Syriens Denkmal-Chef: "Es sind Barbaren"

Palmyras Triumphbogen steht nicht mehr: Im Oktober wurde er vom IS gesprengt. „Es ist ihnen egal, ob es ein religiöser Bau war oder nicht“, sagt Maanoun Abdulkarim, Generaldirektor für Altertümer und Museen in Syrien.
Palmyras Triumphbogen steht nicht mehr: Im Oktober wurde er vom IS gesprengt. „Es ist ihnen egal, ob es ein religiöser Bau war oder nicht“, sagt Maanoun Abdulkarim, Generaldirektor für Altertümer und Museen in Syrien.(c) APA/EPA/YOUSSEF BADAWI
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Maanoun Abdulkarim nennt sich selbst den "unglücklichsten Museumsdirektor der Welt". Seine Mitarbeiter versuchen, im Bürgerkriegszustand archäologische Stätten zu bewahren. Europa soll helfen, Schwarzhandel zu bekämpfen.

Seinen Job will momentan niemand haben in der internationalen Kultur-Community: „Ich bin der unglücklichste Museumsdirektor der Welt“, sagt Maanoun Abdulkarim über sich selbst. Er ist Generaldirektor für Altertümer und Museen in Syrien, in Österreich wäre das zu vergleichen mit dem Chef von Bundesdenkmalamt und Bundesmuseen zusammen. Abdulkarim ist gerade auf Europa-Tour, dieser Tage ist er in Wien, wo er gestern, Donnerstag, Abend auf Einladung des Internationalen Museumsrats (Icom) im Kunsthistorischen Museum diskutierte: „Ist Palmyra noch zu retten?“

Ist es nicht, wenn es nicht in den nächsten sechs Monaten aus der Geiselhaft des IS befreit wird, so Abdulkarim im Gespräch mit der „Presse“ in einem Wiener Café. Im Mai wurde die 1980 zum Unesco-Weltkulturerbe ernannte antike Ruinenstadt vom IS eingenommen. „Ich stehe noch immer unter Schock, dass das überhaupt geschehen konnte“, sagt der Archäologe. Seither zählt er jeden Tag der Besetzung, denn die provokant inszenierte Zerstörung ist enorm: Sie gipfelte darin, dass der Grandseigneur der Ausgrabungsstätte, Khaled Asaad, geköpft wurde, nachdem er die Kollaboration verweigert hatte. Mittlerweile wurden zwei Tempel, eine monumentale Löwenskulptur und zuletzt, im Oktober, der Triumphbogen gesprengt. „Es sind Barbaren“, sagt Abdulkarim.

Laufend Fotos der Zerstörung am Handy

Er fordert einen militärischen Masterplan der internationalen Staatengemeinschaft, um Palmyra zu retten. Zukünftige Generationen würden eine Tatenlosigkeit im Nachhinein nur verurteilen können. Noch dazu, wo die Frontlinie nur zwei, drei Kilometer von Palmyra entfernt liege. Tagtäglich bekommt Abdulkarim über WhatsApp Fotos seiner Mitarbeiter über Zerstörungen und Plünderungen von den 10.000 archäologischen Stätten Syriens. 2500 Leute sind beschäftigt, bekommen ein Gehalt, egal, ob sie in Gebieten der Opposition, des IS oder des Assad-Regimes leben. Sie dokumentieren und versuchen zu retten, was zu retten ist. „Ich kann oft nicht schlafen“, sagt Abdulkarim, „immer wenn das Telefon läutet, das ich nie abdrehe, weiß ich nicht, was es diesmal ist.“ Aber der Archäologe musste den Job annehmen, er tat es unter der Bedingung, unabhängig vom Regime zu sein, er bekomme auch kein Gehalt. Das Erste, was er tat, als der Bürgerkrieg eskalierte, war, alle Museen zu schließen und die mobilen Exponate nach Damaskus zu holen. „99 Prozent haben wir so sichern können, 300.000 Objekte.“ Sie wurden archiviert, verpackt und an geheimen Orten gelagert.

Die Geschichte erinnert an die Rettung von Kunstwerken vor Kriegsschäden im Zweiten Weltkrieg und deren spätere Bergung. „Wir haben aber keine Monument Men“, sagt Abdulkarim stolz, „sondern Monument Women!“ Eine der großen Operationen – elf Stunden mit drei Lastwagen voll mit 24.000 Objekten – leitete eine 25-jährige Archäologin. Die politische Ausrichtung seiner Studierenden interessiere ihn übrigens nicht, meint der langjährige Archäologieprofessor, der selbst kurdisch-armenischer Abstammung ist: „Am Ende sind wir alle Archäologen und wollen das Erbe retten.“

Mit drei Arten von Zerstörung hat er zu kämpfen: den symbolischen Vandalenakten wie in Palmyra, den Kriegsschäden wie in Aleppo und seit 2013 den Plünderungen – so wurden die berühmten Grabungsstätten Mari und Dura Europos großteils zerstört. „Der IS gibt der lokalen Bevölkerung, einfachsten Leuten, die Bewilligung zu graben, was sogar mit Bulldozern getan wird. Der Erlös durch den Verkauf dieser Beute wird dann mit dem IS geteilt.“

Um ein Bewusstsein für diesen illegalen Handel und dessen Folge – nämlich die direkte Finanzierung des IS – zu schaffen, ist Abdulkarim auf einer Art Europa-Tour. Früher ist er öfter mit seinen Kontaktaufnahmen gescheitert, „weil wir öffentlich, staatlich sind, wie der Denkmalschutz es überall ist“. Aber heuer gelang ihm die Vernetzung schon besser. „Wenn man nicht mit uns zusammenarbeitet, unterstützt man damit automatisch die Mafia“, betont er. Und diese ist enorm aktiv, 6500 gestohlene Artefakte hat die syrische Polizei bisher beschlagnahmt. An der Grenze zum Libanon, dessen Behörden als einzige eines Nachbarlandes mit ihnen zusammenarbeite, so Abdulkarim, waren es mehrere hundert. Die Türken hätten rund 2000 Objekte an den Grenzen abgefangen, das wisse er. „Aber wir wissen nicht, welche, Fotos werden uns trotz Interventionen verweigert“, beklagt der Denkmal-Chef.

Ausgehend von einer französischen Initiative – der Louvre-Direktor arbeitete gerade einen Punkteplan aus – soll Europa jetzt den illegalen Handel mit syrischem Raubgut erschweren. Auch Österreichs Kulturminister, Josef Ostermayer, sprach sich zumindest für einen der Punkte aus, das „Asyl für Kulturgut“: Sichergestellte Objekte sollen „Asyl“ erhalten, bis sie zurückgegeben werden können. Die Icom hat dazu einen eigenen Folder herausgegeben, der allen Käufern empfiehlt, Objekte aus Syrien, aber auch aus dem Irak, besonderen Herkunftskontrollen zu unterziehen. Am besten über einen Kontakt mit den zuständigen Denkmalbehörden wie der von Abdulkarim. Zu beneiden ist er tatsächlich nicht: „Ich hasse meinen Job. Am liebsten wollte ich im Vorjahr kündigen. Aber ich kann jetzt natürlich nicht weg.“

ZUR PERSON


Maamoun Abdulkarim ist seit 2012 Generaldirektor für Altertümer und Museen in Syrien. Davor war er Professor für Archäologie in Damaskus. Er wurde von Icom-Österreich zu den Palmyra-Gesprächen ins KHM eingeladen. [ Daniel Novotny]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.12.2015)

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