Kunsthalle Wien: Der Stoff, aus dem die Träume sind

Die Betonillusion: Fotografiertes Papiermodell der Brennerautobahn von Thomas Demand.
Die Betonillusion: Fotografiertes Papiermodell der Brennerautobahn von Thomas Demand. (c) Thomas Demand
  • Drucken

Hier ist einmal drin, was draufsteht: "Beton" ist eine Ausstellung über das Faible heutiger Künstler für die Betonmoderne von gestern, die soziale Utopie verhieß.

Betong“ müsste sie eigentlich heißen, diese schöne, raue, massive Ausstellung über die verlorene soziale Utopie, die in der radikalen Beton-Architektur der Nachkriegszeit steckte. Denn sie ist genau so brutal, wie die zwei in Düsseldorf und Bochum sozialisierten deutschen Kuratoren – Kunsthalle-Wien-Direktor Nicolaus Schafhausen und seine Dramaturgin Vanessa Joan Müller – sie aussprechen. Für österreichische Ohren schwer erträglich, für Wiener Augen detto, denn hier wurde der Beton des Wiederaufbaus ja selten stolz präsentiert, sondern eher historistisch verbrämt. Aber auch nicht immer, was die im Rahmen der Ausstellung stattfindenden Stadtführungen „Vienna ugly“ enttarnen sollen, durchgeführt bezeichnenderweise von keinem Wiener, sondern dem Engländer Eugene Quinn.

Diese Tour allein bezeichnet schon die Angst-Lust, das ambivalente Verhältnis, das zu den spätmodernen Sichtbetonklötzen linksideologischen Anspruchs (Kulturzentren, Gemeindebauten, öffentliche Schwimmbäder etc.) gepflegt wird – schiach und gefährlich meint die Mehrheit zu diesen Orten heute. Utopistisch, radikal, progressiv meinen Künstler und Intellektuelle. Viele der in den 1960er-Jahren in Europa, England, Südamerika entstandenen brutalistischen Bauten, so der Stilbegriff, wurden seit den 1980er-Jahren auch abgerissen. Die verbliebenen sind heute sozial und ideologisch eher herausgefordert im Vergleich zum Ursprungsgedanken. Teilweise sind sie sogar Denkmäler dafür, wohin die sozialistische Aufbruchsstimmung von einst nach Jahrzehnten unbeschränkter Machtausübung führte.

Der Hang zum Betonmahnmal

Einige Arbeiten der Ausstellung deuten diese Schwierigkeit zumindest an: US-Künstlerin Jumana Manna stellt wie Mahnmale originalgroße Repliken von drei Betonsäulen des Osloer Regierungsgebäudes auf, erbaut 1958 voll Hoffnung, zum Teil zerstört 2011 durch die Bombe des Rechtsextremisten Anders Breivik. Dieser Hang zum Mahnmal ist in der künstlerischen Beschäftigung mit spätmoderner Betonarchitektur anscheinend angelegt, einige arbeiten in diese Richtung. Auch der Kopenhagener Kasper Akhøi, der mit seinen blockhaften Abgüssen der durch besonders raue Oberflächengestaltung geprägten, pädagogisch angelegten Betonarchitektur der brasilianischen Paulista-Schule gedenkt.

Ein ephemereres Denkmal setzt Sophie Thorsen einer vergessenen Wiener Sitte, der Spielplastik, die von der Stadt nach dem Krieg bei Künstlern beauftragt wurde. Ganz selten nur noch sieht man heute noch eines dieser Betontiere oder Spielgeräte. Die meisten wichen normierter Stangenware aus dem Spielplatz-Katalog. Wie nasse Fetzen oder eingerollte Manifeste hängt Thorsen Fotokopien dieser Plastiken jetzt auf ein buntes Klettergerüst. Lasst die Künstler wieder die Spielplätze gestalten, das wär's!

Einer gewissen Nostalgie, gebrochen nur durch wenige ironische Arbeiten (der lapidaren „Lücke“ von Isa Gentzken oder dem lethargischen Zirpengrillen in der ideologientleerten Betonwüste von David Maljkovic), kann man sich im Herzen des „Betongs“ nicht entziehen. Auch wenn Schafhausen/Müller das gar nicht wollten, ja, sogar proklamierten: „In keinster Weise wollen wir den nostalgischen Blick zurück.“ Dabei haben sie aber nicht mit den Künstlern gerechnet. Die schwelgen nun einmal in der verlockenden Brutalismus-Ästhetik, wie Werner Feiersinger mit tollen Fotos besonders skulptural wirkender Bauten in Italien. Annette Kelm in ihren Fotos des „Ennis House“ von Frank Lloyd Wright in Los Angeles. Oder Tobias Zielony mit seinem ruckelnden Film über die Wohnanlage Le Vele di Scampia in Neapel.

Einen nahezu romantischen Schritt weiter noch geht die Berlinerin Isa Melsheimer, die in einer Art Archiv abgerissene Brutalismus-Bauten malt, kleine Andachtsbilder von Masse gewordenen Visionen, die sie durch einfärbige dunkle Hintergründe in den Weltraum katapultiert. Aus diesen „Porträts“ nimmt sie Architekturdetails, gießt sie wiederum in Beton zu handlichen Meteoriten aus einer Vergangenheit, die so unbedingt Zukunft sein wollte. Betong? Betoh! Hach.

„Beton“: bis 26. 10., obere Kunsthalle Wien im MQ.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.06.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.