Collagen: Was liegt, das pickt

(c) Dennis Busch
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Copy und Paste ist der Lebensmodus der Gegenwart. Kein Wunder also, dass der Lifestyle die Collage gerade für sich neu entdeckt.

Das Genre ist eigentlich selbsterklärend: Papier collé – geklebtes Papier, so nannte man Anfang des 20. Jahrhunderts jene Arbeiten, die mittels Schneidens und Klebens den Ursprung der künstlerischen Moderne mitbegründeten. Rund 100 Jahre später ist die Collage wieder ziemlich en vogue, und zwar nicht nur in Kunstkreisen. Vor allem die Life­stylecommunity liebt diese „altmodische“ Form der Bildkomposition. Magazinredaktionen ordern bei Collagekünstlern Illustrationen für Artikel oder layouten ihre Trendseiten nach diesem Prinzip. Denn das Collagieren eröffnet unendliche Möglichkeiten der Welterschaffung und reflektiert den Zustand unseres Alltags – bildlich gesprochen.

Die aktuelle Kampagne des Modehauses Céline etwa, fotografiert von Juergen Teller, zeigt die Models ausgeschnitten und auf monochromen Hintergrund geklebt. Wo normalerweise Photoshop für Perfektion sorgt, sieht man hier schlampige Schnitte. Cool und frisch wirkt das. Cutting-edge im wahrsten Sinn des Wortes. Was die Kunst in Österreich mit der Methode anfängt, dem spürte erst kürzlich die Ausstellung „Das Prinzip Collage“ im Forum Frohner nach, die österreichische Positionen ab den 1960er-Jahren zeigte.

Schnittig. Dennis Busch hält nicht allzu viel von  Nostalgie.
Schnittig. Dennis Busch hält nicht allzu viel von Nostalgie.(c) Dennis Busch

Absurditäten. Künstlerisch schneiden und neu zusammenfügen gehörte zum kritischen Selbstverständnis der Avantgarde, die nach neuen, radikalen Ausdrucksmöglichkeiten suchte. Georges Braque und Pablo Picasso, die als Erste Papier, Glas und Karton auf Leinwände klebten, ging es unter anderem um die Frage nach Repräsentation in der Kunst. Zur Zeit des Ersten Weltkriegs sahen die Dadaisten im Hantieren mit wild zusammengefügten Papierstücken eine Möglichkeit, dem Grauen des Krieges, der nicht nur Körper verstümmelt zurückließ, mit Absurdidät zu begegnen. Hannah Höch, die Teil der Dada-Bewegung war, gilt als Pionierin der Fotomontage. Für die Surrealisten wiederum war das Element des Zufalls wichtig. Pop-Art, Fluxus und andere Bewegungen ab den 1960ern definierten Collage und Assemblage wieder neu.

Heute ist Copy and Paste quasi der Modus Operandi unserer Welt. Wir nehmen das Hosendesign aus den Neunzigern und die Bluse aus den Fünfzigern, klicken uns im Netz von Link zu Link, retweeten, zitieren, haben tausend Tabs offen und sind auf fünf Social-Media-Plattformen unterwegs. In unserer Wahrnehmung setzen sich unterschiedliche Elemente zu einem kaleidoskopischen Ganzen zusammen. Einem Splitterganzen, das sich auf unserer Reise durch Alltag, Netz und Medien ständig verändert.

„Die Collage ist so etwas wie ein Übermedium, um sich in der heutigen Zeit auszudrücken, weil wir in einer Collage leben“, sagt der Berliner Künstler Dennis Busch. „Alles ist gesampelt, die Mode, die Musik, die Gedanken. Es gibt ja keine neuen Tendenzen mehr.“ Busch ist Ko-Herausgeber von „The Age of Collage“, dessen erster Teil 2013 erschien. Jetzt ist der zweite Band da: Er versammelt mehr als 70 zeitgenössische Positionen und zeigt so ein breites Spektrum an geklebtem Papier, selbst wenn es inzwischen auch der Computer als Schnitttool sein darf. Junge stehen hier neben altbekannten Stars, zu denen etwa John Baldessari und Martha Rosler zählen.

Die US-Amerikanerin Rosler setzte in ihrer Serie „House Beautiful: Bringing the War Home“ Abbildungen von realen Kriegen in Katalogwohnzimmer der amerikanischen Mittelklasse und schuf damit harte Bilder mit klarer Message. Politisch arbeitet auch Wangechi Mutu, die bei der letzten Biennale in Venedig vertreten war: Ihre dichten Collagen sehen auf den ersten Blick wie Illustrationen aus. Collagen zu machen sei stets ein subversiver Akt, besagt eine Lesart des Genres. Denn die Kontextverschiebungen, die dabei stattfinden, würden uns vor neue Möglichkeiten stellen, die Wirklichkeit zu betrachten.

Disruption. Collagen zu gestalten gilt in der Kunst häufig als per se subversiver Akt.
Disruption. Collagen zu gestalten gilt in der Kunst häufig als per se subversiver Akt.(c) Dennis Busch

Vorlage: Web. Was vielen jungen Positionen gemein ist: Ihr Blick ist digital geschult, sie beziehen sich etwa auf Videogames oder finden ihre Ausgangsbilder im Web. Die Grenze zwischen Bearbeiten am Papier und Bearbeiten am Computer verschwimmt. Und wo die einen es virtuos angehen, zeigen die anderen bewusst Schnitte.

Letzteres kann man auch im relativ neuen musikalischen Subgenre Cloud Rap beobachten, von dem die meisten, die über 25 sind, wohl noch nicht viel mitbekommen haben. Die jungen Rapper stellen Bilder und Videos online, in denen Geldscheine, Eisteeflaschen, Gucci-Tücher und andere von ihnen verehrte Güter in einer Art aufeinanderprallen, die nach bewusst schlecht gemachtem Zusammenschnitt aussieht. Dabei gibt man sich oft keine Mühe, Übergänge zu verblenden oder Animationsfähigkeiten hervorzukehren, im Gegenteil. Als nach 1990 Geborene haben sie die digitalen Möglichkeiten von Computerspielen bis zu Spezialeffekten à la Hollywood allerdings meist schon als Kleinkind kennengelernt. Der bewusste Dilettantismus nimmt diese Tendenzen zur digitalen Perfektion aufs Korn.

Gegenmaßnahme zur Digitalisierung. Gleichzeitig sind viele Formen der zeitgenössischen Collage auch eine Art Gegenmaßnahme zur allgegenwärtigen Digitalisierung. Dann, wenn mit Bildmaterial aus alten Magazinen und Büchern an einer nostalgischen Aura gearbeitet wird, die einer Zeit gedenkt, in der noch nicht ständig und überall Milliarden von Bildern verfügbar waren. Eine diffuse Sehnsucht wird spürbar. Dennis Busch empfindet die Nostalgie als wenig zielführend, man könne aber Altes mit Neuem so verbinden, dass auch tatsächlich Neues entstehe. Klar, es gibt keine Bilder der Zukunft, die man ausschneiden könnte. Man ist auf die Vergangenheit angewiesen. In seiner Arbeit möchte Busch aber eine Sehnsucht spürbar machen, „die bis vor die eigene Geburt und bis nach dem Tod hinausreicht“. Seine Werke sieht er als Zeitreise, in der er Altes und Neues oft als strenges Aufeinanderprallen realer Bilder inszeniert, aber auch abstrahiert verarbeitet, wenn zum Beispiel bunte Flecken verschiedenster Texturen über ein altes Porträtfoto wuchern.

Dass immer mehr Interessierte die Collage als gleichwertig mit anderen Kunstformen sehen, freut ihn. Denn manchmal musste sich das Kunstmachen durch Schneiden und Kleben dagegen wehren, ins Kindergartenimage abzurutschen. Dabei ist der Umstand, dass man weder komplizierte Technik lernen noch teures Equipment kaufen muss, etwas Urdemokratisches. Im MACBA, dem Museum für Moderne Kunst in Barcelona, hosten Künstler rund um die Betreiber der einschlägigen (und sehr informativen) Website Theweirdshow.info, auf der sich alles um das Genre dreht, regelmäßig Collage Jam Sessions. Eine durchaus nachahmenswerte Idee.

(c) Beigestellt

Schnittmengen in Buchform

Dennis Busch, von dem die Collagen auf diesen Seiten stammen, hat gemeinsam mit Robert Klanten auch den zweiten Band aus der Reihe „The Age of Collage“, erschienen im Gestalten-Verlag, zusammengestellt. Im Vorwort wird die poetische Kraft des Genres beschworen, das man als archetypisch für die Kunstpraxis des 20. Jahrhunderts sieht. Auf den folgenden Seiten führt eine Vielzahl an Positionen die gesamte Bandbreite der Möglichkeiten vor.
Wie Skulpturen wirken etwa die Photoshop-Collagen von Asger Carlsen, der Fantasiekörper zusammenmorpht. Unter den bekannteren Künstlern, die in „The Age of Collage“ vertreten sind, finden sich etwa John Baldessari oder Thomas Hirschhorn. Auf frühe Vertreter des Genres, etwa Hannah Höch, Max Ernst und Georges Braque, bezieht sich wiederum Matthieu Bourel. Eine seiner Collagen ziert auch den Umschlag des Bildbandes. (dk)

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