Intellektuelles Paragliding

Symbolbild Kunstunterricht
Symbolbild Kunstunterricht(c) Michaela Bruckberger
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Die Internationale Sommerakademie für Bildende Kunst bietet Laien und Künstlern die Möglichkeit, für ein paar Wochen ganz in die Kunst einzutauchen.

„Ich interessiere mich nicht nur als Konsument für Kunst, sondern auch als Ausführender.“ Gerhard Trinkl, ein Elektrotechniker, testet im Berufsalltag Elektronik- und Softwaresysteme für die Automobil- und Flugzeugindustrie. Zeichnen, Malen und Schreiben stellen für den 37-Jährigen einen wichtigen Ausgleich dar. Vor zwei Jahren kam in ihm der Wunsch auf, der Kunst auch im Urlaub einen zentralen Stellenwert einzuräumen. Über das Stichwort Graphic Novel – Comicroman – stieß er auf die Internationale Sommerakademie für Bildende Kunst Salzburg.

„Die Geschichte der Institution, vor allem die Gründung durch Oskar Kokoschka als Schule des Sehens und die Festung als Veranstaltungsort haben mich sofort fasziniert“, erzählt er. „Das ist zudem eine gute Gelegenheit, auch die Salzburger Festspiele einmal besser kennenzulernen.“ In diesem Sommer absolviert er bereits den zweiten Kurs. Diesmal geht es um das Zeichnen von Comics und Reportagen, angeleitet vom renommierten Elsässer Comic-Reporter Nicolaus Wild. Wenngleich die Kurstage vollgepackt sind mit Besprechungen und Workshops sowie zusätzlichen Vorträgen in den Mittagspausen, Stadtspaziergängen am frühen Abend, Diskussionen sowie Festspielaufführungen, sieht Trinkl die Zeit absolut als Erholung an: „Die Beschäftigung mit Kunst entspannt den Geist. Das ist eine ganz andere Tätigkeit als das, was ich sonst mache.“

Gerhard Trinkl ist einer von rund 300 Studierenden, die in diesem Jahr an der Sommerakademie aufgenommen wurden. Anders als in der Ära Kokoschka, in der der Kursbetrieb ganz auf die westliche Hemisphäre ausgerichtet war, kommen die Teilnehmer heute aus der ganzen Welt, haben unterschiedliche Bildungshintergründe und gehören verschiedenen Altersgruppen an.

Die Aufnahme erfolgt auf Grundlage von Arbeitsproben, die Kursthemen handeln von aktuellen Fragestellungen. „Der Begriff Welt hat sich im Lauf der Jahrzehnte ebenso gewandelt wie der Kunstbegriff. Künstler sein bedeutet heute mehr, als im Atelier zu arbeiten“, sagt Hildegund Amanshauser, Direktorin der Sommerakademie.

„Während unter Kokoschka noch alles auf die abstrakte Malerei ausgerichtet war, sind uns heute auch Sparten wie Comics, Kuratorische Praxis oder Kreatives Schreiben als Erweiterungsangebot wichtig. Ein Alleinstellungsmerkmal der Salzburger Sommerakademie ist, dass alle Lehrenden freie Künstler sind, die nicht das ganze Jahr ohnehin schon in akademische Abläufe eingebunden sind. Die Auswahl folgt dabei ähnlichen Kriterien wie eine zeitgenössische Gruppenausstellung.“

Mehr Raum. Olha Bosak kommt aus der Ukraine. Die Managementberaterin hat das Malereilabor der Argentinierin Varda Caivano gebucht. Motiviert durch einen Newsletter der österreichischen Botschaft bewarb sie sich – und für zwei Wochen tauchte die Autodidaktin ganz in die Kunst ein. Intensiv und eindrucksvoll sei es gewesen. Und sie habe nicht nur neue Maltechniken, sondern auch viel über sich selbst gelernt, zumal die Lehrende Caivano die Gruppe sehr gefordert habe.

„,You need more space‘, sagte sie und machte mir Mut zu größeren Bildformaten und mehr aus mir herauszugehen. Es war eine Entdeckungsreise. Rückblickend kommt es mir vor, als wäre ich mehrere Monate dort gewesen.“ Von dieser Intensität spricht auch die Künstlerin Linda Björk Steinthórsdóttir: „In diesen zwei Wochen drehte sich alles ausschließlich um die Malerei. Obwohl der Unterricht offiziell um 16 Uhr geendet hat, sind wir meistens bis in den späten Abend geblieben. Der Portier musste uns richtig hinaustreiben.“

Der Mathematiker Peter Hellekalek sieht das „Kopfwerkliche“ neben dem Handwerklichen als wesentlichen Gewinn der Sommerakademie. Der Salzburger, der seit 40 Jahren autodidaktisch fotografiert, wollte endlich auch das Handwerk von Grund auf erlernen. Jetzt nimmt er schon das dritte Jahr an der Sommerakademie teil. „Viele denken, die Sommerakademie wäre nur etwas für Künstler. Im Grunde aber ist es ein intellektueller Paragliding-Kurs. So wie andere im Sommer einen Tauch- oder Sprachkurs absolvieren, habe ich mir systematisch Kurse ausgesucht, die mir Angst machen, weil ich gelernt habe, dass es genau dort spannend wird.“

Soziale Kriegsberichterstattung. In diesem Jahr hat Hellekalek den Kurs „Migration“ – er nennt es „soziale Kriegsberichterstattung“ – beim deutschen Dokumentarfotografen Tobias Zielony belegt. Neben den Kursinhalten, so Hellekalek, fasziniere ihn auch die Begegnung mit anderen Menschen. „Viele junge Leute haben bereits erstaunliche Werke geschaffen. Gerade für mich als Universitätslehrer in einem System, das sehr verschult ist, ist das eine spannende Erfahrung, und viel von dieser Erfahrung nehme ich auch in den Beruf mit.“

Zudem hat sich durch diese Begegnungen auch sein eigener Blick auf Salzburg verändert. Dennoch vermisst er dabei eines für sich, das ist der unschuldige Blick des Fremden. „Kennen Sie dieses fiebrige Gefühl, wenn man sich auf eine neue, fremde Umgebung einlässt?“, fragt er. „In einer anderen, fremden Stadt wäre diesbezüglich für mich mehr zu entdecken.“

Kurs

Die Internationale Sommerakademiefür Bildende Kunst 2016 findet vom 18. Juli bis 27. August 2016 statt. Das Kursprogramm sowie die Anmelde-informationen werden Ende Dezember 2015 auf der Internetseite veröffentlicht: www.summeracademy.at.

Anmeldungen werden ab dem 1.Jänner 2016 entgegengenommen. Alle Anmeldungen bis 15. Mai 2016 werden gleich behandelt. Kontakt: Tel. +43/662/84 21 13, E-Mail office@summeracademy.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.08.2015)

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