Peter Sengl: Ich und Schiele

(c) Leopold Museum, Wien (Manfred Thumberger)
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Die Bürgerschreck-Superlative als "retrospektives Spektakel": Peter Sengls Malerei ist eine Ewigschleife greller Ismen wie Fetischismus, Sexismus, Populismus.

Versteckte Kamera? Geheime Dreharbeiten zu Siri Hustvedts Persiflage einer machistischen Kunstwelt („Die gleißende Welt“), in der eine Künstlerin drei Männerpseudonyme erfindet, um endlich Erfolg zu haben? Und wir alle sind ungefragte Statisten bei dieser Pressekonferenz im Leopold-Museum? Man könnte das besser nicht erfinden – diesen Mann mit Glatze, kariertem Maßanzug, polierten Schuhen und vielen großen Ringen an den Fingern. Nein, es ist nicht Markus Lüpertz, sondern die österreichische Version dieser Malerfürsten-Attitüde, Peter Sengl, Jg. 1945. Rundum hängen seine jüngsten Bilder, extra für dieses „retrospektive Spektakel“ (Wandtext) im Leopold-Museum gemacht: Eine Art Malerei-Bombing (statt Photobombing) von „Ikonen“ der Wiener Moderne, Sengl in immer selber lässiger Denkerpose, in immer anderem exaltiertem Dandy-Aufzug hineinmontiert in Schieles „Hockende Frauen“, Egger-Lienz' „Totentanz“, Klimts „Tod und Leben“ etc.

Total postmodern, nennt das Gast-Kurator Carl Aigner (Vorstandsmitglied Leopold-Stiftung). Sengls Bilder speisen sich eben aus der Kunstgeschichte. In diesem Fall drängt er sich ihr schlicht auf. Was für ein Ego muss man für so eine Aktion haben? Was für ein Werk? Zumindest wohl eines der „eigenwilligsten und prägnantesten“ der österreichischen Gegenwartskunst, steht da. Sicher ist es eines der konsequentesten: seit den Sechzigerjahren konsequent grell und sexistisch, kombiniert mit dem Malermann im Maßanzug also der kultivierte Bürgerschreck schlechthin.

Wie Tagada-Fahren im Museum

Ärsche und Riesentitten und Corsagen und Pin-up-Ästhetik paaren sich hier mit offensichtlich Abgründigem wie Prothesen, Totenköpfen und allerlei Getier, dem Menschen „auf Augenhöhe“ begegnend, so Aigner. Das Ganze gern in sattem Rot und Schwarz, Weiß gehalten – eindeutig Sengl.

Es ist diese brüllend laute, völlig unzweideutige Erotik-Bildsprache einer Malerei, die man sonst nur aus dem Vorbeirauschen kennt: Im Break Dance sitzend, im Tagada oder sonstigen Prater-Nervenbahnen – zum Kreischen jedenfalls. Sengl kombiniert diese Oberfläche natürlich geschickt mit Versatzstücken einer Wiener Avantgarde-Tradition von Pichler und Gironcoli, die in ihren Zeichnungen und Skulpturen das Grauen eines Hybrids zwischen Mensch und Maschine entwickelten. Subtil. Hier wird das alles zum vorhersehbaren Horror, „vorgewusste Sensibilität“ nannte ein deutscher Kunsthistoriker diese Art künstlerischen Kalküls einmal (bezogen allerdings auf eine ganz andere Tränendrück-Partie, auf Anselm Kiefer).

Die Kombi mit der Morbidität, bei Sengl mit Totentanz, Tango und Tierköpfen, ist aber natürlich unschlagbar spürbar in den Eingeweiden der Betrachter. Das geht direkt hinein. Wie die ausgestopfte Kuh, die direkt aus dem Atelier des Künstlers ins Museum geliefert wurde. Damien Hirst, schau oba! Nein, sie ist ein Souvenir aus Peter Greenaways Wiener Ausstellung von 1992, „100 Objekte zeigen die Welt“ (nicht 1000, wie im Pressetext erzählt wird, immer diese Superlative . . .) Hier erzählt die Kuh vor allem von einer toten Kuh in einer Ausstellung. Platziert vor einem Paravent u. a. bemalt mit Frauen, aus deren Brüsten schwarze Spitzen wachsen, und einem Männertorso auf allen Vieren (zwei davon sind Rollen), der einen Rückenakt mit Corsage balanciert. Und ja, das ist sexistisch, denn die nackerten Männer posieren vergleichsweise selten aufreizend, sie leiden lieber. Maria Magdalena, Hl. Sebastian und der Kadaver. Man versteht Kurator Aigner, der sagte, dass es „ein Martyrium war, die Auswahl für diese Ausstellung zu treffen“. („Bei so einem reichen Werk.“)

Sengl malt. Eine Retrospektive: bis 8. Februar.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.10.2015)

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