NHM: Venus, Fanny und all die anderen alten Idole

WIEDERER�FFNUNG DER PR�HISTORISCHEN SCHAUS�LE IM NATURHISTORISCHEN MUSEUM WIEN
WIEDERER�FFNUNG DER PR�HISTORISCHEN SCHAUS�LE IM NATURHISTORISCHEN MUSEUM WIEN(c) APA/HERBERT NEUBAUER (HERBERT NEUBAUER)
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Von der Altsteinzeit bis zur Völkerwanderung: Die prähistorische Abteilung wurde behutsam neu gestaltet, mit unaufdringlichen Videoinstallationen. Ein Kabinett zeigt Gold, eines die Venus von Willendorf.

Kein Wald, kein Wein. Kalter Wind, der Lössstaub übers karge Land weht. Die Wachau war nicht idyllisch wie heute, als dort ein unbekannter Künstler die Venus von Willendorf geschaffen hat, vor 29.500 Jahren. Tiefste Eiszeit war damals, alles vergletschert, das Donautal war die einzige offene Ost-West-Verbindung. Wer immer damals durchs Land zog, zog durch dieses Tal.

Das zeigt eine Videoinstallation im neuen Venuskabinett des NHM, Sonst sind dort nur die beiden Heldinnen – oder Göttinnen? oder Stars? oder Starlets? – aus der niederösterreichischen Steinzeit, liebevoll präsentiert: die fettleibige Venus, vor der man sich immer darüber wundert, wie klein sie ist und dass sie kein Gesicht hat; und, noch kleiner, die grazilere, dynamischere, 6500 Jahre ältere Fanny von Galgenberg, so benannt, weil sie ihre Ausgräberin 2008 an die Wiener Tänzerin Fanny Elßler erinnert hat.

Ein zweites neues Kabinett zeigt Gold: Artefakte aus dem weichen, sonnengleichen Metall, darunter die Goldspiralen aus Stollhof (an der Hohen Wand), 6000 Jahre alt und damit die zweitältesten Goldgegenstände. Doch die meisten Objekte hier stammen aus der Bronzezeit, die man Goldenes Zeitalter nennen könnte, so präsent war das Gold in ihr. Man hat es klug vor blauen Hintergrund gestellt, so kommen die verblüffend modern wirkenden, mit Spiralen oder Pferdeköpfen verzierten Armreifen gut zur Geltung.

Dass vor dem Eingang dieses Kabinetts, am Gang, in dem die Eiszeit ihr Reich hat, alle Tafeln rot sind, bildet einen merkwürdigen Kontrast. Dieses Reich stammt aus einer früheren Renovierung, durchgeführt vor circa 15 Jahren, noch unter Direktor Lötsch.

„Keine Vitrinenausstellung“

Auf der anderen Seite der nun renovierten Säle sind die vor zwei Jahren neu eröffneten Hominidensäle: Hell, betont aufgeräumt und modern, fast modisch, passen sie noch immer schlecht ins patinierte Museum. Ganz im Gegensatz zu den neuen prähistorischen Sälen: Architekt Rudolf Lamprecht hat zwar neue, gar nicht historisierende Schaukästen hingestellt, sie fügen sich aber bescheiden zu den ganz alten, man nimmt sie kaum wahr, was Lamprecht gefällt: „Wir haben hier ja keine Vitrinenausstellung.“

Auch keine Technikschau. Erstaunlich, wie viele State-of-the-art-Präsentationen man nun in den Sälen elf bis 13 bedienen kann, ohne dass man sich modisch geschulmeistert fühlt. Wenn man sich virtuell durch die Höhlen von Altamira, Lescaux und Chauvet tastet, erlebt man sogar das Flackern, das dort einst schummrige bis spirituelle Gefühle ausgelöst haben mag. Viel Zeit verbringen möchte man vor dem interaktiven Video, auf dem man die Völkerwanderung oder die Entwicklung des Römischen Reichs verfolgen kann.

Saal zwölf zeigt 7000 Jahre Hallstatt im Längsschnitt, sozusagen die lange Vorgeschichte der heutigen Salinen Austria (die das NHM auch sponsern). Dort kann man, zwischen Werkzeugen, Schöpfgefäßen und Schädeln, auch über das Essen der alten Bergarbeiter meditieren: eine Art Ritschert, mit Bohnen, Hirse, Graupen, Lauch. Wohl auch mit Speck, meint Anton Kern, Direktor der Prähistorischen Abteilung: „Ein' guten Bauch werden s' schon hineingeschnitten haben.“ Schweineknochen fand man jedenfalls en masse. Die Menschenbeine, an denen noch Ringe hängen – was für ein Vanitas-Symbol –, sind aber Nachbildungen, erklärt Kern: Zurschaustellung der Originale empfinde man heute als pietätlos.

Saal elf, in dem noch immer ein Mammut aus der Ecke droht, führt von der Altsteinzeit bis in die Bronzezeit, hier zieht einen etwa ein Schädel an, der mit einem Kopfschmuck aus Bronze kombiniert ist. Oder das in Bulgarien gefundene, 6500 Jahre alte Sitzidol von Pazardžik, mit ganz kleinen Brüsten und Ritzlinien auf dem nackten Körper, vielleicht Tätowierungen. Sie sitzt – thront? – auf einem Schemel, stützt die Hände in die breiten Hüften. Auch diesem Idol fehlt das Gesicht, wie der um 23.000 Jahre älteren Venus.

Keltische Parzen?

Näher sind uns die drei Frauenfiguren auf einer bei Sopron, 600 v. Chr., gefundenen Urne: Eine spannt den Faden, eine webt, eine schneidet ihn, das kennen wir, das sind Schicksalsgöttinnen, offenbar keltische Parzen, oder geht die Mythologie mit uns durch?

Dass die Vorgeschichte schweigt, daran hat man sich gewöhnt. Dass die Kelten uns nichts Schriftliches hinterlassen haben, irritiert noch immer. Was dachte der Druide unter seiner Eisenkrone? Nur sanft und esoterisch waren sie jedenfalls nicht, das illustriert ein großer Nagel mit dazu passend gelöchertem Schädel. Keltisch ist auch die Szene auf einem Gürtelblech: Eine Frau sitzt auf einem Thron, ein Mann kniet vor ihr und penetriert sie dabei. „Erhielt so die Verbindung zweier Herrscherhäuser ihre Rechtskraft?“, fragt die erklärende Tafel. Oder ist es schlicht eine pornografische Fantasie?

Jeff Koons wird die Szene vielleicht lieber so deuten. Seine eiserne, rosé bemalte „Balloon Venus“ steht nun, bis März, im Entree des Museums. Angenommen, dass sich unsere Schrift verliert: Wie werden die Anthropologen in 29.500 Jahren sie interpretieren?

In der Station Modemorphing kann man sich virtuell vor- und frühgeschichtlich kleiden, das ist spekulativ und witzig. Dann noch einmal durch die wilden Zeiten der wandernden Völker! Das letzte Objekt der prähistorischen Säle ist eine Replik des Ostarrichi-Dokuments. Jetzt gibt es Österreich, jetzt kann endlich die Geschichte beginnen: eine hübsch selbstironische Schlusspointe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.09.2015)

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