Die Architektur sucht ihre Rolle in der Welt

Drei Projekte für Flüchtlingsunterkünfte von Caramel Architekten (Bild), The Next Enterprise und Eoos sind im österreichischen Pavillon in Venedig zu sehen.
Drei Projekte für Flüchtlingsunterkünfte von Caramel Architekten (Bild), The Next Enterprise und Eoos sind im österreichischen Pavillon in Venedig zu sehen.APA
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Bei der 15. Architektur-Biennale steht der Umgang mit Krisen aller Art im Vordergrund. Der österreichische Pavillon zeigt Interventionen in drei Flüchtlingsunterkünften Wiens, die nach der Schau weiterleben sollen.

Alejandro Aravena, diesjähriger Direktor der Architekturbiennale in Venedig, hat gerufen, die Architekturwelt ist gekommen und hat wenig Glanz, aber das Elend der Menschheit mitgebracht: Flüchtlingsströme, Überbevölkerung, Krieg und das Ringen um die Rolle der Architektur in einer Welt, die eher dem Chaos als einer demokratischen Weltordnung entgegentaumelt, stehen im Vordergrund der Schau. Vorbei sind die Zeiten, als Kulturpaläste, elegante Residenzen und Personalen einzelner Architekturstars zu sehen waren. „Reporting from the Front“ lautet das von Aravena ausgegebene Thema. Fein – doch welche der vielen Fronten, an denen die zeitgenössische Architektur kämpft, gemeint war, bleibt offen. Soziales Engagement sei prinzipiell eine Möglichkeit für Architekten, ließ Aravena die Kollegen im Vorfeld wissen, nicht aber deren Verantwortung. Die Schau in Venedig gerät dennoch zu einer Demonstration vielfacher Versuche, das sich allerorten abzeichnende Elend, wenn schon nicht zu verhindern, so doch zumindest zu mildern. Der österreichische Beitrag, kuratiert von Architektin Elke Delugan-Meissl, kann sich in dieser Riege aus mehreren Gründen sehen lassen.

Kostbare Privatheit im Großraumbüro

Delugan-Meissl und die von ihr ausgesuchten Teams, Caramel Architekten, The Next Enterprise sowie die Designergruppe Eoos, haben die Schau in den Giardini zum Anlass genommen, um drei Projekte für Flüchtlingsunterkünfte in Wien gewissermaßen anzukicken, die sich, auch wenn die Biennale im November wieder schließt, weiterentwickeln werden. Hier ist lediglich ein Zwischenbericht der Projekte zu sehen. Das eigentliche Geschehen ist der Nachhaltigkeit verpflichtet, es spielt sich an drei Orten in Wien ab, an denen zurzeit Flüchtlinge in diversen Büroimmobilien untergebracht sind. Die Interventionen zielen jeweils auf eine rasche, leistbare und deutliche Verbesserung deren temporärer Lebensumstände ab. Caramel Architekten entwarfen einen mit Sonnenschirmen, Kabelbindern und anderen einfachen Materialien schnell assemblierten Bausatz, der neonbeleuchtete Großraumbüros zu privaten Rückzugsorten zoniert. Nur 50 Euro kostet so ein textiler Raum, die Zeltwände nähten die Flüchtlinge nach Anleitung selbst, die kleine, kostbare Privatheit erfreut sich größter Beliebtheit.

Eoos entwickelten eine ausgefeilte, preiswerte und von den Flüchtlingen selbst herstellbare Möbelfamilie aus Doka-Schalungsplatten, von der insbesondere eine rasch gebaute Gemeinschaftsküche mit Begeisterung angenommen wurde: Endlich miteinander etwas tun, endlich miteinander kochen, essen, kommunizieren können. The Next Enterprise entwarf ebenfalls für eine Büroimmobilie hölzerne Multifunktionsbauten, die als Wohn-Schlaf-Arbeits-Boxen fungieren, also kleine Wohnungseinheiten im Großraum bilden, die künftig sowohl von Flüchtlingen als auch von Studierenden bewohnt werden können.

Der deutsche Beitrag zeigt ebenfalls Unterkünfte für Flüchtlinge, allerdings in gebauter Form. Zudem wurde das hermetische Pavillongebäude mehrfach nach außen geöffnet. Mauerdurchbrüche symbolisieren eine offene, grenzenlose Gesellschaft. Ob man dieser zuneigt oder nicht – der vormals so strengen Pavillonarchitektur tun die Durchbrüche gut, sie werden allerdings, dem Denkmalschutz gehorchend, später wieder zugemauert.

Australiens „Pool“, Rumäniens „Selfie“

Wer das Rennen um den besten Länderbeitrag macht, wird am Samstag bekannt gegeben. Vorab vier Verweise auf Pavillons, die man nicht versäumen sollte: Australien thematisiert mit „The Pool“ ein scheinbar belangloses Alltagselement des heißen Kontinents. Doch die Installation entwickelt dank sorgfältig ausgewählter, im Hintergrund abgespielter Interviews und wunderbarer Fotografien im Katalog einen kraftvollen Sog. Das öffentliche Schwimmbad, das Wasserloch, der Fluss – in diesen Begegnungsorten rinnen Zusammenhänge über die Zeiten zu einem faszinierenden Gesellschaftsbild zusammen.

Die Rumänen zeigen mit ihren dem Selfie gewidmeten Installationen den vielleicht frechsten Beitrag. Sie nehmen mit beweglichen Holzfiguren, die mittels unsichtbarer, vom Betrachter selbst hand- und fußbetriebener Mechaniken in Bewegung versetzt werden, menschliche Schwächen aufs Korn. Eine der drei Archetypengruppen stellt die Biennale-Jury dar, die naseweis und besserwisserisch vor dem zu Tribunal sitzt, der die Gruppe gerade antreibt. Sie deuten mit dem Finger, schütteln den Kopf, zeigen die Zunge.

Der China-Pavillon am Ende des Arsenale greift Versatzstücke seiner gerade versinkenden ruralen Kultur auf und wirft sie wie einen Rettungsanker ins Hier und Jetzt. In Szene gesetzte Bauernkleider, Ess- und Kochutensilien, Werkzeuge beschwören ein einfaches Leben herauf, das es künftig nur noch in Abwandlung geben wird. Wie das vielleicht funktionieren kann, zeigt daneben ein Garten-Sozialprojekt: Zur Verfügung gestellter, minimal dimensionierter Freiraum bildete ein verbindendes Element für Landflüchtige in der Stadt, wenn dort Gemüse, Blumen, Freundschaft gezogen werden.

„Wir werden erst verstehen, was Architektur ist, wenn unser Leben davon abhängt“, steht in Bleistift an der Wand im Pavillon Uruguays. Daneben eine Zeichnung, eine Erinnerung an den Flugzeugabsturz in den Anden 1972, den 16 Insassen 72 Tage lang unter widrigsten Umständen in 4000 Metern Höhe überlebten: Architektur ist, was man hat.

AUF EINEN BLICK

Die Architektur-Biennale in Venedig gilt als die umfangreichste und wichtigste Architekturschau der Welt. Sie bespielt heuer unter dem vom chilenischen Kurator Alejandro Aravena ausgegebenen Titel „Reporting from the Front“ zum 15. Mal die vormaligen Weltausstellungspavillons in den Giardini sowie die Hallen des Arsenale. 59 Nationen nehmen teil, zusätzlich gibt es eine von Aravena kuratierte Schau sowie zahllose Nebenevents. Die Biennale ist von 28. 5. bis 27. 11. geöffnet.

(Print-Ausgabe, 27.05.2016)

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