Die Klimt-Gruppe weihte ihn posthum zum „ersten Secessionisten“, sein Werk führt in die Moderne, in die Abstraktion: Das Leopold-Museum zeigt die erste umfassende Retrospektive zu Theodor von Hörmann.
Sie wussten bisher auch nicht, was wir Franz Ritter von Hauslab zu verdanken haben? Er war ein Lehrer des Knaben Franz Joseph, der später Kaiser wurde, er begründete die Flächen-Farben-Technik in der Kartografie. Gut. 1883 aber setzte er seine Pflegerin, eine gewisse Laura Bertuch, als Universalerbin ein. Die 150.000 Gulden ermöglichten ihr und ihrem Mann ein finanziell unabhängiges Leben – und dadurch eines der bezauberndsten wie bedeutendsten Werke frühmoderner Malerei in Österreich.
1884 heiratete Laura nämlich den schneidigen Oberleutnant Theodor von Hörmann. Der eiligst den Dienst als Lehrer für Freihandzeichnen und Fechten an der Militärunterrealschule St. Pölten quittierte – und sich endlich, mit 44 Jahren, ganz und gar dem widmen konnte, was er immer schon tun wollte: Malen! Unbedingt am Puls der Zeit, wofür man sich damals nach Paris verfügen musste, was das junge Ehepaar 1886 bis 1890 auch tat.
Kuratorin: Hörmanns Ururgroßnichte
Die daraus entsprungene extrem farbintensive, mitunter sehr charmante Mischung aus französischem Impressionismus und der altösterreichischen Liebe zur Geometrie, wie sie die Ausstellung „Formkunst“ im Belvedere gerade so schön erklärt, ist es, was die Bilder von Hörmann so auszeichnet.
Fast glücklich kann man sich schätzen, dass bisher, in über hundert Jahren, noch niemand eine umfassende Retrospektive Hörmanns organisiert hat. So darf man jetzt höchstpersönlich im Leopold-Museum diesem grandiosen Coming-out beiwohnen, kuratiert von der wohl motiviertesten Spezialistin, die sich der so früh, mit 55 Jahren, an Lungenkarzinom gestorbene Maler nur hätte wünschen können: seiner Ururgroßnichte, der Kunsthistorikerin Marianne Hussl-Hörmann, die sein Werk im Zuge ihrer Tätigkeit als Expertin beim Auktionshaus Im Kinsky aufgearbeitet hat und jetzt in einer sehr eleganten Schau in den drei Sälen des Leopoldinischen Untergeschoßes präsentieren kann.
Hauptsponsor ist ebenfalls das Wiener Auktionshaus, das sich durch derlei kunsthistorische Reputationssteigerung eines Malers natürlich etwas erhofft. 40 Prozent der Leihgaben hier, so Hussl-Hörmann, sind auch private (also prinzipiell auf dem Markt), einige davon kommen über Vermittlung von Kinsky-Eigentümer und Händler Michael Kovacek oder seinen Kollegen Giese und Schweiger, einige aus der Privatsammlung Leopold, etwa „Lederertal bei Znaim“, das 2004 im Dorotheum um 336.000 Euro ersteigert wurde. Doch solche Hauptwerke sind bereits rar. Und trotz aller Skepsis gegenüber der Vermischung von Museen und Handel wird gerade hier auch eines klar: Lassen die Museen (mit Ausstellungen) aus, ist es der beständigen Arbeit von Händlern bzw. Galeristen zu verdanken, dass sie heute überhaupt noch entdeckt werden können.
Ganz so dramatisch ist es bei Hörmann nicht – Belvedere, Joanneum, das niederösterreichische Landesmuseum, das Leopold-Museum selbst haben doch einige großartige Werke in den Sammlungen. Allen voran den unglaublichen „Tümpel im Buchenwald“ von 1892, eine schillernde, flirrende Orgie in Braunrot aus dem Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum. Hier sieht man, warum Hörmann von Zeitgenossen so gehasst und so geliebt wurde – die Kritik geißelte das Bild als depressive Selbstmordversuchung; Klimt-Kompagnon Hermann Bahr weihte Hörmann dagegen zum „ersten Secessionisten“. Nicht nur institutionell ist das gemeint, er dachte vor allen anderen eine moderne Galerie in Wien an, er konnte es sich aufgrund seiner finanziellen Lage im wahrsten Sinn auch schon früh leisten, gegen das veraltete Künstlerhaus zu protestieren, was den späteren Auszug der Klimt-Gruppe vorbereitete. (Sie schrieb den Namen des bereits Verstorbenen sogar in Ehrfurcht in die Innenkuppel der Secession.).Aber auch stilistisch muss der Einfluss des streng blickenden Autodidakten enorm gewesen sein, vergleicht man etwa Klimts in die Fläche gekippten Buchenwald mit dem von Hörmann. In seinem Spätwerk zog Hörmann auffällig den Horizont immer höher hinauf, füllte die ganze Fläche mit Motiv. Und erst die autonome Behandlung der Farbe! Die erhabenen Blätterpinseltupfer im Tümpel schwimmen tatsächlich auch physisch auf der spiegelglatten Wasseroberfläche.
Impressionistisch: Die Freiluftölskizzen
Das Impressionistisch-Flüchtige im Farbauftrag ist besonders schön in den Freiluftölskizzen zu sehen, die Hörmann im Lauf der Zeit immer mehr als eigenständige Werke betrachtet hat. Etwa das sich in seiner Bewegung fast auflösende reifenspielende Mädchen „In den Tuilerien“ aus der Belvedere-Sammlung. Oder die tiefschwarze Pinselexplosion mitten in seinem nächtlichen Blick aus dem Pariser Atelierfenster, als er die Feuerwerke beobachtete, die am gerade fertig gebauten Eiffelturm gezündet wurden – um genau „9 Uhr Abends“, am „3. November 1889“. So notierte er, so kratzte er es mit dem Pinselstiel in die Farbe.
Das führt tatsächlich direkt in die Moderne, in den Expressionismus, in die Abstraktion. Vergleiche mit Claude Monet, aber auch mit Van Gogh bei den späten „Esparsettenfeldern“ in Znaim, wohin er nach seinem Paris-Aufenthalt mit Gattin zog, sind gerechtfertigt. Man könnte sogar noch weiter, in die Postmoderne, gehen, wenn man die Distanzierung des Künstlers von sich selbst in den einzigen zwei Selbstporträts, die es von Hörmann gibt, analysiert. Er zeigt sich nicht frontal vor der Leinwand, sondern abgewandt, in ziemlicher Entfernung, sogar in ziemlicher Entfernung von der Staffelei! Ein Flaneur, ein Beobachter. Immer mit Pfeife, die ihn wohl das kurze Leben kostete. Er muss ein strenger Mann gewesen sein, ein Militär aus Pragmatismus, ein institutioneller Visionär, ein fantastischer, ein wagemutiger Maler. Diese Ausstellung wird ihm in vielem gerecht.
Leopold-Museum: „Theodor von Hörmann. Von Paris zur Secession“, bis 29. August.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.04.2016)