Manfred Deix: Er sah uns alle in der Unterwäsche

Manfred Deix vor einem seiner Werke
Manfred Deix vor einem seiner Werke(c) Imago
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Nachruf. Er zeichnete höchst unvollkommene Leiber und ebensolche Seelen, Katzen und Politiker, Jesus und sogar Gott: Manfred Deix, der ärgste und bedeutendste Karikaturist Österreichs, ist im Alter von 67 Jahren gestorben.

Ein Schüssel mit Pflaster überm Mund, ein Gusenbauer mit Pflaster überm Aug, ein Faymann in zärtlicher Annäherung an den „Krone“-Chef, ein Anonymus, dem die Nase phallisch übers Kinn hängt, eine Anonyma mit viel Zahnfleisch und der Art von Augen, die man in St. Pölten und Umgebung gern „Schasaugen“ nennt. Ein paar weitere Subjekte, teils geistlichen Standes. Darüber, auch nicht schöner, im Schlafrock, mit Tschick, Klobrillenbart und Katze, aber mit Krönchen: Manfred Deix, der König.
So zeichnete er sich selbst, als er 60 wurde (und in kräftigen Worten damit haderte), und wer hätte ihm widersprochen? Manfred Deix war längst als König der österreichischen Karikaturisten anerkannt; auch wer seine Cartoons einst als geschmacklos und unappetitlich abgelehnt hatte, fand sich bereit, im sonntäglichen Tonfall zu erklären, Deix zeichne die österreichische Seele. So pathetisch hätte er das selbst nie gesagt, aber es gefiel ihm. So wie es ihm gefiel, dass es das Wort „Deixfigur“ in den Duden schaffte. (Allerdings falsch erklärt: Es steht nicht für die Darstellung eines Menschentyps, sondern für einen Menschentyp, als den niemand sich selbst sieht.) Genauso hatte es Deix wohl früher gefallen, wenn man sein Werk als geschmacklos und unappetitlich bezeichnete. Das war es ja auch oft, und ganz bewusst: Wenn er den Menschen Spuren in die Unterhosen malte, wenn er die Männer mit feistem Fleisch und armseligen Zumpfen und die Frauen mit dünn hängenden Brüsten ausstattete, wenn er seine dicken Buben auch noch mit Wimmerln plagte, wenn er geile Chefsekretärinnen ihre Oberbuchhalter sexuell belästigen ließ, dann sah man, dass ihm wirklich grauste, dass er seine Objekte aber zugleich irgendwie liebte, in ihrer rührenden Unvollkommenheit.

Sein Jörg Haider hatte nichts Nettes

Das heißt: fast alle. Für manche seiner Untertanen fand König Deix keinerlei Gnade. Wenn er Jörg Haider mit stechender Nase und stechendem Blick darstellte, wusste man: Den mag er gar nicht. Dessen langjährige Stellvertreterin Heide Schmidt offensichtlich auch nicht. Ein Doppel-Cartoon mit dem Titel „Die nordische Rasse vor/nach der Umvolkung“, der die beiden einmal „normal“ und dann in afrikanischer bzw. balkanischer Version zeigt, zählt zu den bösesten zeichnerischen Attacken gegen Rassismus.

Wenn er aber z. B. den Bischof Kurt Krenn mit wehendem Kleid à la Marilyn Monroe malte, dann reagierte nicht nur der Karikierte entwaffnet: „Selbst Gott würde schmunzeln!“ Der in aller Strenge barocke Kirchenfürst und der ebenso barocke, mit Lust unanständige Zeichnerkönig mit dem zumindest volksetymologisch vom Teufel ableitbaren Namen sollen einander nicht schlecht verstanden haben, las man damals, im Jahr 2000. Neun Jahre später fand die Erzdiözese Wien kein Verständnis für Deix' Cartoon „Wie Gott wirklich aussieht“, einen so derben wie klugen Versuch über Gottesbilder, tief im doppelten Sinn: „tiaf“ in der wienerischen Bedeutung, also bewusst obszön, und tiefsinnig. Ähnlich tief und hart war eine Serie, die danach fragte, wie wir uns Jesus-Gesichter vorstellen bzw. nicht vorstellen. Auf die Frage, warum er denn das Thema Islam auslasse, antwortete er einmal ehrlich: Das sei ihm zu gefährlich.

„Es war Deix, der uns zu der bedeutenden philosophischen Erkenntnis verholfen hat, dass die Schöpfung lächerlich und Gott der größte Humorist ist“, sagte Maler Gottfried Helnwein, selbst ein Schürfer in Abgründen, zum Tod seines Freundes. Die beiden hatten einander in der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt in Wien kennengelernt.

Deix, geboren in St. Pölten, aufgewachsen als Wirtshauskind in Böheimkirchen (das Lokal seiner Eltern hieß Die blaue Weintraube), verließ die Graphische genauso wie die Akademie der Bildenden Künste ohne Abschluss. Seine ersten Zeichnungen – meist von nackten Frauen – verkaufte er mit sechs an interessierte Mitschüler, mit 21 veröffentlichte er seine ersten Cartoons in der Niederösterreichischen Kirchenzeitung. Es folgten „Profil“, „Trend“, „News“, aber auch „Stern“, „Spiegel“, „Playboy“. 1988 erschien der erste Sammelband, dem viele weitere folgen sollten, zuletzt 2015 „Tierwelt. Katzen & Co.“ Deix' Liebe zu Katzen war legendär, er teilte sein Haus mit Dutzenden. Genauso liebte er, wie so viele gute Menschen, Donald Duck und die Beach Boys. Diesen reiste er zu Konzerten nach und nahm sogar eine CD mit in den Wiener Dialekt übertragenen Beach-Boys-Songs (Untertitel: „Musik aus Ameriga“) auf. Von seiner Musikalität zeugen auch die Reime, die er seinen Karikaturen gern beigesellte, im Vorwort eines Bands ließ er sogar einen Dichter namens Danfred Meix zu Wort kommen, u. a. mit den Zeilen: „Kurzum: Wer Deix nicht leiden kann – egal, ob Kind, ob Mann –, der hat die Tassen nicht im Schrank und ist im höchsten Maße krank. Drum sei'n wir froh, dass wir ihn haben, diesen hochbegabten Knaben.“

Nun haben wir ihn nicht mehr. Manfred Deix, praktizierender Freund des Exzessiven, jahrzehntelang bekennender Trinker und Kettenraucher, hatte schon lange an schwindendem Atem gelitten. Jetzt ist er, wie das Karikaturenmuseum Krems meldete, 67-jährig in einem Spital gestorben. Unter den vielen betroffenen Reaktionen passt die von Schriftsteller Thomas Glavinic vielleicht am besten: „Manfred Deix war ein ganz Großer. Dieses Jahr kann mich mal.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2016)

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