Vienna Art Week: Diskurs über die Rettung der Welt

Solidarität. Lisl Ponger gibt Aktivistinnen in ihren inszenierten Fotografien und Videos eine Stimme.
Solidarität. Lisl Ponger gibt Aktivistinnen in ihren inszenierten Fotografien und Videos eine Stimme.(c) Lisl Ponger
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Mit ihrem Leitthema „Creating Common Good“ gibt sich die Vienna Art Week in ihrer heurigen Ausgabe politisch.

Mit ihrem umfangreichen Diskursangebot ist die Vienna Art Week, die nunmehr zum elften Mal in Museen, Galerien, Ateliers und Offspaces über die Bühne geht, ein Kind des 21. Jahrhunderts. Getragen vom Art Cluster Vienna – einem Zusammenschluss der 29 wichtigsten Kunstinstitutionen der Stadt – ist sie mit jeder Ausgabe schärfer und schlagkräftiger geworden. Nach den elitären Anfängen als Veranstaltungsformat für ein geschlossenes Expertenpublikum öffnete sich die Kunstwoche zusehends in verschiedene Richtungen. Mit einem dichten Programm – angefangen bei Vernissagen, Ausstellungsgesprächen und Buchpräsentationen über hochkarätig besetzte Podiumsdiskussionen, Workshops, Dialogführungen bis hin zu Performances, Künstlergesprächen und Atelierbesuchen – etablierte sie sich als eine Plattform, die es dem interessierten Publikum ermöglicht, auch einmal einen Blick hinter die Kulissen zu tun und dabei vielleicht den einen oder anderen Protagonisten der Kunstszene persönlich kennenzulernen.

Machtanalyse. Das diesjährige Leitthema „Creating Common Good“ (übersetzt etwa „Gemeinwohl schaffen“) für die Kunstwoche mutet politischer denn je an. Der Fokus auf das Gemeinwohl fungiert dabei nicht nur als ideelle Anregung für die Programmpartner. Das Generalthema steht erstmals auch im Zentrum einer Hauptausstellung im Kunsthaus Wien. Über dreißig internationale und österreichische Künstlerinnen und Künstler haben die Kuratoren Ursula Maria Probst und Robert Punkenhofer, der auch der künstlerische Leiter der Vienna Art Week ist, dafür eingeladen.

Sensenmann. Technik und Natur lässt Axel Stockburger im Video „Reaper“ aufeinanderprallen.
Sensenmann. Technik und Natur lässt Axel Stockburger im Video „Reaper“ aufeinanderprallen.(c) Axel Stockburger

Das Spektrum reicht von den machtanalytischen Porträts Leon Golubs oder Martha Roslers kritischen Videos bis zu den bronzenen Organ-Skulpturen, mit denen das niederländische Kollektiv Atelier von
Lieshout die Metabolismen der Gesellschaft anprangert. „Die Fragestellung für uns lautete: Wie kann Kunst gesellschaftlich wirksam werden?“, sagt Ursula Maria Probst. „Während wir in Österreich nicht unbedingt den Eindruck haben, als müssten wir uns mit Kunst artikulieren, wird in Ländern wie Kuba, China, Russland, wo die Meinungsfreiheit stark eingeschränkt ist, viel Hoffnung gerade in Kunst gesetzt. Die Kunst ist dort ein Transmitter, um Dinge deutlich zu artikulieren. Zugleich beweisen die Künstler sehr viel Mut, indem sie für die Kunst manchmal sogar ihr Leben riskieren.“ Die Bandbreite des Gezeigten umfasst klassische Malerei und Skulptur ebenso wie Installationen, Sound-Arbeiten, Videos und Performances. Peter Friedl etwa zitiert in seinen Aquarellen historische Persönlichkeiten wie den englischen Ökonomen Robert Malthus, der bereits im Jahr 1798 in einem Essay erstmals das Problem der Überbevölkerung behandelte.

Kritik am Krieg. Ein verwundeter Spielzeugsoldat bläst die US-Hymne in Martha Roslers „Prototype“.
Kritik am Krieg. Ein verwundeter Spielzeugsoldat bläst die US-Hymne in Martha Roslers „Prototype“.(c) Electronic Arts Intermix

Bernhard Cella lässt in einem Re-Enactment Protagonisten der italienischen Kunstszene zur Verkümmerung des Gemeinwohls in der Ära Berlusconi zu Wort kommen. Ines Doujak steuert eine Hymne über die Krise bei. Jorge Galindo & Santiago Sierra lassen in ihrem Video schwarze Limousinen auffahren, auf denen auf dem Kopf stehende Politikerporträts montiert sind – ein Verweis auf die perversen Netzwerke der Macht. Lisl Ponger gibt in aktivistischen Videos und Fotografien von inszenierten Demonstrationen Schülerinnen, Migrantinnen, Frauenrechtlerinnen eine Stimme. „Ich wünsche mir eine Kunst, die politisch ist und mitgestaltet“, sagt Probst. „Gerade jetzt, angesichts der Flüchtlingsproblematik, die ja nur eine Folge der ökonomischen Gesamtsituation ist, ist die Kunst sehr gefordert, weil sie andere Inhalte und eine andere Ethik einbringen kann.“

Kinderarmut. Punkenhofer, der in seiner Funktion als Außenhandelsdelegierter seit vielen Jahren in verschiedenen Ländern der Welt lebt, aktuell in Barcelona, führt für die Themenfindung auch persönliche Gründe ins Treffen. „Wir sind heute an allen Ecken mit systemischer Korruption konfrontiert. Wenn ich heute in Barcelona vors Haus gehe“, sagt er, „sehe ich schwarze Immigranten als Bettler und Miststierler – das kannte ich bis jetzt nur aus Mexiko. Spanien selbst hat eine Kinderarmut von elf Prozent. Oder nehmen Sie das System der Überwachung, bei dem wir alle freiwillig mitmachen. Das ist ein Zirkel, dem man nicht mehr entkommt! Ich verstehe nicht, wie das Gemeinwohl so heruntergefahren werden konnte.“ Ob die Welt mit Kunst gerettet werden kann? Punkenhofer: „Ich sehe die Künstler nicht in einer politischen Verantwortung. Aber sie haben, wie auch wir Kuratoren, das Sensorium, die Bildung und die Netzwerke, um etwas zu machen. Die Künstler und die Intellektuellen sind die, die hellhörig sein, protestieren und aufzeigen müssen.“ Eine wichtige Rolle spielen für ihn dabei die Museen. „In den USA findet schon länger eine Debatte darüber statt, dass der Museumsbesuch nicht ein Ersatz für das Kaffeekränzchen am Sonntagnachmittag sein darf. Dieses Bewusstsein gilt es auch hier zu schärfen.“ Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund erweist sich das Kunsthaus Wien im Hundertwasserhaus als idealer Rahmen für die Ausstellung.

Fingerzeig. Geschichte und Geschichten kommentiert Peter Friedl in lyrischen Papierarbeiten.
Fingerzeig. Geschichte und Geschichten kommentiert Peter Friedl in lyrischen Papierarbeiten.(c) Peter Friedl

Direktorin und Hausherrin Bettina Leidl bemerkt dazu: „Auch Hundertwassers Vision ist ein gesellschaftspolitisches Statement: für die Nachwelt, für einen ressourcenschonenden Umgang mit der Natur, gegen den Biokapitalismus. Es erscheint mir wichtig, dass das Thema Gemeinwohl auch in einer Ausstellung aufgegriffen wird. Es geht ja auch um Werte wie Vertrauensbildung, Solidarität, Nachhaltigkeit.“

Tipp

Vienna Art Week. Von 16. bis 22. 11. „Creating Common Good“ im Kunsthaus Wien läuft bis 13.12. Am 20. 11.: eine Lecture von Saskia Sassen.

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