Tanzquartier: Es knacken und tropfen die Körper

Sasha Waltz
Sasha Waltz "Körper"(c) TQW - Bernd Uhlig
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Nach 15 Jahren zeigt Sasha Waltz ihr erfolgreichstes Stück erstmals in Österreich: „Körper“ zerlegt den Organismus, ist manchmal zu laut, aber auch sehr originell.

Was hat das Bein da zu suchen? Es ragt eigenartig verrenkt aus einer etwa brusthohen Öffnung in einer schwarzen Wand. Es bewegt sich wie ein Wurm, den man beim Durchtrennen eines Krautkopfs beim Fressen gestört hat und der sich nun erschrocken in alle Richtungen windet. Dieses Bein steht hier als Körperteil im Mittelpunkt, als Teil der Körper, mit denen sich Sasha Waltz in ihrem bildgewaltigen Stück „Körper“ beschäftigt. Mit dessen Uraufführung hat sie sich im Jänner 2000 als Ko-Direktorin der Schaubühne in Berlin, die sie bis 2004 war, ihrem Publikum vorgestellt. Es war ein klares Signal: Waltz war die erste Choreografin in der Leitung der Schaubühne, das Stück für ein Publikum vor 15 Jahren in vielerlei Hinsicht völliges Neuland. Doch es verfehlte seine Wirkung nicht: „Körper“ wurde zur „beliebtesten Produktion des Hauses“ – und zur erfolgreichsten der Compagnie Sasha Waltz & Guests. Am Donnerstag wurde es erstmals in Österreich im Tanzquartier gezeigt.

Wie viel kostet eine Niere?

Das Bein verschwindet bald wieder, später quellen mehrere Arme durch die Aussparung in der Wand. Waltz nimmt sich in diesem Stück jeden Körperteil und jedes Organ vor – nicht nur die Gliedmaßen oder die Haut, an der sich die Tänzer gegenseitig aufheben oder über die Bühne ziehen (einer der schwierigeren Momente für die Zuschauer), das Herz, die Nieren, die Bauchspeicheldrüse werden einer Bewertung unterzogen. Eine Tänzerin markiert das Organ auf der Haut, die andere klebt ein Preisschild darauf: 103.000 Euro für eine Lunge, 54.588,01 für die Nieren. In diesem kurzen Moment ist Platz für eine ganze Flut von Assoziationen – von der eitlen Schönheitschirurgie bis zur lebensrettenden Organspende. Schließlich werden die Körper im wahrsten Sinne des Wortes ausgequetscht: Ein Tänzer lässt den anderen zur Ader – und klares Wasser fließt in einem steten Bächlein über die Fingerspitzen zu Boden, die Tänzerin hievt ihre Partnerin in die Höhe und schüttelt sie kopfüber so lange, bis Wasser aus ihr herausplätschert wie aus einer kleinen Gebirgsquelle.

Da ist es dann wieder, dieses Augenzwinkern. Da findet sich der feine Humor, der diesen Abend voll Nacktheit, Brutalität, Verletzlichkeit, aber auch Sanftmut durchdringt und selbst den Gedanken an den Tod oder die psychedelischen Momente, in denen es dann fast unerträglich laut aus den Musikboxen lärmt, erträglich macht.

Den Körper kann man nicht erfassen

Immer wieder geht es hier um Aufrütteln. Waltz will die in den Köpfen festsitzenden Stereotype dekonstruieren und greift dabei auch zum Trick der optischen Täuschung. In einem grandiosen Moment setzt sie einen Körper aus zwei Personen zusammen – wodurch sich Oberkörper und Beine unabhängig voneinander bewegen und drehen können. Das funktioniert so gut, dass man dieses Wesen als eigenen Körper wahrnimmt – einzigartig und originell. Einmal werden Menschen hinter Glas ausgestellt, sie drängen an die Scheiben wie Fische in einem überfüllten Verkaufsaquarium. Da sind die Körper plötzlich nichts als Fleisch, Ware.

Geschont wird nicht. Oft knallen Knie auf den Boden, krallen sich Nägel ins Fleisch, einmal knacken Hoden (es werden Eierschalen in der Faust sein, die den Intimbereich verdeckt). Was also ist der Körper? Ist er Schmerz? Ist er Begehren? Ist er ein Ding oder Energie? Man kann ihn vermessen (einmal heben die Tänzer einander quer in die Höhe und markieren die jeweilige Länge mit Kreide an der Wand), aber wirklich erfassen kann man ihn nicht. Er ist mehr als ein Ding, mehr als die Kraft, die von ihm ausgeht – und er ist, was er ist, auch durch die Beziehung zu den anderen Körpern, sagt Waltz. „Sogar, wenn wir allein sind. Denn wenn ich allein bin, dann nur, weil die anderen fehlen.“ Das glaubt man ihr gern nach diesem Abend.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.10.2015)

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