Die Ära der Siegerkünstler

U.S. artist Jeff Koons and British artist Damien Hirst pose for photographs during a photocall to mark the opening of the gallery's new exhibition 'Jeff Koons Now'
U.S. artist Jeff Koons and British artist Damien Hirst pose for photographs during a photocall to mark the opening of the gallery's new exhibition 'Jeff Koons Now'REUTERS
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Radikalität war gestern: Kunst sei wieder eine Sache der Reichen geworden, analysiert Wolfgang Ullrich in seinem aufsehenerregenden Buch.

Es begann damit, dass sich in der Kunst seit der Jahrtausendwende keinerlei vorherrschender Stil abzeichnete. Dann wurde unübersehbar, dass nicht nur die Entwicklung klarer Tendenzen, sondern auch die lang gültigen Kriterien für Kunst verschwanden: Statt formaler Strenge kamen Gold und Glitter, spiegelnde Oberflächen ersetzten inhaltliche Tiefe, Innovation wich der Freude am ewigen Variieren: Je leichter ein Künstler wiedererkannt wird, desto besser verkauft sich die Ware.

Dazu kamen die Medien, die immer weniger über die Werke, stattdessen über Preisrekorde berichteten. Wie kann man diese neue Situation begrifflich fassen? Naheliegend schien eine Unterteilung wie in der Musik in U und E, Jeff Koons und Kollegen als Unterhaltung für jene, die auf schnellen Konsum und Besitztum setzen, Ernsthaftes für jene, die eine intellektuelle Herausforderung suchen. Manche Werke wie die Fotografien von Andreas Gursky legten den Begriff Herrschaftskunst nahe: Der Blick von oben auf Menschen und Maschinen als Wimmelbild entspricht der Perspektive in den Vorstandsetagen. Aber all das fasste die Situation nicht. Jetzt hat der deutsche Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich einen Begriff vorgeschlagen, der den aktuellen Kunstmarkt perfekt trifft: Siegerkunst.

In seinem gleichnamigen Buch analysiert Ullrich auf 144Seiten brillant, dass alle diese Irritationen seit der Jahrtausendwende auf eine zentrale Beobachtung hinauslaufen: Kunst ist wieder eine Sache der Reichen geworden. Nicht Kennerschaft zählt, sondern das Bankkonto. Der Wert der Kunst misst sich nicht am Diskurs, sondern am Besitz – eine radikale Veränderung gegenüber der Moderne.

Bis zum späten 18. Jahrhundert waren Bürger „allenfalls Zaungäste der Kunst“, wie es der 1967 geborene Publizist nennt. Kunst war damals kaum öffentlich zu sehen. Ausstellungen, wie wir sie heute kennen, gibt es erst seit dem 19. Jahrhundert. Erst in der Moderne entsteht eine „geistige Inbesitznahme“, also die Möglichkeit, Kunst zu interpretieren. Ullrich bezeichnet es als „die bildungsbürgerliche Kompensation mangelnder Zugangsberechtigung zur Kunst“. Ein relevantes Kunsturteil kann in der Moderne nicht mehr von Eigentümern oder Händlern kommen – sie sind dazu viel zu befangen und können nur einen Marktwert abschätzen. Stattdessen werden professionelle Betrachter und Kunstkritiker zu den Torhütern für Qualität. Die „Idealisierung des Rezipienten“ findet in den Museen als Ort verstaatlichter Kunst statt. Es ist ein revolutionärer Akt, ein Klassenkampf, in dem eines der letzten Privilegien der Aristokratie in die Zuständigkeit des Bildungsbürgertums übergeht.

Das ist heute vorbei. Auf die früheren Hof-, dann Ausstellungskünstler sind die Siegerkünstler gefolgt. Dafür sind Radikalität, Andersheit, Autonomie Kriterien von gestern. Wahrnehmungsveränderung, Verunsicherung, Läuterung oder gar Weltverbesserung durch Kunst ist nicht mehr intendiert, der Diskurs unwichtig. Und der Zielort solcher Kunst ist nicht mehr das Museum, sondern der Kunstmarkt.


Bewusste Geldverschwendung. Darum spricht Ullrich auch von Siegerkunst, die sowohl Künstler als auch Käufer bezeichnet: „Siegerkunst ist Kunst von Siegern für Sieger“ – ein noch kleiner Bereich, der in den Medien aber eine große Aufmerksamkeit erhält. Kunst ist wieder Luxus, und nicht die Werke irritieren, sondern deren Kauf. Ullrichs These dabei: Höchstpreisig seien meist Werke, die den Geschmack verletzen, also besonders kitschig sind, wie Jeff Koons Objekte, im Motiv banal, wie Damien Hirsts Punkt-Bilder, obszön oder aus billigen Materialien – wie die zurzeit beliebten Pappkartons, auf die gern Formen mit Blattgold aufgeklebt werden. Die Preise dafür beginnen meist im sechsstelligen Bereich, ohne Limit nach oben. Denn Siegerkunst sei eine bewusste Geldverschwendung, schreibt Ullrich: Sie demonstriere einen „gesellschaftlichen Ausnahmestatus“ und sei ein „daseinssteigerndes Besitzerlebnis“.

Das wirkt sich natürlich auch auf die Kunst selbst aus: vom Programm der Museen, die Rekordpreiskünstler als Quotenhit ausstellen, bis zum akademischen Diskurs. Immer häufiger verweigern Künstler die Abdruckgenehmigung ihrer Werke – weswegen es in Ullrichs Buch lauter leere, graue Flächen gibt. Und es endet bei der Ästhetik: Über den Umweg der Preise wird die bildungsbürgerliche Kontrolle über die Kanonisierung aufgehoben – nicht mehr die Diskurswächter, sondern die Besitzer bestimmen über Qualität. Warum sonst, fragt Ullrich, sollten Katharina Grosses und Gerhard Richters „Rakelbilder“, Liam Gillicks Designware oder Josephine Mecksepers pseudokritische Kunst erfolgreich sein? Vieles davon nennt er sogar „streberhaft“, weil es „möglichst überall erfolgreich“ sein will, „im akademischen Kunstdiskurs nicht minder als bei Sammlern“.

Zudem entwickeln sich Künstler zu Unternehmen, die immer größere Studios finanzieren müssen. Noch bauen sie auf den Versatzstücken der Moderne auf, aber irgendwann, so Ullrich, sei Kunst nur mehr Luxus – ohne jegliche Differenz zu Möbeln.
Wolfgang Ullrich: „Siegerkunst. Neuer Adel, teure Lust“. Wagenbach-Verlag, Berlin, 2016, 160 Seiten, 16,90 Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.05.2016)

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