Die Frauen und der Strom

(c) Sammlung Verbund/Monzavi
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Unternehmen als Kunstsammler: Der Stromerzeuger Verbund schafft es seit 2004, eine kunsthistorisch bedeutende Firmensammlung aufzubauen.

Es begann 2004 als herkömmliche Marketingmaßnahme: Der Stromerzeuger Verbund hatte sich bis dahin nur an Großkunden gerichtet, durch die Liberalisierung des Stromnetzes konnten jetzt auch Endverbraucher umworben werden – und deshalb wollte das Unternehmen öffentlich stärker sichtbar sein. Dafür eignen sich die Bereiche Sport, Soziales und Kunst. Während sich der Verbund in den ersten beiden Sparten mit einer Logo-Präsenz begnügte, ging der damalige Generaldirektor, Hans Haider, mit der Kunst einen Schritt weiter: Eine hauseigene Sammlung wurde geplant. Der Vorstand beauftragte Gabriele Schor, ein Konzept zu erstellen.

Die Kunsthistorikerin war damals noch Korrespondentin für die „Neue Zürcher Zeitung“ und überlegte sich eine klare Strategie: Sie wollte die Sammlung mit 1970 beginnen und in die Tiefe statt in die Breite kaufen, mit klaren Schwerpunkten auf einzelnen Künstlern und monografischen Publikationen. „Der Verbund wollte Kunst und Arbeitsplatz verbinden, mir war wichtig, die Sammlung auch in Außenauftritten zu zeigen“, erklärt Schor.

Unabhängige Jury. Sie erhielt den Zuschlag. Einzige Bedingung: Eine unabhängige Ankaufsjury sollte ihr zur Seite stehen. Ausgestattet mit einer Million Euro als Ankaufsbudget in den ersten fünf Jahren, erwarb Schor gleich vier Filmstills von Cindy Sherman für 45.000 Dollar – ein äußerst günstiger Preis, „jetzt kosten die auf Auktionen bis zu einer Million“, sagt Schor. Bei manchen Werken zierten sich die Galerien: Jeff Walls „The Crooked Path“ durfte sie erst kaufen, nachdem ihre Jury aus Museumsdirektoren mehrmals die Qualität der damals noch jungen Verbund-Sammlung bestätigt hatte.

Heute ist eine solche Händlerhaltung kaum noch vorstellbar, weder im Generellen, da das Geschäft angesichts der unterdotierten staatlichen Museen zunehmend von Privat- und Firmensammlungen getragen wird, noch im Speziellen, denn Schor schaffte es, den Ruf der Sammlung in gut zehn Jahren durch hohe Qualität und Themenschwerpunkte hervorragend zu etablieren: feministische Avantgarde und „Wahrnehmung von Räumen und Orten“. Eine Auswahl aus dem zweiten Fokus ist gerade im „Sommer der Fotografie“ im Brüsseler Bozar zu sehen, der Hauptausstellung dieses zweijährigen Festivals. Hier zeigt Schor 200 Werke von 27 Künstlern aus der Sammlung, darunter eine beeindruckende kleine Werkschau von Gordon Matta-Clark – „wir besitzen eine der größten Sammlungen seiner Werke“, sagt sie stolz.

Berühmt wurde der 1978 mit 35 Jahren verstorbene Matta-Clark für seine „Cuttings“: Schnitte durch Hausfassaden, Decken, Wände – sich gegen die Architektur richtende, das Experimentelle suchende, temporäre Werke, die mit Video und Fotografie dokumentiert wurden. Hier hängt auch jener Jeff Wall, den die Galerie damals erst nicht hergeben wollte. Aber es sind nicht nur historische Werke. Die in Singapur geborene Simryn Gill dokumentierte Häuser in Kuala Lumpur, die nie bewohnt wurden. Diebe stahlen die Fensterrahmen und lehnten die Glasscheiben sorgsam an die Wände – lichtdurchflutete Orte der Abwesenheit. Die junge, in Teheran lebende Tahmineh Monzavi fotografierte Schneidereien und Geschäfte in desolaten Häusern, in denen Hochzeitskleider verkauft werden – Bilder für eine verratene Hoffnung in einem Land, das Frauen unterdrückt.

Schor leistet sich die Freiheit, in Brüssel nicht nur Fotografien und Filme zu zeigen. Auch Ernesto Netos Raum aus Nylonstoff ist aufgebaut, den er 2005 für das Wiener Freud-Museum schuf. Und den Abschluss bildet Fred Sandbacks Skulptur: Nur mit Fäden ist eine Form skizziert – ein Volumen ohne Oberfläche, ein Raum ohne Wände. Heute gehört Sandback zu den gefragtesten Künstlern des Auktionshandels, aber Schor kaufte schon früh ein. „Wir haben die größte Sandback-Sammlung außerhalb der USA.“ Das schlägt auch zu Buche: 2012 wurde erstmals die Wertsteigerung der Sammlung Verbund ermittelt: Den Ausgaben von sieben Millionen Euro stand nach nur acht Jahren ein Wert von zwölf gegenüber. Seit 2011 ist das Ankaufsbudget drastisch geschrumpft, erst auf 250.000 Euro, ab 2017 werden es nur 125.000 Euro sein – bei den rapide steigenden Preisen auf dem Kunstmarkt ein sehr kleiner Betrag, aber immerhin: „Ich finde es bemerkenswert, dass trotz wirtschaftlich schwieriger Umstände der gesamte Verbund-Vorstand 100 Prozent hinter der Sammlung steht.“ 2017 wird der Wert der mittlerweile über 800 Werke von 120 Künstlern erneut ermittelt, denn die Sammlung ist Teil des Anlagevermögens der Verbund AG.

Open Spaces, Secret Places, Bozar, Brüssel, bis 4. 9. 2016

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.06.2016)

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