Lentos: Rabenmütter und Rabenbratln

Trauerbild der Dadaistin Hannah Höch
Trauerbild der Dadaistin Hannah Höch(c) www.lentos.at
  • Drucken

Eine wundervolle Gruppenausstellung im Lentos versammelt ein Meer von Mutterbildern aus einem Jahrhundert. Es ist so wild, dass Moralisieren zumindest schwieriger wird.

Dafür kann man Kunst auch lieben: Sie gibt meist keine klaren Antworten, sie urteilt nicht, zeigt nicht mit dem Finger. Zum Beispiel auf „Rabenmütter“, so der an sich schon grandiose Titel der großen Herbstausstellung im Linzer Lentos. Kaum eine Diskussion wird medial oder privat moralisierender geführt. Sei es um die „regretting motherhood“, also Frauen, die ihre Mutterschaft bereuen, sei es um die bewusst gewählte Kinderfreiheit, die Helikopter-Mum, die Stilldauer, die Vereinbarkeit von – oh mein Gott. Alles Pulverfässer, die von jedem und jeder sofort und rücksichtslos gezündet werden, ob auf dem Spielplatz oder auf Facebook, wenn das nicht sowieso dasselbe ist.

Was aber macht man, wenn man plötzlich vor Ron Muecks unfassbar realistischer Miniaturfigur einer liegenden Frau steht, die gerade geboren haben muss: Das Neugeborene liegt leicht glänzend auf ihrem Bauch, die Nabelschnur führt noch zwischen die leicht angezogenen, gespreizten Beine. Und in diesem Moment hebt die Mutter leicht den Kopf mit den schwarzen, zurückgebundenen Haaren an, um das, was da aus ihr herausgekommen ist, erstmals zu mustern. Was für ein Blick. Ein völlig nichtssagender nämlich. Jeder, vor allem jede wird aus ihm etwas anderes lesen – totale Erschöpfung, ungläubiges Staunen, Liebe vielleicht gar.

Was fühlt man, wenn man das Gemälde einer geduldig stillenden Mutter betrachtet, aus dem heraus einen das Baby scharf fixiert – ist es traurig? Ängstlich? Verzweifelt? Und wenn ja, warum? Paula Modersohn-Becker malte es 1902. Unbedingt wollte diese so um Selbstbehauptung kämpfende Künstlerin selbst ein Kind. Sie starb 1907 im Kindbett.

Mutter mit Bier, Mutter im Tschador

Was empfindet man für die ältliche Mutter, die für die Fotografin Tina Barney mit dem erwachsenen Sohn Arm in Arm lacht und Bier trinkt? Was für die Mutter im Tschador, die ihren völlig nackten, mit wunderschönen Hennatattoos bemalten Buben der iranischen Fotografin Shirin Neshat präsentiert? Was dachte sich Dada-Künstlerin Hannah Höch nur fast 50 Jahre lang, dass sie bis zu ihrem Tod 1978 jeden Tag mit diesem, ihrem Sehnsuchtsbild über dem Bett einschlief und wieder aufwachte? Es zeigt sie als Mutter mit dem Kind im Arm, das sie sich von ihrem bereits verheirateten Geliebten und Künstlerpartner Raoul Hausmann so gewünscht hatte. Hinter der Mutteridylle ist im Dunkeln seine Fratze zu erkennen, als Saturn, der seine Kinder frisst. Höch hatte zwei Abtreibungen.

Dem Linzer Kuratorinnentrio Stella Rollig, Sabine Fellner und Elisabeth Nowak-Thaller ist eine wundervolle, gut strukturierte Ausstellung zu einem wahrlich schweren Thema gelungen. Es ist so herrlich zu merken, wie sehr man sich hier einmal treiben lassen kann, ohne schnelle Entrüstung, ohne schnelle Wertungen. Kein Bilderstrom, kein Bilderstrudel, ein Bildermeer ohne vorgegebene Richtung, ohne dahinter liegende Ideologie – nur mit der Erkenntnis: Das Mutterbild hat sich vielleicht gar nicht so verändert, wie wir gern glauben würden. Aber es ist sicher nicht einfacher geworden.

Die Ausstellung selbst war ebenfalls eine „schwere Geburt“ – schon allein die Modersohn-Becker-Leihgabe sei eine Herausforderung gewesen, so Nowak-Thaller. Und mit einem massiven Mutter-Sohn-Bild von Max Beckmann sei der deutsche Parade-Expressionist erstmals in Linz zu sehen, glaubt sie zu wissen. Picasso, Klimt, Schiele, sogar Lucian Freud sind ebenfalls vertreten. Wirklich nahe gehen einem aber – Klischee! – die Arbeiten der Frauen, ob selbst Mütter oder nicht. Sie offenbaren doch eine immanente Verletzbarkeit gegenüber einer sie permanent bewertenden Gesellschaft, der sich vielleicht nicht jede Frau anfangs immer bewusst ist. Aber irgendwann wird er zielsicher getroffen, der wunde Punkt. Ob „regretting“ oder „enjoying“ oder „working mum“. Oder gar keine Mum. Sondern Tochter.

Es ist einer der seltenen Momente, in denen einem im Museum die Tränen aufsteigen: Friedl vom Gröller (Kubelka) filmte 2011 ihre Mutter am Totenbett. Nur drei Minuten lang. In denen die Tochter sie liebkost. Die Enkelin kommt. Und die Großmutter ihr die Hand auf den prallen, runden Bauch legt. Es geht irgendwie weiter. Ob Rabenmutter oder Rabenbratl.

Rabenmütter“: bis 21.2., www.lentos.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.10.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.