Navid Kermani: In Rom neidisch aufs Christentum

Navid KERMANI Schriftsteller Deutschland Iran am 11 10 2012 Frankfurter Buchmesse 2012 vom 10 1
Navid KERMANI Schriftsteller Deutschland Iran am 11 10 2012 Frankfurter Buchmesse 2012 vom 10 1(c) imago/Sven Simon (imago stock&people)
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Autor Navid Kermani erkundet in „Ungläubiges Staunen“ christliche Kunstwerke. Der Islamwissenschaftler spürt, „warum das Christentum eine Möglichkeit ist“.

Die Kreuzestheologie sei „Gotteslästerung und Idolatrie“, schrieb er vor Jahren – und wurde dafür voreilig als Christentum-Beleidiger kritisiert. Den Widerwillen angesichts dessen, was er als katholische „Lust an Jesu Leiden“, als Schmerzenskult sieht, hat Navid Kermani noch, das zeigt sein soeben erschienenes neues Buch „Ungläubiges Staunen“ (C. H. Beck). Aber spätestens ein mehrmonatiger Aufenthalt in der Villa Massimo in Rom vor einigen Jahren hat den freien Schriftsteller und habilitierten Orientalisten offenbar tiefer in die Beschäftigung mit dem Christentum hineingezogen: über den Umweg der Bildenden Kunst.
„In Rom wurde ich neidisch aufs Christentum“, schreibt er. „Wenn ich den Gedanken der Inkarnation in nur einem Menschen nicht für grundverkehrt hielte und speziell die katholische Vorstellungswelt mir nicht so heidnisch vorkäme“, wenn ihn die Hierarchien und Machtdemonstrationen nicht abstießen, die „bis in den Blutrausch reichende Leidensvergötterung“, vielleicht hätte er sich „seinen Praktiken nach und nach angeschlossen, hätte die lateinische Messe besucht und wäre mit Pausen in den Singsang eingefallen, wenngleich anfangs mehr aus ästhetischen Gründen.“

Bewunderung für die „Ästhetik“ des Katholizismus, die Schönheit und Feierlichkeit seiner Rituale, Kirchen und Kunstwerke – das kennt man von vielen Künstlern, bis heute; der deutsche Schriftsteller und Katholik Martin Mosebach etwa ist ein Verfechter der lateinischen Messe. So bewundert auch Kermani die „Zwecklosigkeit“ einer Monstranz; er findet sie wieder, wenn er über einer Satzstellung brütet oder seine Tochter über Sammelbildchen. Der Sinn solcher Handlungen, erkennt er, bestehe darin, „die Frage nach dem Zweck als unwichtig oder jedenfalls nachrangig zu erweisen“.

Rare Empfindsamkeit, rares Wissen

Auf eine „ästhetische Wahrheit“ (die er mit der „geglaubten“ in einem Atemzug nennt und der „historischen Wahrheit“ entgegensetzt) beruft sich Kermani auch bei seinen Deutungen von 40 katholischen „Bildern und Begriffen, Heiligen und Ritualen“. Christliche Theologen werden daran wohl einiges zu bemäkeln finden, aber es ist auch kein theologisches, sondern ein sehr subjektives Zeugnis voller Assoziationen, die sich aus einem raren literarisch-religiösen Wissensschatz nähren.

So lässt sich Kermani von islamischen Denkern wie Avicenna ebenso inspirieren wie vom christlichen Philosophen Romano Guardini und zieht stilistische Verbindungen zwischen Friedrich Hölderlin und Koransuren. Der heurige Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels wurde als Sohn iranischer Eltern in Deutschland geboren und hat sich nicht nur intensiv mit dem Islam beschäftigt. Er hat auch die deutsche Geistesgeschichte, insbesondere die Literatur, gierig und ergiebig aufgesogen. All das fließt in seine empfindsame bis leidenschaftliche Wahrnehmung berühmter Gemälde ein.

Immer wieder ins Zentrum seiner Bildbeschreibungen rückt die Christusdarstellung. An Botticellis „Die Kreuztragung“ etwa fällt ihm auf, dass Jesus immer weiblicher wird, je mehr sich der Betrachter von ihm entfernt. Aus der Nähe ist Jesus ein junger Mann mit Flaum, aus der Ferne „eine leuchtend rot gekleidete Frau, um ihre eigene Achse tänzelnd, schwebend“. Kermani denkt dabei an die pakistanischen Sufis, also islamische Mystiker, die ihren Heiligen Shahbaz Qalander „Roten Tänzer“ und „König der Schönheit“ nennen. Wie kein anderer Prophet, erfährt man bei ihm, verkörpere Jesus im Sufismus die mystisch-erotische Liebe.

Ein Mosaik in Ravenna mit Jesus als gutem Hirten darauf erinnert Kermani wiederum an einen (später von Gelehrten verworfenen) Hadith, in dem Mohammed Gott als schönen jungen Mann vor sich sieht. Auch in der Sufi-Mystik, schreibt er, könne Jesus in leiblicher Schönheit erfahren werden – ja, er stehe für die auf Erden sichtbare göttliche Schönheit. Mit einiger Berechtigung könne man von einem eigenen „islamischen Christentum“ sprechen.
Im Grübeln über die Trinitätslehre dominiert der Gelehrte Kermani, dann wieder das empfindsame Individuum. Schön seine Sicht auf Giottos Bild „Die Begegnung Joachims und Annas an der Goldenen Pforte“. Das „Ungelenke“ der Berührung des alten Paares berührt Kermani. Joachim kommt von 40 Tagen in der Wüste zurück, wo er erfolgreich um ein Kind gebetet hat – Anna ist schwanger. Nicht frisch Verliebte, erst diese gemeinsam Gealterten sitzen einander „wie ein Siegel auf dem Herzen und ein Siegel auf dem Arm“, zitiert Kermani seinen biblischen Lieblingstext, das Hohelied der Liebe.

Lieber „unsinnlich“ als hedonistisch

Solche Bilder, aber auch die Tatsache, dass der Hedonismus „zum Heiligsten der kapitalistischen Propaganda“ geworden sei, hat den Widerwillen des heute 47-Jährigen gegen des „Unsinnliche“ des Christentums schwinden lassen. Besonders viel Raum gibt er dem vor zwei Jahren von IS-Terroristen entführten italienischen Jesuiten und Islamwissenschaftler Paolo Dall'Oglio, der in Syrien das Kloster Mar Musa gegründet und der Freundschaft mit dem Islam geweiht hat. Dieser Pater verköpert das für ihn vielleicht Bewundernswerte am Christentum – eine Liebe, die über das Maß hinausgeht, „auf das ein Mensch auch ohne Gott kommen könnte“. Ungläubig sei Navid Kermanis Staunen, betont der Titel des Buchs. Er halte die Möglichkeit des Christentums zwar weiterhin für falsch, betont der Autor – aber er „erkenne, mehr noch: spüre, warum sie eine Möglichkeit ist“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.08.2015)

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