Hunger Games der Kunst

Das Band, das euch bindet: Nilbar Güres gewann mit „Promising Hands“, 2014, den heurigen BC21-Preis im 21er Haus.
Das Band, das euch bindet: Nilbar Güres gewann mit „Promising Hands“, 2014, den heurigen BC21-Preis im 21er Haus.(c) Güres/Belvedere
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Preise für junge Künstler sind eine seltsame Angelegenheit: Am Ende zählen Geld und emotionale Unterstützung. Heuer übrigens fast nur für Künstlerinnen.

In der Ecke steht ein Haufen aufgetürmter Wolle. Wessen Hände ragen da heraus und wieso halten sie so ein merkwürdiges Band? „Promised Hands“ nennt Nilbar Güres dieses Werk, das im 21er Haus zu sehen ist. Das Band habe sie in Brasilien gefunden, erklärt sie. Es sei Teil des Verlobungsrituals eines indigenen Volkes: Wer das Band akzeptiert, stecke das Ende über seinen Finger – eine Art Ehering also.

Diese mysteriöse, seltsam gewaltsame und doch wunderschöne Skulptur konnte die Jury des BC21 Art Award überzeugen. Die 1977 in Istanbul geborene Künstlerin, die in Wien studierte, gewann damit heuer den mit 20.000 Euro dotierten Preis, den die Boston Consulting Group zusammen mit dem Museum Belvedere seit 2008 alle zwei Jahre vergibt. Es ist nicht Güres' erster Preis, 2014 hat sie bereits den mit 11.000 Euro verbundenen Otto-Mauer-Preis (OMP) erhalten.

Das Beste daran ist das Geld

1981 in Erinnerung an den kunstfördernden Priester von der Erzdiözese Wien gestiftet, wird der Preis jährlich an junge Künstler unter 40 Jahren vergeben. Die Liste der Preisempfänger ist prominent, 1986 Franz West, 1993 Heimo Zobernig (der gerade in eine andere Preiskategorie vorgestoßen ist: Er bekommt den heurigen Roswitha-Haftmann-Preis, mit 150.000 CHF der höchstdotierte Europas). Über die beiden Preise sei Güres jedenfalls freudig überrascht gewesen, erzählt sie, aber: „Preise allgemein bedeuten mir nicht viel. Das Beste daran ist das Geld, weil man als Künstlerin immer in finanzieller Unsicherheit lebt.“

Gerade wurde auch die heurige Otto-Mauer-Preisträgerin bekannt gegeben – die Preisträgerin des seit 2005 vergebenen, ähnlich aufgestellten Kardinal-König-Preises steht mit Julia Haller schon länger fest: Den diesjährigen OMP erhält die 36-jährige Catrin Bolt. Anders als bei den meisten Preisen können die Künstler sich für den OMP selbst bewerben, man treffe sich dort jedes Jahr während der drei Einreichungstage, erzählt Bolt.

Auch dieses Jahr habe sie ihre Unterlagen „routinemäßig“ wieder abgegeben und sei dann völlig überrascht gewesen, als einige Tage später der Juryvorsitzende anrief. Er las ihr die Jurybegründung vor, in der es heißt, Bolt „bewegt sich bewusst außerhalb des Kunstestablishments und fungiert als genaue Beobachterin von gesellschaftspolitischen Entwicklungen“.

Kunstpreise sind eine interessante Einrichtung. Einerseits orientieren sich die Entscheidungen am Kunstmarkt, komplette Außenseiter haben keine Chance. Andererseits werden damit außergewöhnliche Werke hervorgehoben. Denn Preise sind als Langzeitmarketing angelegt, sie werden in jeder Künstlerbiografie weitergetragen. Es ist eine lebenslange Verbindung, die an das Band in Güres' Werk erinnert. Preise generieren Aufmerksamkeit, für beide Seiten. Und sie dienen oft als erste gesellschaftliche Anerkennung.

Das bestätigt auch der Maler Siggi Hofer: Der 2006 erhaltene Strabag-Preis sei für ihn als allererste Auszeichnung „emotional wichtiger“ gewesen als der drei Jahre später zugesprochene OPM. Aber folgt darauf auch etwas? Museumsankäufe, erhöhen sich die Preise für die Werke? Nichts davon, bestätigen die meisten Preisträger. Bringt es Ruhm? Auch da passiere nichts Auffälliges, bestätigt Hofer. Aber Preise wirken als „Anschubser“ und geben einem einen „Aufwind, weil man sich unterstützt fühlt“, erinnert er sich.

Und sie sind oft ein Schritt in die internationale Aufmerksamkeit, etwa durch eine große Ausstellung wie beim zweijährlichen Berliner Preis der Nationalgalerie. Auch hier ist heuer übrigens eine Künstlerin gewählt worden: Anne Imhof, deren Körpertheater mit Tänzern und Tieren überzeugt hat.

Gerade wurde auch der erst 2013 initiierte Lorck Schive Prize in Norwegen vergeben. Austragungsort ist das Kunstmuseum im gut 500 Kilometer nördlich von Oslo gelegenen Trondheim. Ähnlich wie beim englischen Turner Prize werden auch hier von einer Jury vier Kandidaten nominiert, die ein neues Werk herstellen, für das ihnen je 15.000 Euro Produktionsgeld gegeben wird. Eine weitere Jury wählt dann den Sieger, der noch einmal 50.000 Euro erhält.

Frauen dominieren heuer Preise

Gewonnen hat heuer auch hier eine Frau, die 1963 geborene Vanessa Baird mit ihrem Raum voller Zeichnungen. Elf Monate lang arbeitete sie daran. Auf langen, von der Decke bis zum Boden reichenden Bahnen sehen wir zunächst hübsch-harmlose Wellen. Aber schon zwei Bahnen weiter ist das Meer angefüllt mit Ertrinkenden. Tote Kinder, leere Schwimmreifen, schreiende Gesichter – Bilder von Flüchtlingen, wie Baird erklärt. Einige Bahnen weiter lenkt sie unseren Blick dann in eine häusliche Welt voll hartem Sex, Vergewaltigung, Alkoholismus, Wahn – in das „Chaos, in dem jeder von uns lebt“, wie sie lakonisch feststellt: die Hölle, die findet auf der Erde statt.

Bairds Kommentar zu dem Preis ist ähnlich drastisch wie ihre Zeichnungen: Es erinnert sie an die „Hungerspiele“, die verfilmte Buchtrilogie von Suzanne Collins: „Einer von vieren kann durch den Preis ein normales Leben führen.“ Die anderen allerdings müssen nicht wie in den „Hungerspielen“ sterben, sondern können von der medialen Aufmerksamkeit profitieren – in England etwa stehen die Kandidaten des Turner Prize monatelang unter Beobachtung. Dort wird auf den renommierten Preis gewettet, momentan steht die Quote auf Sieg für Bonnie Camplin mit ihrem Video über Verschwörungstheorien.

Aber auf welches Siegerpotenzial wird mit Preisen gesetzt, auf die Person oder das Werk, worum wird das Band gelegt? Catrin Bolt zumindest entschied, dass bei dem OMP sie selbst, nicht ihre Arbeiten im Mittelpunkt stehen. Zusätzlich zum Preisgeld erhält sie eine Ausstellung im Jesuitenforum, wo sie ab 5. Dezember keine Kunst, sondern sich selbst in den Blick rückt – mehr darf nicht verraten werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2015)

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