Karl Sharro: Der arabische Satiriker

Sharros Jihadisten Abu A und Abu B.
Sharros Jihadisten Abu A und Abu B.(c) Karl Sharro
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Karl Sharro kommentiert die Ereignisse in der islamischen Welt mit humoristischem Feinsinn. Der Westen, sagt er, unterstützt die Zensur von (religiöser) Satire im arabischen Raum.

Rund um die ganzen Wirren und Katastrophen, die den Nahen Osten und den Westen seit Beginn des syrischen Bürgerkrieges begleiten, platzte in diesen Sommer die Nachricht hinein, dass die USA gemäßigte syrische Oppositionelle ausbilden und in den Kampf im Bürgerkriegsland schicken möchte. Gelungen ist die Operation jedenfalls nicht, im Gegenteil. Erstens waren es nur eine Handvoll Männer, zweitens wurden die meisten von ihnen nur wenige Stunden nach Ankunft in Syrien von Islamisten verschleppt. „Es gefällt mir“, schreibt Karl Sharro, „wie die USA glauben, sie können den Islamischen Staat mit zwölf Rebellen besiegen. Wem ist diese Strategie eingefallen? Quentin Tarantino?“

Oder das Bild von drei vermummten Schergen, die ihre Zeigefinger nach oben halten – das Zeichen, mit dem zuletzt die Anhänger der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) medial präsent waren. Sharro fällt auch zu dieser Geste etwas ein: „Ich! Ich! Ich, Frau Lehrerin, ich kenne die Antwort!“ Das ist der Humor von Sharro: gern etwas brachial, wenn es um die islamische Welt geht. Nur eine kleine Feinheit unterscheidet seine IS-Witze von den meisten anderen, die man im Westen hört – Sharro stammt selbst aus dem arabischen Raum. Der in London lebende Architekt mit libanesisch-irakischen Wurzeln kommentiert auf Twitter nahezu täglich seine Sicht der Dinge über den Nahen Osten. Was er schreibt, mag zum Schreien komisch sein, aber vor allem spielt Sharro auf intelligente Art und Weise mit den Stereotypen, die im westlichen Kopf über die arabische Welt einzementiert sind. „Ich muss sagen“, meint er zum Umgang Europas mit dem Flüchtlingsstrom, „dass es die Europäische Einheit momentan schafft, die Arabische Einheit als ein Modell der Harmonie und Zusammenarbeit erscheinen zu lassen.“

Sharro hat während der Umbrüche des Arabischen Frühlings angefangen, (satirische) Stücke für Zeitungen und Magazine zu schreiben; auf Twitter hat er mittlerweile knapp 60.000 virtuelle Anhänger um sich geschart. Die mediale Berichterstattung über den Arabischen Frühling sei viel zu oft viel zu anspruchslos gewesen, meint Sharro. Die arabische Welt ist nun einmal nicht schwarz-weiß (oder in den Augen mancher westlicher Kommentatoren: nur schwarz), sondern vielschichtig und komplex – und man hätte sich durchaus mehr Mühe geben können, um zu verstehen, worum es den Menschen gegangen ist. „Wer die arabische Welt kannte, hat die Umbrüche erwartet.“

Großes Missverständnis

Beispiel Twitter und Facebook: Die Rolle der sozialen Medien während der Umbrüche sei komplett überbewertet worden. Sie waren nur ein Utensil von vielen, das den Unmut der Bevölkerung kanalisierte. Viele haben angefangen zu zeichnen oder zu schreiben – so wie er selbst auch –, und genau diese Auswirkungen würden es kaum zu einem Zeitungsartikel schaffen. Auch eine Art von Desinteresse, das Sharro satirisch aufarbeitet.

In einer Abhandlung, die er für das „Vice“-Magazin verfasst hat, schildert er, dass der Arabische Frühling nichts anderes war als ein massives Missverständnis. Demnach sehen zufällig in Tunesien weilende westliche Reporter eine Menschenansammlung und gehen selbstverständlich davon aus, dass es sich um einen Protest gegen den Präsidenten, Ben Ali, handeln muss. Dabei ist es nur eine spontane Liebesbekundung. Eine Überraschungsparty zum Geburtstag des geliebten Staatschefs. Blöderweise aber verbreitet sich schnell das Demo-Gerücht, und letztlich tritt Ben Ali freiwillig ab, gekränkt, dass seine Bevölkerung so plötzlich gegen ihn protestiert. Dann: dasselbe Spiel in Ägypten. Und so weiter.

„Vor ein paar Jahrzehnten“, sagt Sharro, „gab es viel Satire in der arabischen Welt.“ Gott wurde extensiv parodiert, über ihn wurde geflucht und geschimpft. Die zunehmende Extremisierung hat die Arbeit der Satiriker und Karikaturisten verändert, und insbesondere zensuriert. Das heißt nicht, dass es heute in muslimischen Ländern keine Selbstparodie gibt. Sie passiert auf Arabisch und bleibt daher im europäischen Raum großteils unbemerkt. Das Problem an der ganzen Sache sei auch, so Sharro, dass just in Europa die arabische Zensur unterstützt wird, wenn etwa die Werke von kritischen Schreibern und Zeichnern hier nicht ausgestellt werden – aus Angst vor Unruhen oder Verletzung religiöser Gefühle.

Überhaupt ist Gott für Sharro, den Atheisten, ein dankbares Sujet. „Es ist schon eine Weile her, seit Sie jemanden empfangen haben“, sagt Sharro zu Gott in einem fingierten Interview, „warum sprechen Sie eigentlich nur zu Leuten aus dem Nahen Osten?“ „Ach“, meint Gott, „Nostalgie eben. Hat nicht der Monotheismus dort begonnen?“ Eben. Nur eine Sache gehe ihm dezent auf die Nerven. Dass die arroganten Leute im Nahen Osten glauben, er sei nur für sie da und deswegen müsse er sich besonders um sie kümmern. Und mit den Jihadisten könne Gott im Übrigen auch nicht viel anfangen. Etwas, was er mit Sharro teilt: „Allein deren Haltung ist ja eine Karikatur, das macht es leicht für einen Satiriker.“

Steckbrief

Karl Sharro
Der Architekt und Autor (44) mit libanesisch-irakischen Wurzeln lebt seit über zehn Jahren in London. Vor seinem Umzug nach Großbritannien unterrichtete Sharro an der Amerikanischen Universität in Beirut, wo er auch selbst studiert hat. Auf seinem Twitter-Account @KarlreMarks sowie in Gastbeiträgen für Zeitungen und Magazine kommentiert Sharro die politischen und gesellschaftlichen Ereignisse in der arabischen Welt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2015)

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