! Fühle mich! Von „Skulpturen aus Zellen, die sich wie Fleisch anfühlen, wenn man sie berührt“, schreibt Neto auch in einem Begleittext. Wenn man sich doch traut und sie verstohlen angreift (nein, das ist keine Aufforderung an die Leser!), fühlen sie sich ziemlich unorganisch an, wie Nylon, aus dem sie – wenigstens oberflächlich – auch sind.

Denn ein wesentliches Bauelement Netos ist, etwas respektlos gesagt, das Nylonsackerl, prall gefüllt mit Styropor oder Gewürzen. Der von Neto als „elementarste Kommunikationsbasis alles Seienden“ (Pressetext) sehr geschätzten und gern als „heilig“ bezeichneten Schwerkraft folgend, entstehen tropfenartige Strukturen, die an die Darstellung von Neuronen und Membranen in heutigen Lehrbüchern der Biochemie erinnern. Damit, und auch durch ihre Vernetzung, sehen sie ziemlich organisch aus. Was sehr im Sinne Netos ist, der „die Landschaften der Mikrowelt, die biologischen Landschaften“ als Inspirationen nennt. „Jedes Element ist als Metapher für organische Beziehungen sanft eingebunden“, schreibt er über seine (2005 für das Wiener Freud-Museum gefertigte) Skulptur „Tractatus IDeuses“: In dieser sieht das Männchen, das etwas unsicher auf einem auf Büchern postierten Schaukelstuhl ruht, herzig aus, geradezu witzig.

Das kann man sonst von Ernesto Netos Werken nicht behaupten. Im Gegensatz zur letzten Schau in der Kunsthalle Krems, in der Pipilotti Rist ebenfalls zum Ruhen und Rasten, Schaukeln und Sinnieren lud. Doch ihre Paradiese ließen einen mitunter auch schmunzeln, hatten den Charme einer Frau, die nicht recht weiß, ob sie Hippie oder Punk sein will. Netos Kunst strahlt dagegen bei allem Bekenntnis zur Sinnlichkeit den Bierernst eines Mannes aus, der ganz genau weiß, wie man die Welt zu einem besseren Ort machen könnte. Seine Rezepte sind im Wesentlichen die der New-Age-Bewegung, und wie diese liebt Neto die hohlen Pathosformeln. So schwärmt er von „einer Kunst, der allein es gelingt, uns zu einer Art Unendlichkeit, einer Totalität zusammenzuschließen, in der wir mit dem Universum ein Kontinuum bilden“.

Ein Röcklein für die Willendorf-Venus

In dieser Totalität riecht es ganzheitlich nach Gewürzen; sie enthält weder Schrauben noch Nägel, nicht einmal Klebstoff; in ihr stehen an die Barbapapas erinnernde, allerdings weiße – natürlich bioweiße, also leicht gelbliche – Figuren herum. Deren von den Wandtexten als „vulvenartig“ beschriebene Spalten und Öffnungen sollen in Eintracht mit den „zapfenförmigen Ausstülpungen“ die, erraten, „Einheit der Geschlechter“ suggerieren. Die Venus von Willendorf darf rein weiblich bleiben, ihr hat Neto in väterlicher Achtsamkeit ein Röcklein geschneidert.

Am Ende des Parcours darf man sich einmal mehr die Schuhe ausziehen und einen Raum betreten, den man sogar angreifen darf, einen „sozialen Erfahrungsraum mit sensuellen Empfindungen unter den Besucherinnen, in der Aktion, Kommunikation und Rekreation gestattet sind“. Zu diesem Behufe stehen auch Trommeln und eine Gitarre bereit. Man kann sich nur schwer gegen die Versuchung wehren, diese zu ergreifen und zu ganz und gar unorganischen BarréAkkorden den schönen Slogan der Düsseldorfer Post-Punk-Band S.Y.P.H. anzustimmen: „Zurück zum Beton!“ Nicht ganz im Ernst natürlich, aber nachhaltig.

Hängematten im Augarten

Allen, die sich in der gut besuchten Kremser Ausstellung wohlfühlen, aber auch allen, die sich über den dort angedeuteten Esoterik-Kitsch nicht sicher sind, sei ein zusätzlicher Besuch in der (in der „Presse“ bereits am 29.6. besprochenen) Neto-Ausstellung im Wiener Augarten empfohlen. Dort wird die Esoterik nicht mehr nur angedeutet, sondern sehr dick aufgetragen: Neto schildert seine Sicht des brasilianischen Stammes Huni Kuin, dessen, wie man in einem aufliegenden Buch liest, „Verbundenheit zur Natur in ihrer Ganzheit tief, heilsam, wert- und friedvoll“ ist. Es riecht nach Lavendel. Hängematten warten. Rasseln locken. Von der Decke hängen heilige Geheimnisse. In Nylon.

Kunsthalle Krems: Ernesto Neto, bis 1.11., Di bis So, 10–18 Uhr.

TBA21-Augarten, Wien 2, Scherzergasse 1A: „Sacred Secret“, bis 25.10., Mi u. Do 12–17 h, Fr, Sa u. So 12–9 h.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.08.2015)

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