KHM: Ode an den Strandgut-Cellini

(C) Cornell Foun/ Bildrecht, Wien
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Joseph Cornell kennt hier keiner. Trotzdem dreht sich im Kunsthistorischen diesen Herbst alles um den New Yorker Wunderkammer-Surrealisten. Weil er so gut hierher passt.

Es ist eine spektakuläre Ausstellung. Mit einem großen Risiko, dass das niemand bemerkt. Weil der Österreicher tendiert, nur zu den Namen zu gehen, die er kennt, dessen ist sich KHM-Generalin Sabine Haag bewusst. Und Mr. Joseph Cornell kennt er sicher nicht. Trotzdem hat der Kurator fürs Zeitgenössische an diesem ersten Haus am Platz, Jasper Sharp, vier Jahre lang und viele Sponsoring-Verhandlungen später, diese erste Ausstellung des 1972 verstorbenen New Yorkers seit 30 Jahren in Europa auf die Beine gestellt. Sharp for Bundespräsident! Wenn er nicht Engländer wäre.

Jemand anderem als dem Lucian-Freud-Bringer von 2013 wäre das sowieso nicht gelungen, auch nicht mit der Royal Academy London als Partner an Bord: Die Sammlerschaft des mysteriösen Mr. Cornell ist nämlich eine verschworene, alle habe er persönlich abklappern und zur Leihgabe überreden müssen, um dann auffällig oft in den Schlafzimmern, sogar am Nachtkasterl das fragile Objekt der Begierde zu finden. Jetzt stehen sie nebeneinander aufgereiht, in einem fast sakralen Vitrinen-Umgang im Sonderausstellungssaal: 79 Schatullen, Schaukästchen, „Shadow Boxes“, Schächtelchen, befüllt mit Collagen, Assemblagen und Fundstücken, jedes eine ganz eigene, magische, surreale – aber positiv surreale Welt.

Weißer Zauber statt schwarzer Magie

Nicht der schwarze Zauber der Surrealisten, mit denen er in New York gemeinsam ausstellte, fasziniere ihn, so Cornell. Sondern der weiße Zauber. Das Spiel. Das Poetische. Ein Lädchen ist hier herausgezogen, man sieht Sand, Muscheln und silberne Kugeln darin. Ein altes, aufgeschlagenes Buch gibt einen in die Blätter geschnittenen Setzkasten frei mit mysteriösen Souvenirs. Die Mona Lisa darf zumindest im Verborgenen einmal ihre Hände betrachten – in einem Döschen ist ihr Gesicht auf den Boden, sind ihre verschränkten Hände in den Deckel geklebt. Velázquez „Meninas“-Infantin findet sich mit einem Kolibri unter einen Glassturz montiert. Ein Biedermeier-Mädchen schwebt an Seilen wie ein Heißluftballon himmelwärts.

Diese gefinkelte, nur mit ihrem Schatten funktionierende 3-D-Collage-Box kaufte einst die Wiener Ballerina Tilly Losch direkt von Cornell – er verehrte das Ballett und Tilly im Besonderen. Sie verehrte ihn (und lebte damals als verheiratete Countess of Carnarvon im heutigen Downton-Abbey-Schloss). Cornell war zu Lebzeiten ein Star, vor allem unter Künstlern, und ist es heute noch. Ein Artist-Artist, vor allem in den USA. Die er Zeit seines Lebens nie verließ, er war doch recht eigen, muss man sagen, Anhänger der Church of Christian Science, die an Heilung ausschließlich per Gebet glaubt, woran Cornell mit 69 Jahren wohl auch starb. Er lebte im Haus seiner Mutter mit seinem behinderten Bruder, den er pflegte, die er alle versorgte. Er arbeitete bis 1940 Vollzeit als Stoff-Vertreter, vor allem in Manhattan, wo er bei seinen Touren sammelte, sammelte, sammelte. Tausende Dinge, die er in Schachteln im Kelleratelier hortete. Schrullig? Cornell hatte die besten Galeristen, von Peggy Guggenheim bis zu Leo Castelli, hatte frühen Erfolg, stellte schon in den 50er-Jahren im MoMA aus. Er empfing täglich Besuche von Fans wie Hollywoodstar Tony Curtis, Andy Warhol, Marcel Duchamp und beschäftigte Assistentinnen, die einmal selbst ziemlich berühmt werden sollten, Carolee Schneemann (Performerin) oder Yayoi Kusama (derzeit teuerste Künstlerin).

Gossip gäbe es genug über diesen Mr. Cornell. Aber es gibt einfach zu viel zu sehen hier, zu viel zu genießen, gerade hier, in der Gegenüberstellung mit der Kunstkammer, für die ebenfalls das Wunderlichste, Staunen machendste gesammelt wurde, das nicht nur die Welt erklärt, sondern auch neue Welten öffnet. Im Saal gleich neben der Saliera hat man auch eine Art Flaschenpost aus der Zukunft, eine Botschaft Cornells, von einem Freund einmal „Benvenuto Cellini des Strandguts“ genannt, platziert: vier seiner diffizilen, auratischen, alchemistischen Basteleien. Sie fallen fast gar nicht auf.

Joseph Cornell, Fernweh, bis 10. Jänner 2016 im KHM.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2015)

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