Thomas Campbell: „Es ist eine Periode großer Fruchtbarkeit“

s  Tom Campbell im Hotel Méridien, dem am nächsten gelegenen Hotel zum geliebten Brueghel-Saal.
s Tom Campbell im Hotel Méridien, dem am nächsten gelegenen Hotel zum geliebten Brueghel-Saal.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Thomas Campbell, Direktor des Metropolitan Museum New York, des größten enzyklopädischen Kunstmuseums, über seine Strategien für zeitgenössische Kunst, die Online-Präsenz und das Gewinnen neuer Besucherschichten.

Die Presse: Sie kommen nur für einen Vortrag im KHM aus New York – welche Beziehung haben Sie zu Wien?

Thomas Campbell: Jedes Mal, wenn ich hier bin, pilgere ich als Erstes in den Brueghel-Saal. Hier war ich schon bei meinem ersten Besuch als Student mit 19. Das Bild „Jäger im Schnee“ ist eines der großen Meisterwerke des westlichen Kunstkanons. Wie Breughel hier den Übergang zwischen den Härten und den Freuden des Lebens gestaltet hat – es inspiriert mich jedes Mal aufs Neue.

Sie besuchen also gar nicht als Erstes die Tapisserien in der Kunstkammer?

Als Tapisserien-Historiker habe ich natürlich immer eng mit den KHM-Kollegen zusammengearbeitet, es ist eine der besten Sammlungen der Welt, viel besser als die des Met. Eine meiner Mentorinnen war die KHM-Kuratorin Rotraud Bauer, eine der großen Tapisserie-Spezialistinnen der 1970er- und 1980er.

Wie wird man als Spezialist in einer solchen Nische, sorry, Direktor des wichtigsten Kunstmuseums der Welt?

Ich war ab 1995 Kurator für Textilien am Met und sehr glücklich. Als Philippe de Montebello 2008 seine Pensionierung als Direktor verkündete, war ich einer von vielen Kuratoren aus dem Haus, mit denen die Headhunter gesprochen haben, um sich ein Bild der Situation zu machen. Einen Monat später lud man mich ein, selbst am Wettbewerb teilzunehmen. Aber es ergab Sinn, jemanden von innen zu nehmen, der das Haus genau kennt.

Eine Parallele zu KHM-Direktorin Sabine Haag. Das ist allerdings eine der wenigen Parallelen. Vor allem die Finanzierung von KHM und Met ist fundamental anders.

Ja, das ist der größte Unterschied zwischen europäischen und US-Museen. Unser operatives Jahresbudget liegt bei 300 Mio. Dollar. Nur knapp zehn Prozent kommen von New York. Der Rest aus unserer Stiftung oder von Fundraising, Eintritten, Merchandising etc.


Der Eintritt aber ist frei im Met, also „pay as you wish“. Funktioniert das?

Das ist eine unserer Herausforderungen. Die „empfohlene Spende“ ist 25 Dollar. Aber die meisten New Yorker zahlen nur einen Penny.

Haben Sie deswegen heuer ein Defizit von zehn Millionen Dollar?

Nein, aber die Ausgaben steigen stärker als die Einnahmen, wir müssen restrukturieren.

Ist ein Grund die neue Ausrichtung auf moderne und zeitgenössische Kunst? Sie bespielen damit seit März das ehemalige Whitney Museum, während Sie im Hauptgebäude einen neuen Flügel ausbauen.

Das ist Teil einer Strategie. Als das Met im späten 19. Jh. gegründet wurde, sollte es alles sammeln, von der Antike bis zum Zeitgenössischen. Im frühen 20. Jh. wurde Europas Avantgarde als zu revolutionär betrachtet, das Sammeln wurde gestoppt. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg begann man wieder, aber die Qualität reichte nicht. Als ich Direktor wurde, spürte ich, dass es Zeit ist, wieder mehr Ehrgeiz ins Zeitgenössische zu stecken. Wir werden mehr Raum zur Verfügung stellen, wir sammeln aggressiver.

Was wird der Unterschied sein zwischen Ihren Ausstellungen und dem MoMA?

Wir können die Kunst in ihrer historischen Entwicklung zeigen. Zeitgenössische Kunst bei uns zu sehen, wird ein ganz anderes Erlebnis sein als in anderen Moderne-Museen.

Sie haben den Zeitgenossen-Boom unserer Zeit mit der Renaissance verglichen – sind Hedgefonds-Manager die neuen Medici?

Natürlich gibt es Unterschiede. Aber zeitgenössische Kunst wird international gefeiert, es wird enorm investiert. Neben schlechten Aspekten ist das der Lichtblick. Es ist eine Periode großer Fruchtbarkeit für die Kunst.

Ist es dadurch schwieriger, Geld für die Kerngebiete des Met zu sammeln, also für historische Kunst? Wie viele superreiche Tapisserie-Fans um die 40 wird es geben?

Viele, die zeitgenössisch sammeln, haben auch historische Interessen. Wir suchen speziell Trustees und Stifter, die unseren enzyklopädischen Ansatz teilen. Das ist nicht einfach, aber in New York geht das.

Sie haben über sechs Millionen Besucher pro Jahr – gibt es eine Obergrenze?

Wir könnten noch eine Million absorbieren. Online haben wir schon 35 Mio. Besucher, wir haben da viel Arbeit hineingesteckt. Auch die ganze Sammlung, außer den Druckwerken, ist online, eine halbe Million Nummern. Das soll mehr Leute motivieren, ins Museum zu kommen. Das ist wie mit der Sportberichterstattung, als man dachte, durch Radio oder TV werden weniger Leute ins Football-Stadion gehen. Das Gegenteil war der Fall.

Wie versuchen Sie, andere Gesellschaftsschichten anzusprechen als Touristen und weiße Manhattan-Bewohner?

Durch Online-Aktivitäten, Programme für Schulen und lokale Communities. Wir haben bescheidenen Erfolg, es ist hart. Es gibt auch spezielle Freundesvereine, mit denen wir auch Ankäufe in diesem Bereich finanzieren. Gerade bei native-amerikanischer und südamerikanischer Kunst haben wir Lücken.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.05.2016)

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