Eine Leiter in den Himmel über Linz

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"Andere Engel" ist heuer Thema der alljährlichen Ausstellung im Kunsthaus OK und auf den umliegenden Dächern. In der Ursulinenkirche liegt ein gefallener Engel, an ihr ragt eine Nike mit Geschichte hinaus auf die Landstraße.

Und ihm träumte, und siehe, eine Leiter stand auf Erden, die rührte mit der Spitze an den Himmel, und siehe, die Engel Gottes stiegen daran auf und nieder.“ Die Wirkung dieser schönen Stelle aus dem ersten Buch Mose (28, 12) ist dadurch noch verstärkt worden, dass bei Luther (wie auch in der King-James-Bibel) das hebräische „sullam“ nicht als Stufe, sondern als Leiter übersetzt ist. Das gibt der Szene etwas Himmelsstürmerisches, ja Halsbrecherisches.

Oder können sich Engel gar nicht den Hals brechen? Können sie, wie Christian Morgenstern dichtete, nur auf geistlichen Lokalitäten sitzen? Die Frage nach der Natur der Engel durchzieht den heurigen „Höhenrausch“ (bis 16. Oktober), der vielleicht noch nuancenreicher ist, als man es von dieser so populären wie klugen Linzer Ausstellungsreihe gewohnt ist. Hoch hinauf geht es auch beim sechsten Mal: Vom Kunsthaus OK steigt man über hölzerne Gerüste auf und über die umliegenden Dächer, blickt hinab auf Linz. Am höchsten kommt man auf dem Keine-Sorgen-Turm (begleitet von neuen und alten Engelsgesängen), am meisten Mut bedarf es wohl, mit dem „Flying Fox“ über den OK-Platz zu gleiten. Wer sich traut, ist mit dem gar nicht engelhaft aussehenden Mann auf Augenhöhe, der in der Installation „How to Meet an Angel“ auf der vorletzten Stufe einer frei himmelwärts ragenden Leiter steht und die Hände streckt. Will er Engeln entgegengehen? Ein Jakob als ungläubiger Thomas, der den Himmel mit Händen greifen will?

Das Gegenstück dazu, ebenfalls ein Werk des russischen Künstlerpaars Ilya und Emilia Kabakov, liegt auf dem Boden der Ursulinenkirche, umzäunt von einem rot-weißen Polizeiband. Riesige Füße ragen unter einer Decke hervor, und zwei Flügel, einer geknickt. „The Fallen Angel“ heißt das recht plakativ. Den gestürzten Engel Luzifer sieht man auch auf dem Hochaltarbild (1740, von Martino Altomonte): Mit Krallen und Drachenflügeln liegt er zerschmettert, unter den Füßen des Erzengels Michael, dem die Kirche geweiht ist. Er ist durchaus nicht der einzige Engel in ihr, man findet eine ganze Schar – nun besser, denn für den „Höhenrausch“ wurde eine Installation gebaut, mit dem man sie orten kann. Auch einen auf einer Jakobsleiter.

Sie alle sind recht barock und physisch, wie auch die „Flying Angels“, die der indonesische Künstler Heri Dono im Kunsthaus OK an die Decke gehängt hat. Sie haben Flügel wie Libellen und einen Bildschirm auf der Brust, sie zirpen wie Grillen, doch man hat das Gefühl, dass sie lieber wie Karlsson vom Dach rufen würden: „Das kann einen großen Geist nicht erschüttern!“

Aber wie könnten körperlose Engel aussehen? A K Dolven hat in ihrer norwegischen Heimat die langen Schatten gefilmt, die entstehen, wenn die Sonne ganz schräg fällt: ein geisterhaftes Bild. Getreuer, aber vergänglicher ist das Gesicht, das sich in Oscar Muñoz' Video im zitternden Wasser spiegelt, das der Künstler in der hohlen Hand hält. Schatten, Spiegelungen, Verdoppelungen – auch in eineiigen Zwillingen – sind Thema in etlichen Werken: Können wir uns heute Engel letztlich nur als Projektionen unseres Selbst vorstellen? Als ob sie das untersagen wollte, hat Eva Schlegel auf einem Parkdeck eine irritierende Landschaft von Spiegeln angeordnet, in der der Betrachter sein eigenes Bild aber vergeblich sucht und dann auch noch die Perspektive zu verlieren droht.

Halt findet man vielleicht im Engelkino, wo man z. B. im Himmel über Linz in den „Himmel über Berlin“ schauen kann, wo die Engel sehr cool sind und Trenchcoats tragen. Oder im botanischen Engelgarten. Oder im lehrreichen Engelamt, das einen auch daran erinnert, dass man sich die Engel einst durchaus nicht untätig vorstellte. So zeigt der Franziskaner Matfre Ermengau (um 1300), wie die Engel mit Handkurbeln die himmlischen Sphären in Gang halten. So gläubig Isaac Newton gewesen sein mag, er hat zumindest diese Riege der himmlischen Heerscharen arbeitslos gemacht.

Lausbubengesichter oder kopflos?

Eine sakrale Aufgabe hatten dagegen die Engel, die Raffael an den Rand seiner Sixtinischen Madonna malte: Sie sollten die bei der Messe verwandelte Hostie in den Himmel tragen. Doch ihre lausbübischen Gesichter landeten auf Keksdosen und Postkarten.

Gar kein Gesicht hat die Nike von Samothrake, die antike Statue hat den Kopf verloren. Auch die metallene Nachbildung der Künstlergruppe Haus-Rucker-Co ist kopflos, sie wurde 1977 an der Kunstuniversität Linz affichiert – und nach Protesten eines Nachts abgebaut und nach Frankfurt gebracht, wo sie aber nie aufgestellt wurde. Nun ist sie zurück in Linz, ragt vom Turm der Ursulinenkirche auf die Landstraße hinaus: Selbst kein Engel, war sie doch ein Vorbild für viele. So zeigt eine Bestattungsfirma in Bochum ihr Bild und erklärt: „Für die kopflose Nike haben wir uns bewusst entschieden, da ein lächelnder Engel in unserem Metier für viele Angehörige unpassend wäre, ein leidender für andere auch.“ Engel sind flexibel, derzeit besonders in Linz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.05.2016)

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