BA-Kunstforum: Nieder mit der Kunst, es lebe die Liebe!

„Produktionskünstlerin“ Warwara Stepanowa hatte Humor: Selbstkarikatur als Clown von 1922.
„Produktionskünstlerin“ Warwara Stepanowa hatte Humor: Selbstkarikatur als Clown von 1922.(c) BA-Kunstforum
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Eine spannende Ausstellung beleuchtet die fatale Entwicklung von der russischen Avantgarde zur stalinistischen Propaganda - und den Hang zum künstlerischen Paarlauf in der Revolutionskunst.

Und nun einmal zu etwas ganz anderem – keine politische Nabelschau, kein Klimt, keine Kunstmesse. Sondern russische Kunst zu Beginn der Sowjetunion. Das BA-Kunstforum schenkt uns ab morgen, Mittwoch, tatsächlich eine andere Perspektive, den Blick auf eine der fatalsten Entwicklungen der Kunstgeschichte, die von der russischen Avantgarde zur stalinistischen Propaganda. Eine Perspektive, die man in Wien bisher so nicht kannte, macht die internationale Moderne doch traditionell einen weiten Bogen um diese Stadt: Rothko und Malewitsch, Newman oder Rodtschenko – alles hier noch zu entdeckende Superstars.

Es ist das Verdienst von Kunstforum-Kuratorin Heike Eipeldauer, dass es neben der formalen, kunsthistorischen Vorstellung des Konstruktivismus auch eine soziologische, ja private Ebene gibt, die den Zugang erleichtert. Dass es rund um die Oktoberrevolution 1917 viele starke Malerinnen gab, wird seit den 1980er-Jahren immer wieder in Ausstellungen beleuchtet und mit dem „Amazonen“-Begriff gelabelt, die bekanntesten sind Alexandra Exter und Natalja Gontscharowa. Eipeldauer fiel auf, dass sich viele dieser Künstlerinnen anscheinend bewusst Künstlerpartner gesucht haben. Man könnte gar von einem „Boom“ der Künstlerpaare sprechen, wie Eipeldauer es im Zuge der Ausstellung „Liebe in Zeiten der Revolution“ tut – die sie natürlich ebenfalls im Paarlauf kuratiert hat, gemeinsam mit Florian Steininger.

Abtreibung, Ehebruch wurden straffrei

Dieser „Boom“ scheint mit einer schwer erklärbaren Tradition der starken Frauen in Russland zu tun zu haben – den Zarinnen? Einem diffusen Starke-Frauen-Bild der Orthodoxen? Einem relativ frühen Uni-Zugang für Frauen? Ohne Vorbilder, ohne Nährboden hätten sich wohl auch die Herren Künstler in dieser Aufbruchszeit lieber eine stille, hübsche Fabriksarbeiterin gesucht als eine mit eigenem Werk und Ehrgeiz beschäftigte Partnerin.

Aufbruch. Das ist das Stichwort, das damals alle zu Unglaublichem motivierte. Man möchte sich diese elektrisierte Zeit ja gar nicht mehr so richtig vorstellen heute, an Tagen nach Wahlen in Österreich. Vor allem, weil man weiß, in welchen Terror dieser Idealismus mündete. Für ein paar Jahre zumindest schien diese Utopie einer neuen Gesellschaft, eines „Neuen Menschen“ aber tatsächlich zum Greifen nahe. Diese politische Revolution war aber auch eine sexuelle: Per Gesetz setzten die Bolschewiken mit einem Mal Ehe und Lebenspartnerschaft gleich, stellten Abtreibung, Ehebruch und Homosexualität straffrei. Feminismus wurde in diesem Umfeld nahezu obsolet, man merkt es an den Aussagen der Künstlerinnen – die in Paris lebende Gontscharowa war die letzte, die mit feministischen Statements auffiel. Die meisten anderen Künstlerinnen waren schon weniger mit den Unterschieden der Geschlechter beschäftigt als mit deren Gleichmacherei. Man posierte in Unisex-Pullovern, rauchte und tat, was die Partner taten: arbeiten, ausstellen, publizieren, lehren.

Beim letzten, also jüngsten der fünf für die Ausstellung ausgewählten Paare merkt man dann die Kehrtwende, als Stalin gesetzlich wieder patriarchale Familienstrukturen einführte: Valentina Kulagina und Gustav Klutsis wurden als klassisches Schülerin-Lehrer-Gespann rezipiert, sie musste um ihre Rolle auch intern wieder kämpfen. Gemeinsam entwickelte man immerhin die Fotocollage – und schenkte dem Regime damit sein wirksamstes Propagandamedium. Trotz dieses ideologischen Eifers wurde Klutsis 1938 verhaftet. Kulagina wusste jahrelang nichts über seinen Verbleib. Der gebürtige Lette war, wie später bekannt wurde, rasch hingerichtet worden.

Diese Ausstellung ist eine der inhaltlich und von der Vermittlung her besten der jüngsten Zeit in Wien, man hätte das Ganze nur ohne Weiters ein wenig dramatischer inszenieren können. War doch das Design so wichtig für diese Zeit. Die u. a. von Malewitsch und Gontscharowa/Larionow vorbereitete Abstraktion sollte in den Alltag überführt werden. Warwara Stepanowa hat diesen Schlachtruf hin zum Produktiven formuliert und umgesetzt. Keine Tafelbilder mehr, sondern Stoffmuster für das Fließband, „Nieder mit der Kunst, lang lebe die Technik!“.

Kalter Krieg in der Kunstgeschichte

Stepanowa und Alexander Rodtschenko sind das schillerndste der Paare, da sie sich als solches auch zu inszenieren wussten. Auf Fotos verkörpern sie das neue proletarische Künstlerbild zwischen Glühlampe, Arbeitsanzug, Gitarre und Bildern (der Künstler als Ingenieur und Missionar). Rodtschenko war einer der innovativsten Künstler seiner Zeit, seinen Linearismus übersetzte er in den Raum, die Striche wurden zu Rednerpulten und Kiosken. Von ihm stammen, meint Eipeldauer, die ersten hängenden Skulpturen, die heute dem Amerikaner Alexander Calder zugeschrieben werden. Der Kalte Krieg ist aus der Kunstgeschichte ablesbar.

Stepanowa/Rodtschenko war aber auch ein moralisch ambivalentes Paar. Rodtschenko fotografierte monatelang beim Bau des Weißmeer-Ostsee-Kanals, also mitten im Gulag, wo Hunderttausende das Leben verloren. Und schwärmte seiner Warwara trotzdem von der „Poesie der Arbeit“ vor. Dass er diese künstlerisch so grandios ins Bild rückte, wurde ihm zum Verhängnis. Wegen Formalismus musste er sich öffentlich entschuldigen, er starb 1956 verbittert. Was überlebt hat in Russland ist der Hang zum Paar bzw. zum Kollektiven in der Kunst, von den Kabakovs, den Blue Noses bis zu Pussy Riot. Die Ausstellung schreit fast nach Fortsetzung.

„Liebe in Zeiten der Revolution“: Bank-Austria-Kunstforum, 14. 10. bis 31. 1. 2016.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.10.2015)

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