Kunst des "stilisierten Vollrauschs"

(c) Kunstmeile Krems/Forum Frohner/A (Hinterramskogler)
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"Scheißbraune Lipizzaner", Anti-Zwentendorf-Fahne: Was passiert, wenn Künstler sich über die Zuständ' ärgern. Ein gezähmter Ausbruch im Forum Frohner Krems.

Es wehte zumindest ein Lüfterl des Historischen durch den Ausstellungssaal, als der Schriftsteller Josef Haslinger ins Vakuum des Vortags der Bundespräsidentenwahl seinen Text „Leben in der Sozialdemokratie“ sprach. Vor fast 40 Jahren, 1979, war dieser in einer Anthologie österreichkritischer Texte veröffentlicht worden: „Rot ich Weiß Rot“ hieß diese Nummer des deutschen Jahrbuchs für Literatur, Tintenfisch. Von Bernhard über Jandl und Schutting bis Nöstlinger waren hier praktisch alle namhaften Autoren Österreichs versammelt, es war ein Rundumschlag, den man heute noch gern durchblättert. Gerade, weil das damals von Haslinger in seiner Absurdität vorgeführte Machtspiel zum Machterhalt von Sozialdemokratie und Sozialpartnerschaft sowie die daraus folgende Flucht des Österreichers in Wirtshaus und Kultur (der „stilisierte Vollrausch“) heute, in einer politischen Zeitenwende, erstmals ernsthaft gestört werden könnten.

Haslinger war damals der jüngste vertretene Autor. Vorigen Samstag war er eingeladen, mit der Lesung eine nach dem mittlerweile antiquarischen Sammelband benannte Ausstellung bildender Kunst zu eröffnen: „Rot ich Weiß Rot – kritische Kunst für Österreich“. Man hätte keinen besseren Zufallszeitpunkt für sie finden können. Einen größeren Raum als das einsaalige Frohner-Forum nahe der Kremser Kunsthalle wäre allerdings wünschenswert gewesen. So ist die von Christian Bauer, Direktor des zukünftigen Kunstmuseums Krems, sowie Elisabeth Voggeneder kuratierte Ausstellung eher ein historischer Abriss mit Werken von 36 Künstlern seit 1850 als vielleicht ein Überblick oder gar eine pathetische These dazu geworden, ob es in Österreich heute zu viel oder zu wenig oder überhaupt eine unabhängige, in die Tiefe gehende kritische Kunst über die Zuständ' gibt.

Aktuelle Arbeiten sind Ausnahme

Aktuelle Arbeiten, überhaupt Arbeiten aus den 2000er-Jahren sind die Ausnahme hier, beginnend mit dem schwarz-blauen „Widerstandsbutton“, den Johanna Kandl und Ingeborg Strobl als Erkennungszeichen für die Donnerstagsdemonstranten designten. Man habe schon eine Wiederauflage überlegt, angesichts der Bundespräsidentenwahl, erfährt man. Ist wohl jetzt bis zur Nationalratswahl aufgeschoben. Wie man überhaupt rückblickend sagen muss, dass besonders eine dominant konservative Gesellschaft bzw. Skandale des konservativen Lagers das Dringlichste, zum Teil auch Beste aus den (traditionell linken) Künstlern herausgeholt hat.

Allen voran natürlich der Wiener Aktionismus der Nachkriegszeit, vertreten mit dem „Wiener Spaziergang“ von Günter Brus, der 1965 weiß mit schwarzer Zerreißlinie bemalt durch die Innenstadt schritt, letztendlich in Polizeibegleitung. Ein Vogelperspektivefoto der winkenden Friedrichshof-Kommunen-Mitglieder im Winter 1988 schaut dann schon eher wie eine Gefangenenlagerbefreiung aus. Am Anfang, rund 20 Jahre davor, aber stand die noch pure Gesellschaftskritik beim „Blutorgel“-Manifest, bei der Einmauerung der Aktionisten im Perinetkeller, wo noch Adolf Frohner dabei war. Der Hausherr im Geiste – am Tag, nachdem Minister Frischenschlager 1985 einen zurückkehrenden Kriegsverbrecher auf dem Flughafen mit Handschlag begrüßt hat, aus „seiner“ SPÖ ausgetreten – ist sonst nur mit einem Wandzitat vertreten: „Ich schlage mit meinen Bildern die Bewältigung einer Gesellschaft vor, die sich schon lange an das System der Verdrängung gewöhnt hat. Bewältigung setzt aber Bewusstmachen voraus, und Bewusstmachen heißt Aufdecken.“ Auffällig viele kritisch-künstlerische Statements entstanden so auch im ersten Jahr der Waldheim-Affäre, 1986. Das Objekt „Scheißbrauner Lipizzaner“ (86/87) vom kürzlich verstorbenen Padhi Frieberger wurde laut Bauer erst unlängst wissenschaftlich bestätigt – die theatralische Lipizzanershow sei erst unter den Nazis eingeführt worden.

Besonders interessant gelangen zwei historisch/zeitgenössische Gegenüberstellungen: Unter Herbert Boeckls (zugunsten eines Nazi-Künstler-Entwurfs abgelehntem) Entwurf für den eisernen Vorhang der Staatsoper mit surrealistischem, also damals auf Weltoffenheit abzielendem Sujet, stehen vier rote Koffer von Nives Widauer von 2013: „I'd rather stay home“ steht darauf. Öffnung, Abkapselung, Reisen, Rückkehr, Globalisierung, Nationalismus – für kleine Länder mit großer Geschichte ewige dialektische Verzweiflungsfragen. Auch ablesbar im Umgang mit der Botanik: Jakob von Alt etwa ordnete in einer Druckserie Mitte des 19. Jh.s die Flora betont nationalistisch, den „Österreichischen Drachenkopf“ etwa. Daneben hängt das fotografische Fake einer (gehäkelten) Mohnblume von Robert Zahornicky (1999–2009).

Gerade in diesen stilleren Details, in Zwiegesprächen über die Jahrzehnte hinweg, in einer ephemeren, über den Köpfen wehenden Anti-Zwentendorf-Fahne von Christa Hauer, in den so herrlich absurd-nationalistischen Zeichnungen aus Gugging liegt die Stärke dieser Ausstellung – die man sich so gern im Großen vorstellen würde. Typisch österreichisch eben.

www.Forum Frohner, Krems-Stein, Minoritenplatz 4: bis 6.11., Di–So: 11–17h, Mo: geschlossen (außer Feiertag).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2016)

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