Museen und Theater: wo die wilden Kerle fehlen

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In Museen und Theatern hat sich eine neue Generation gut etabliert. Direktoren sind heute weniger kantig und glamourös als früher, was auch ein Nachteil sein kann.

Frech! Auf YouTube warb bis vor Kurzem Wiens Schauspielhaus unter seinem neuen Leiter, Tomas Schweigen, mit einem Spot, in dem das Burgtheater mit seinem Pathos aufs Korn genommen wurde. Ob Schweigen mit Kreationen wie „Punk & Politik“ oder einer neuen Version von Schnitzlers „Grünem Kakadu“ in die Fußstapfen seines Vorgängers, des beachtlichen Trend-Scouts Andreas Beck, treten kann, ist noch ungewiss. Fix ist aber: Hohles Pathos gibt es in der Burg kaum mehr. Dass viel Energie notwendig ist, um den großen Raum zu erfüllen, steht aber fest.

Die angesehene Fachzeitschrift „Theater heute“ kürte das Burgtheater heuer zum Theater des Jahres. Zu Recht, Direktorin Karin Bergmann hat das Haus nach der Krise klug neu aufgestellt. Wer eine Woche durch Wiens Großbühnen streift und Karten selbst kauft, was Kritiker ja selten tun, wird freilich feststellen: Der Zustrom lässt zu wünschen übrig – und die Senioren überwiegen. Vor allem die neue Volkstheater-Direktorin, Anna Badora, die in Graz oft so erfrischend und originell unterwegs war, konnte beim Wiener Publikum noch nicht landen.


Debatten. Nach dem eher kulinarischen Kurs, den Vorgänger Michael Schottenberg zuletzt im Volkstheater fuhr, wirken Aufführungen wie „Fasching“ von Gerhard Fritsch spröde, und Nestroys „Zu ebener Erde“ erwies sich als Spaßbremse. Aber über welches Stück in welchem Wiener Theater wird heute schon breit diskutiert? Wo gab es den letzten gesellschaftspolitischen Aufreger, der auch über die Barrieren der Kulturressorts drang?

Im Februar bringt Claus Peymann im Burgtheater eine Handke-Uraufführung heraus. Sein Wiedererscheinen in Wien erinnert daran, dass er es verstand, das Theater immer wieder ins Gespräch zu bringen, was seinerzeit umstritten, aber auch eine Form von Marketing war. Die Bühnenkunst hat von der 1968er-Revolution profitiert, von der Popkultur, von Videos und anderen visuellen Effekten, Alltagserlebnissen – und besonders von der Performance. Was jetzt? Wo kommt neuer Stoff her? In Wien inszenieren nun einmal oft dieselben Regisseure, und es spielen dieselben Schauspieler. Eine Erweiterung hin zu neuen Kräften, inhaltlich wie personell, wäre günstig. Das heißt nicht, dass man die etablierten „Lieblinge“ entfernen muss.


Jugend. Außerdem braucht Theater mehr Theater: ein paar glamouröse, wilde Kerle, Damen wie Herren, die Identifikationsfiguren für die breitere Öffentlichkeit, vor allem für die Jugend sind. Auffällige Persönlichkeiten könnten darauf hinweisen, dass Kunst, auch Bühnenkunst, nicht nur im elfenbeinernen Turm die vielschichtige Gruppe der Bürger begeistert oder ärgert, sondern auch eine politische und weltanschauliche Funktion hat. Diese ist in der multikulturellen Gesellschaft der rasch wachsenden Großstadt Wien, aber auch außerhalb, wichtiger denn je. Die „alte Garde“ sorgte für Skandale, echte oder angebliche, ästhetische oder finanzielle, jedenfalls hatte sie ein Gespür für Diskussionsstoff.

Die „Neuen“ agieren meistens engagiert, auch manchmal einfallsreich, aber sie scheinen stiller, braver, angepasster zu sein, was langfristig zu wenig ist, um das gewaltige heimische Kulturangebot an entsprechend viele Frauen und Männer zu bringen.


Egomanen. Ähnlich stellt sich die Situation in der Nachbarfraktion, der bildenden Kunst, dar. Peter Noever, Gerald Matt, Wilfried Seipel, Edelbert Koeb – ob man sie mochte oder nicht, langweilig wurde es jedenfalls nicht mit ihnen. Sie hatten Charisma und Überzeugungskraft und konnten, wenn sie wollten, ungemein mobilisieren. Sie hatten Visionen! Utopien! Und vor allem mit Ausrufezeichen! Doch sie waren mitunter tendenziös, nicht gerade sparsam und ungemein egomanisch.

Wer außerhalb der Szene kennt heute die Namen der Direktoren von Kunsthalle Wien, MAK, Mumok oder KHM? So unterschiedlich ihre Erfolge, ihre Programme und ihre Charaktere – laute Selbstdarsteller sind zumindest Sabine Haag (KHM), Christoph Thun-Hohenstein (MAK) und Karola Kraus (Mumok) keine. Ihr Nachbar Nicolaus Schafhausen (Kunsthalle Wien) pflegt zwar die gediegene Ansage, bleibt aber immer in seinem sicheren Diskurszirkel in Deckung.

Man kann es als Kulturmanager heute anscheinend nicht recht machen: zu laut, dann heißt es gleich wieder, er oder sie stelle die eigene Persönlichkeit vor das Haus und die Kunst. Zu leise heißt gleich auch zu langweilig, zu wenig Öffentlichkeits- und auch sponsorenwirksam. Ein Mittelding? Vielleicht wird das Matti Bunzl (Wien-Museum) gelingen. Klaus-Albrecht Schröder (Albertina) und Agnes Husslein (Belvedere) sind noch die letzten „Dinosaurier“, unangreifbar aufgrund der guten Besucherzahlen, stark in der Meinung, stark im Programm, bestens vernetzt. Schröder hat zuletzt sogar noch eine Expansion geschafft, die Albertina wird das Künstlerhaus mit österreichischer Malerei bespielen.

Der Punkt ist auch – die Kulturpolitik braucht starke Einsager, starke Charaktere, um sich überzeugen, um sich begeistern zu lassen. Fehlt das, dann stagniert alles. Und das ist schlecht für Österreichs Außenwirkung. Denn das Einzige, wofür Österreich weltberühmt ist, sind Kunst und Kultur. Nicht Sport, nicht Außenpolitik, nicht Wirtschaft. Das sollte all jenen Politikern und Gremien, die zukünftig Führungspersonen von Theatern, Museen und Musikhäusern bestellen, zu denken geben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.12.2015)

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