Sammlung Verbund: Kunst mit Schnullern und Strapsen

Sexpuppe, Modepüppchen oder Super-Mum? Aus Bertlmanns „Hokus Focus Fidibus“-Serie, 1989.
Sexpuppe, Modepüppchen oder Super-Mum? Aus Bertlmanns „Hokus Focus Fidibus“-Serie, 1989.(c) Bertlmann
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Die Wiener Künstlerin Renate Bertlmann zeigt einen Querschnitt ihres 50 Jahre umfassenden feministischen Werks. Es wurde bisher radikal unterschätzt.

Zur Verbitterung neige sie nicht, meint Renate Bertlmann trocken auf die Frage, ob sie angesichts institutionell erfolgreicherer Künstlerinnenkarrieren manchmal nicht „Hallo“ zum gelben Neid sage. Grund dazu hätte sie, denn das in über 50 Jahren entstandene beeindruckende Werk der Wienerin ist im Vergleich zu anderen radikal unterbewertet. Was sich in den vergangenen Jahren ein wenig zu ändern scheint, davon erzählt nicht zuletzt Bertlmanns gestern in der Wiener Verbund-Zentrale eröffnete retrospektive Einzelausstellung.

Klingt zunächst seltsam, dass gerade eine Ausstellung im Stiegenhaus eines Stromerzeugers einen Karriereschub bedeuten kann. Aber in den vergangenen zwölf Jahren, in denen Gabriele Schor die Sammlung des Konzerns leitet, ist etwas gelungen, was selten für derartige Unternehmungen ist: Die Verbund-Sammlung wurde zum Kompetenzzentrum für Künstlerinnen der 1960er- und 1970er-Jahre, Schor prägte für sie den Begriff „Feministische Avantgarde“, eine gleichnamige Sammlungsausstellung tourt durch die Welt. Nächsten Mai wird sie endlich auch im Wiener Mumok Station machen, das (bisher) nichts von Bertlmann in der eigenen Sammlung hat.

Vorläuferin zu Cindy Sherman

Der Verbund besitzt 40 Arbeiten der Künstlerin und gab jetzt einen prächtigen Werkkatalog heraus, mitgeschrieben von Jessica Morgan, früher Kuratorin bei der Tate London, jetzt bei der Dia Art Foundation New York. Eine wichtige internationale Vernetzung, die Bertlmann auch in Zusammenhang mit Künstlerinnen wie Cindy Sherman rücken könnte. Hat die US-Künstlerin Mitte der 1970er mit ihren berühmten Fotoserien von Rollenspielen begonnen, existieren von Bertlmann ähnliche Fotos schon von 1969. Das spielerische Ausbrechen aus den eingefahrenen Rollen (sorgende Mutter, Sexobjekt), die der Frau in der Gesellschaft eingeräumt wurden, beschäftigte damals anscheinend kritische Künstlerinnen in der ganzen westlichen Welt.

Doch Bertlmann blieb nicht beim coolen Posing in den damenhaften Gewändern der Mutter. Das Markenzeichen der auffällig schönen Frau wurde schließlich ihr Mut zur Hässlichkeit, wenn sie sich verkleidet als schwangere Braut mit Schnuller-Masken-Fratze mit Messern bewerfen ließ. Wenn sie Hans Bellmers Lolita-Torsi zu sanften schwangeren Torsi mit Strapsen und phallischem Kopfteil weiter zeichnete. Wenn sie sich den Rollstuhl als Transportmittel aussucht, um auch die Behinderungen im Geschlechterverhältnis zu symbolisieren. Gleich beim Eingang zum Verbund etwa steht so ein knallrosa Pop-Art-Rollstuhl aus Plexiglas.

Plastik und Latex sind Bertlmanns Materialien. Objekte der Versorgung, des Begehrens, des Luststillens werden bei ihr zu Körperteilen: Babysauger verlängern wie Fingerhüte die Hände zu froschartigen Tentakeln tapsiger Zärtlichkeit. Zwei aufgeblasene Kondome schmiegen sich am Foto an- und ineinander wie glitschige Brüste. Aus dem Brautstrauß wachsen statt Röschen neonfarbene Schnuller. Aus den Brustwarzen ragen die scharfen Klingen von Skalpellen. Autsch. In den gläsernen „Bru(s)tkasten“ (1984) könnte man durch zwei Aussparungen sogar direkt auf die zwei Brüste greifen. Doch die Verantwortung für etwaige Verletzungen, die man dabei erleiden könnte, wollen weder Verbund noch Bertlmann tragen, wie per Zettel verkündet wird. Also lieber nicht in diese heikle Versuchsanordnung eingreifen, die wie eine scharfe Antwort auf Valie Exports „Tapp- und Tastkino“ von 1968 wirkt – sie ging damals mit einem vor die nackte Brust geschnallten Karton durch die Straßen, jeder konnte hineingreifen, der den Augenkontakt nicht scheute.

Leichte Kost hängt jedenfalls nicht in den Gängen des Verbunds, durchaus aber unterhaltsame. Dass gerade dieser Hort männlicher Betriebsamkeit (vier Vorstände!) zum Hüter der feministischen Avantgarde wurde, ist an sich schon eine Ironie. Generaldirektor Wolfgang Anzengruber begegnet derlei sarkastischen Kommentaren mit Würde. Vor seinem Büro hat Bertlmann die Wand lila malen lassen, in der Farbe der „unverstandenen“ Frauen. Nur ganz rechts oben hängt das kleine Foto eines abgewandten Friedhofsengels, unter dem ein Zettel prangt: „Engel der Wahrheit! Warum zeigst du mir immer den Rücken?“

Bis 30. Juni. Jeden Mittwoch, 18 h, Führung nach Anmeldung, +43/(0)1/503 135 00 44, Am Hof 6 a, Wien 1.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.02.2016)

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