Die Malerei, dieses unersättliche Biest

Maria Lassnig Harte und weiche Maschine / Kleine Sciencefiction,1988 Öl auf Leinwand / oil on canvas, 126,5 x 201 cm
Maria Lassnig Harte und weiche Maschine / Kleine Sciencefiction,1988 Öl auf Leinwand / oil on canvas, 126,5 x 201 cm© Universalmuseum Joanneum, N. Lackner
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Vier Geschoße. Drei Kuratoren. 230 Bilder. „Painting 2.0“ im Mumok beraubt sich in seiner filmartigen Bildermasse der These, warum gerade die langsame Malerei in den vergangenen 60 Jahren, im Informationszeitalter, überlebt hat.

Besucht man die gestern eröffnete Berlin Biennale, also die Veranstaltung, die uns gerade den Status der Kunst erklären sollte, könnte man erstmals tatsächlich das glauben, was das Wiener Mumok in einer fast schon hysterisch großen Ausstellung zu verneinen versucht: Die Malerei ist tot. Ein einziges klassisches „Tafelbild“ nur findet man auf dieser gesamten, vom superchic affirmativen New Yorker Kuratorenkollektiv DIS zusammengestellten Ausstellung. Es ist von Nicolas Fernandez, weder besonders schlecht noch besonders aufregend, und zeigt eine Yoga-Kopf stehende Mutter, die sozusagen brustüber das vor ihr sitzende Kind säugt. Das Foto ist bereits ein alter Social-Media-Renner, durch die Weihe in Öl von Fernandez ist es jetzt eine Ikone unserer seltsamen Zeit zwischen Hedonismus und Flüchtlingselend. Man hätte (fast) die ganze Rest-Biennale nicht mehr gebraucht, diese ganze Flucht in virtuelle Welten voller Kommerzästhetik.

Ohne Polarisierung aber keine These. Und die These im Mumok heißt: Die Malerei ist gar nicht tot, sie wurde von der digitalen Bildwelt nicht nur nicht verdrängt, sondern hat diese von Anfang an gefressen, ja vampirisch ausgesaugt, um am Leben zu bleiben. Siehe Andy Warhol allen voran. Man könnte bis zur Erfindung der Fotografie zurückgehen, um Achim Hochdörfers Ansatz zu untermauern, aber es ist schon irre genug, die letzten 60 Jahre Malerei hier abbilden zu wollen. Mit 230 Werken von 100 Künstlern auf vier Stockwerken in einem Dutzend Kapiteln mit Namen wie „Prothetische Körper“ oder „Somatische Bilder“. Für letztere Titel gehörten Kuratoren höchstselbst darunter gehängt. Derlei kann noch das spannendste Unterfangen elitär unterminieren.

Hochdörfer, viele Jahre lang im Mumok Kurator, hat die Idee von „Painting 2.0“ (also Malerei im Internetzeitalter) bei seiner Berufung zum Direktor der Münchner Sammlung Brandhorst zwar mitgenommen, sie aber immerhin in Kooperation mit dem Mumok als Zweitstation verwirklicht, gemeinsam mit zwei Kollegen, Manuele Ammer, seiner Nachfolgerin im Mumok, und David Joselit, einem New Yorker Kunsthistoriker. Dieses Dreigestirn bringt mit seinen unterschiedlichen Ansätzen von Feminismus bis zu US-Kompetenz eine äußerst breit aufgestellte Auswahl zustande. Zu breit, um sich am Ende auszukennen. Aber das muss auch nicht sein. Es gibt nun einmal keine stringente Kunsterzählung mehr, es gibt keinen Wald, den man sehen könnte, es gibt nur noch Bäume. Da ist man dankbar für Ankerpunkte wie Maria Lassnigs Körperbilder, Martin Kippenbergers „Heavy Burschi“-Installation mit den geschredderten Bildern in der Baumulde und ihren Reproduktionen an der Wand. Oder Klassiker wie Joseph Beuys' Schrifttafeln: „Dürer, ich führe persönlich Baader + Meinhof durch die Dokumenta V“ von 1972 („dann sind sie resozialisiert“).

Beuys und Warhol waren nicht nur große Inszenatoren ihrer selbst in den neuen Medien, vor allem Warhol benutzte die entstehenden ikonischen Fotos als Ausgangsmaterial seiner Malerei, er ist Urvater dieser Ausstellung, auch mit der Idee eines Social Network, also seiner Factory. Neben diesen Ankern, neben Richter und Polke und Robert Rauschenberg und Basquiat gibt es erstaunlich viel zu entdecken, vor allem Künstlerinnen: jene der feministischen New Yorker A.I.R. Gallery etwa. Oder Nicole Eisenman, die herrlich ironische Kommentare über Malerei malt – „How is My Painting?“ zum Beispiel. Dazu gibt es als Zuckerl Kombis, die man so schnell nicht wiedersehen wird, zum Beispiel Martha Jungwirth neben Lee Lozano, zweimal gespreizte Beine, einmal aus der Klimt-Tradition abgeleitet, einmal aus der US-Kunstgeschichte – Lozano malt die Vagina als Sparbüchse, in die per Dollar-Münze die Liberty einziehen soll. Schnellen Sex gibt's also nicht nur im Netz, sondern auch auf der Leinwand. Auf Letzterer wird ihm ein Denkmal gesetzt.

Wo bleibt die Entschleunigung?

Die alte Theorie der Entschleunigung der Bilder durch Malerei ist nun einmal auch eine gute. Das ist wohl auch der Grund, warum die Malerei tatsächlich noch nicht krepiert ist in Zeiten von Berlin Biennalen, die sich um nichts weniger scheren als das martkttaugliche Einzelbild. Absurderweise kann genau diese Qualität der Malerei in dieser Feier ihrer selbst, dem „Painting 0.2“, nicht wirksam werden. Hier werden die Bilder selbst zur Masse, zur nicht konsumierbaren Masse, zu Kadern in einem verwirrenden Doku-Film dreier Kuratoren. Das Problem, vielleicht ja auch die Angst, die dem Ganzen zugrunde liegt, hat Oswald Oberhuber 1971 schon gemalt. Das Bild hängt wie ein Banner außen auf Heimo Zobernigs weißer Mumok-Brücken-Box: Eine vom Himmel gefallene, fett gemalte rote Rose, die ein ähnlich fettes Werbewort erschlagen hat – „Gefühl“ kann man gerade noch lesen.

„Painting 2.0“, bis 6. November. www.mumok.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.06.2016)

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