Mumok: Neue Kraft durch die Börsenkrise

Zoe Leonard: „Two Women looking at One Another“, Silbergelatine-Print aus dem Jahr 1990.
Zoe Leonard: „Two Women looking at One Another“, Silbergelatine-Print aus dem Jahr 1990.(c) Zoe Leonard
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Eine Ausstellung blickt auf die sich selbst erneuernde Kunst der 1990er-Jahre zurück, als man begann, Büchertische aufzustellen und von „künstlerischer Praxis“ zu reden.

Innerhalb eines Tages stürzte der Dow Jones 1987 über 20 Prozent ab. Die Kurse erholten sich bald wieder, dann verlor der Deutsche Aktienindex 1991 abrupt nahezu zehn Prozent. Diese Ereignisse hinterließen zwar in der Wirtschaft kaum Spuren. Im Kunstmarkt schon: Die Umsätze der Galerien brachen massiv ein, die Investitionslust stagnierte – womit für die Kunst Ende der 1980er-Jahre ein kurzes Jahrzehnt ungeahnter Offenheit begann. Befreit vom Verkaufsdruck starteten in Deutschland, Österreich und den USA Künstler selbst Initiativen.

1989 organisierte Martha Rosler in der DIA Art Foundation New York die bahnbrechende Ausstellung „If you lived here . . .“, in der über 50 Künstler, Aktivisten, Obdachlose Lebenssituationen von Utopie bis Armut thematisierten. Ob in Frankfurt, Hamburg oder Düsseldorf, in jeder größeren Stadt wurden neue Formen von Kunst als kommunikativer Praxis ausprobiert, die von Clubs bis zum gemeinsam gebauten Projekt „Makroville“ reichten, einer Stadt in Modellgröße auf einem riesigen Tisch. Oder wie Felix Gonzales-Torres, der mit einem Auftritt als Go-Go-Tänzer seine Ausstellung für fünf Minuten jeden Tag in einen Club verwandelte.

Während es die einen eher spielerisch anlegten, konzentrierten sich andere auf politische oder soziale Themen. Gemeinsam war allen die zentrale Formel: Wir begnügen uns nicht mit der Präsentation von Kunst, auch Produktion und Distribution gehören dazu – und alles soll sichtbar sein. Statt Werke aus dem Atelier anzuliefern, produzierten Künstler direkt für oder in der Schau. Damals kamen auch die heute üblichen Info-Tische auf, die Grenze zwischen Bild, Objekt, Recherche begann zu zerfließen. Wandzeitungen, Handbibliotheken, ausufernde Diagramme lösten den Werkbegriff auf, man sprach nur noch von „künstlerischer Praxis“.

Mit der Jahrtausendwende war diese Phase beendet. Aus einem nicht einmal 20-jährigen Abstand heraus hat sich jetzt das Mumok vorgenommen, die „künstlerischen Praktiken um 1990“ aufzuarbeiten. Kurator ist Matthias Michalka, der diese Zeit miterlebte und mit Projekten mittrug. Kann ein Protagonist jener Zeit diese derart vielgestaltige Phase überhaupt aufarbeiten, ohne im Radius der eigenen Biografie stecken zu bleiben? Die Ausstellung „To expose, to show, to demonstrate, to inform, to offer“ beginnt mit Martha Roslers oben angesprochener DIA-Schau, kombiniert mit Dokumentationen des US-Künstlerkollektivs Group Material. Ansatzweise ahnt man, wie bahnbrechend die Gruppe 1987 Themen wie Kriege und Aids aufgriff. In den nächsten Räumen folgt die Serie 14 monochrom grüner Bilder, mit denen der damalige Star Stephen Prina 1988/89 nur die Formate wichtiger Werke der Kunstgeschichte von Kasimir Malewitsch bis Barnett Newman aufgriff – das erschien damals enorm radikal. Auch Christopher Williams' und Louise Lawlers institutionskritische Werke sind großzügig aufgebaut.

Ein viel zu eng gesteckter Parcours

Ab da wird es eng. Zwar sehen wir rekonstruierte Ausstellungen der Kölner Galerie Christian Nagel. Vor allem aber addieren sich die mit Zetteln und Zeitschriften gefüllten Vitrinen, die Bücherregale und Videomonitore zu einer Flut an Informationen. Wer dieses Jahrzehnt nicht miterlebt hat, findet keinen Zugang. Wer diese Zeit kennt, vermisst aber noch mehr. Warum beschränkt sich Michalka auf die drei Städte New York, Köln und Wien? Schön, in Wien die damals enorm wichtigen Projekte von „Museum in progress“ einzugliedern, die Plakatwände, Tageszeitungen und den Eisernen Vorhang in der Oper als Kunstorte zu entdecken.

Aber warum nicht wenigsten im Katalog auch einige der ebenso unkonventionellen Projekte und Ausstellungen in anderen Städten aufgreifen? Warum selbst in den Fußnoten bei immer denselben Quellen und Namen verharren? Warum orientiert sich die Auswahl so sehr am Kreis einer einzigen Kölner Galerie? Am Ende dieses viel zu eng gesteckten Parcours hofft man nur noch, dass weitere Aufarbeitungen dieser Epoche folgen, die dieser auch gerechter werden.

Mumok. „To expose“: bis 24. 1. 2016

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.10.2015)

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