Martin Parr: „Ich sorge für Unterhaltung“

(c) Martin Parr / Magnum Photos
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Für seine erste Retrospektive in Österreich hat sich Starfotograf Martin Parr in Wien umgesehen: So sehr ihrem Klischee entsprochen habe noch keine andere Stadt, vertraute Parr dem „Schaufenster“ an.

Ein Mann vieler Worte ist Martin Parr, wenn es um seine Arbeit geht, offenbar nicht. Der englische Fotograf – amtierender Präsident der legendären Agentur Magnum und berüchtigterweise jenes ihrer Mitglieder, das während des Aufnahmeprozesses für die größten Kontroversen in der Magnum-Geschichte gesorgt hat – findet nämlich nicht, dass seinen Fotos noch etwas hinzuzufügen sei: „Meine Bilder sind mein Statement, nicht das, was ich im Nachhinein über sie sage. Wenn ich konsequent wäre, würde ich ja überhaupt aufhören, Interviews zu geben und über meine Arbeit zu reden, und sie einfach für sich selbst sprechen lassen“, sagte Martin Parr bei einem Treffen anlässlich eines Wien-Aufenthalts im Spätwinter. Und diese Wortlosigkeit würde in der Tat ganz gut funktionieren, schließlich sind auch
Martin Parrs Fotobücher mitunter eher wortkarg aufgemacht – so etwa die neueste Publikation „Cakes & Balls“, die dieser Tage im Verlag Anzenberger-Edition erscheint.

Gegenstand des Buches sind Wien und die Wiener, Anlass für die vor Ort aufgenommenen Bilder ist Martin Parrs erste Retrospektive in Österreich, die das Kunsthaus demnächst zeigen wird. Und in der Tat sind seine Aufnahmen für gelernte Bewohner der Stadt weitgehend selbsterklärend; für alle anderen ist der Titel des Buches wahrscheinlich Geleitwort genug. Schließlich sind es die mit einem Ort verbundenen Klischees, deren sich Parr besonders gern bedient. Was Wien betrifft, zeigt er sich fast verblüfft über die einfache Lesbarkeit des Ortes: „Wien entspricht haargenau dem Bild, das man von der Stadt hat. Ihr alle hier seid genau so, wie ihr sein solltet. Ich glaube wirklich, ich war noch nie in einer so klischeehaften Stadt wie dieser.“

Foto-Entertainer. Berühmt geworden ist Martin Parr, der in Manchester Fotografie studiert hat, Anfang der Achtzigerjahre als Porträtist des typisch englischen Alltagslebens – der Englishness, wenn man so will. Anfangs fotografierte er noch in Schwarz-Weiß, das Thema seines ersten Fotobuchs greift einen der liebsten Gesprächsinhalte der Briten auf: „bad weather“. Wirklich berühmt wurden dann seine Bilder von englischen Touristen in Urlaubsressorts, sie trugen ihm aber auch Kritik ein: Für manche Beobachter waren seine Aufnahmen, die das Ungeschönte, das vordergründig gar wegen seiner Hässlichkeit Ausgewählte zeigten, Ausdruck einer hämischen und herablassenden Grundhaltung. Natürlich habe ihn das anfangs verstört, räumt Martin Parr ein. Allerdings unterstellt er seinen Kritikern nicht, dass ihre Interpretation seiner Bilder falsch oder ungültig sei: „Mir ist schleierhaft, ob und wie häufig ich missverstanden werde, weil jemand zum Beispiel meine Arbeit nicht versteht oder ablehnt. Ich gehe aber auch nicht herum und frage, ob meine Fotos jemandem gefallen, sondern ich bin ein Entertainer – ich sorge für Unterhaltung.“

Wenngleich Parr gemeinhin oft als provokanter Fotokünstler apostrophiert wird, man ihm eine verstörende Wirkungsabsicht unterstellt, verwehrt er sich gegen jede Wahrnehmung von Bildern als „nur schön“ oder „nur hässlich“. Dieses starke Simplifizieren geht, findet er, an der Wirklichkeit vorbei: „Die Welt ist gut und schlecht zugleich. Es wäre idiotisch zu sagen, man zeigt nur das Hässliche.

Es stimmt auch nicht, dass jemand nur hässlich oder nur schön ist. Wir sind alle beides.“ Was freilich Parrs Aufnahmen – aus dem Leben gegriffen, nie inszeniert oder auffällig nachbearbeitet – von einem Großteil der kursierenden Fotos abhebt, ist ihre Unmittelbarkeit. Außerdem entsprechen sie nicht dem, was er üblicherweise Propaganda nennt: „Wir sind in erster Linie daran gewöhnt, Propaganda zu sehen – die perfekte Version einer konsumierbaren Welt. Sobald eine Ästhetik davon abweicht, schreien alle auf und sind sich sicher, hier werde zwingend Kritik an den herrschenden Zuständen vorgebracht.“ So verhalte es sich freilich bei ihm nicht, unterstreicht Parr; er wolle einfach einfangen, was ihm aus dem einen oder anderen Grund in der jeweiligen Situation als besonders interessant oder herzeigenswert erschienen sei – ohne Wertung, ohne zwingend dem Bild eingeschriebenen Kommentar.

Nah und fern. Die in Zusammenarbeit mit dem Kunsthaus eigens für die große Retrospektive entstandene Wien-Serie von Martin Parr ist charakteristisch für seine Arbeit. Was anders ist: Im Unterschied zu früheren Bildern, die etwa der englischen Alltagskultur huldigen (oder sie ironisch vorzuführen scheinen) oder das Geschehen auf dem Oktoberfest in München dokumentieren, sind die Sujets diesmal ganz nah am Leben der lokalen Betrachterschar. Und das verleiht ihnen einen anderen Charakter: In ihrer Gesamtheit ergeben sie zwar das Bild der klischeehaften Kuchen- und Ballmetropole, die Martin Parr bei seinen Besuchen so amüsant gefunden hat, einzelne Aufnahmen zeigen aber überaus Vertrautes (etwa eine Aida-Kellnerin in der typischen Uniform) und verlieren für den Ortsansässigen das aus der Distanz entstehende Drollige, das Parrs Fotos für Außenstehende transportieren.

Befragt über den Status quo der Fotografie, auch die Allgegenwart des Fotografierens mit Smartphones, gibt sich Martin Parr gelassen bis aufgeschlossen: „Ich habe überhaupt keine Problem damit. Nur ist es leider so, dass die große Mehrheit der Bilder, die so entstehen und geteilt werden, nicht im geringsten interessant sind. Andererseits brauchen wir die schlechten Fotos, um gute Bilder verstehen und wertschätzen zu können.“ Dem, was im Internet vor sich geht bzw. was Menschen sich von professioneller Fotografie erwarten, verschließt sich Martin Parr auch als Präsident von Magnum nicht. „Momentan ist viel los bei uns – wir sind dabei, uns auf alle erdenklichen Arten umzustrukturieren und neu aufzustellen, um fit für die Zukunft zu werden.“ Etwa durch den Aufbau eines eigenen B2C-Kanals, über den Fotografieinteressierte selbst Fotos aus den Archiven kaufen können – ein Wachstumssegment, von dem auch Magazinverlage wie etwa Condé Nast gut leben können. „Wenn man sich als altmodische Agentur positioniert und sich auf die Zusammenarbeit mit Medienunternehmen verlässt, dann ist man heutzutage erledigt“, meint Parr. Ein Wettbewerbsvorteil für Magnum sei freilich das reichhaltige Archiv. Schließlich hat die Agentur einige der größten Talente der Fotografiegeschichte vertreten – wie auch ihren aktuellen Präsidenten, aus dessen Œuvre in Wien nun ein Querschnitt gezeigt wird.

(c) Beigestellt

Tipp

„Martin Parr – A Photographic Journey“. Das Kunsthaus Wien zeigt die erste große Retrospektive des Fotografen in Österreich, ab 3. Juni, www.kunsthauswien.com

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