Steirischer Herbst: Der verborgene Gott im Bild

Das Grabtuch an Schnüren? Michael Triegel, „Deus absconditus“, 2013:
Das Grabtuch an Schnüren? Michael Triegel, „Deus absconditus“, 2013:(c) courtesy Galerie Schwind Leipzig
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Was bleibt von den Bildwelten des Christentums? Das Kulturzentrum der Minoriten in Graz zeigt dazu eine fantastische Ausstellung: „Reliqte“. Bis 24. Jänner.

Kann es heute noch christliche Malerei geben? Der deutsche Kunsthistoriker Wolfgang Schöne formulierte vor über 50 Jahren zwei Thesen: „1. Gott hat im Abendland eine Bildgeschichte gehabt. 2. Diese Bildgeschichte ist abgelaufen.“

Man darf hinzufügen: Diese Bildgeschichte hat mit einem Bilderverbot begonnen: „Du sollst dir kein Bildnis machen“, das hat nicht nur anderen Göttern gegolten, sondern auch dem eigenen, Jahwe, zu dessen Exklusivität es gehört, dass er nicht dargestellt werden kann und darf. Er ist ein Deus absconditus, ein verborgener Gott; dass er im Christentum in einer Gestalt menschlich und damit auch darstellbar wird, ist ein Geheimnis der Dreifaltigkeit. Aber auch der auferstandene Christus zeigt sich zuerst durch Abwesenheit: Das Grab ist, die Leichentücher sind leer.

Ein solches Tuch meint man auf Michael Triegels Bild „Deus absconditus“ (2013) zu sehen, es verdeckt den Gekreuzigten, von dem man nur die blutigen Hände und Füße sieht, vor diesen hängt ein Zettel, auf dem ein Dreieck gekritzelt ist: Die Wörter Pater, Filius und Spiritus bilden die Ecken, verbunden sind sie jeweils durch „non est“, in der Mitte steht das Wort Deus, auf den Linien vom Zentrum zu den Ecken steht jeweils „est“. Das Tuch wird von Schnüren gehalten, rechts auf dem Boden kniet ein Mönchlein mit spitzem Hut vor einer Schnur: Will, kann er den Gekreuzigten enthüllen, zeigen?

Das Bild erinnert in seinem Reichtum an offenbar bedeutsamen Nebenmotiven – Maria vor einer Schreibmaschine, ein Glas Rotwein auf dem Tisch, ein Apfel und zwei Schafsköpfe auf dem Boden – an barocke Gemälde, es hat auch die Anmutung eines Welttheaters: das Mysterium vor den Kulissen, am Schnürchen, sozusagen.

„Reliqte“ nennt Johannes Rauchenberger, Leiter des Kulturzentrums bei den Minoriten in Graz, seine neue Ausstellung. Das Q, einsam ohne U, lässt die Wortbedeutung schweben – zwischen den sachlichen Relikten und den heilig aufgeladenen Reliquien. Beide sind Überbleibsel. Man kann das kulturpessimistisch deuten: als Reste einer einstigen reichen Bildwelt. Oder aber als Spuren, die das Göttliche in der Welt hinterlassen hat – wie, um ein garantiert unfrommes Beispiel zu nehmen, die Colaflasche, die die Eingeborenen im Film „Die Götter müssen verrückt sein“ für ein Zeichen der Götter halten.

Ist jede Taube der Heilige Geist?

Man muss die Zeichen nur lesen können oder wollen. Er bestehe darauf, in jeder Taube den Heiligen Geist zu sehen, schreibt der geistreiche „Krone“-Kolumnist Robert Löffler gern. So denkt vielleicht auch die in Mailand lebende Künstlerin Julia Krahn: Ihr „Ultima Cena“ zeigt einen Tisch, wie man ihn seit Leonardo mit dem Letzten Abendmahl verbindet, darauf sitzt eine Taube, nicht weiß, sondern ordinär grau. Auf dem Tisch ist auch weder Brot noch Wein, nur Mehl, daneben sieht man Fußspuren: Wer ist gekommen, wer ist gegangen? Ein Erlöser? Ein Verräter?

Gleich daneben: „The Burning Supper“ von Julia Bornefeld: 13 Männer, offenbar Metal-Fans oder Rocker, sitzen an einem Tisch, der in Flammen steht. Einer hebt den Finger, einer sieht feminin aus, der Chef der Partie hat lange, graue Haare. Und gleich noch ein Abendmahl, „The Last Supper“ von Nina Kovacheva: Ein Bub im weißen Kittel, mit ernstem Blick, umgeben von zwölf Spielzeugfiguren, vom Stoffbären bis zum Bionicle.

Ist jedes Gefäß ein Abendmahlskelch?

Gewiss, diese Bilder – alle realistisch mit surrealistischem Einschlag – wirken anders, wenn der Betrachter vom Letzten Abendmahl weiß, aber sie wirken wohl auch ohne solches Vorwissen, denn sie deuten Geschichten an, die man nur ahnen kann. Alois Neuhold erzählt gleich, nein, nicht aus dem Nähkästchen, aber aus „dem Küchenschrank Gottes“: eine Installation aus 80 bunt bemalten Tongefäßen, beschrieben als „fassbare Gefäße des Unfassbaren“, versehen mit dem Einsetzungswort: „Nehmet hin und trinket!“

So dick hier die Schicht an mystischen Assoziationen aufgetragen wird, so zart ist sie etwa in einem titellosen Ölbild von Muntean/Rosenblum: Licht, wie es die Kunstgeschichte als Gottesstrahlen kennt, bricht über träge Jugendliche herein, die, wie man in Niederösterreich sagt, „herumliegen wie die Jünger am Ölberg“. Oder Mark Wallingers Flughafenszenen zur Vertonung des Psalms 51 von Gregorio Allegri. Oder in „Per Speculum“ von Adrian Paci: Kinder spielen mit Spiegeln, in denen sich das Sonnenlicht bricht; auch hier kommt die religiöse Spannung durch bekannte Worte herein, aus dem Korintherbrief, in dem es heißt: „Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunkeln Wort; dann aber von Angesicht zu Angesicht.“

Können Gesichter heilig oder gar göttlich aussehen? Damit befasst sich Dorothee Golz: Fotomodels, gestylt, auch mit Photoshop hergerichtet, aber alle mit den halb gesenkten Lidern, die man von Madonnenbildern kennt, mit diesem müden Blick, der aber gar nicht nach Schlafzimmer aussieht, sondern nach Verklärung. Er funktioniert.

Für Jesus gibt es keinen so eindeutigen Blick, aber wir haben im Kopf, wie er aussehen soll. Daniel Aman Zeman, der Künstler wird verzeihen, passt nicht dazu. Schon gar nicht in Unterhose, und noch weniger, wenn diese im Lauf des Videos peinlicherweise immer nasser wird. Genau deshalb ist „Gethsemane“ eine schmerzhaft stimmige Darstellung der Passion: jetzt aber hoch schimpfieret, wie's im Lied heißt. Eines von etlichen Werken in den Gängen des Minoritenklosters, die einen in der Ansicht bestärken: Ja, es kann heute noch christliche Kunst geben. Sie wird aber nur selten fromm aussehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.10.2015)

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