Die Krise als Normalität, nicht nur in der Kunst

Altmeisterlich inszenierter Blick ins Ungewisse: Kader Attias großer Leuchtkasten „Man in Front of the Sea“, 2009.
Altmeisterlich inszenierter Blick ins Ungewisse: Kader Attias großer Leuchtkasten „Man in Front of the Sea“, 2009.(c) Galerie Krinzinger
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Gleich drei Ausstellungen zeigen in Wien zurzeit Kunst, die sich mit "der Krise" beschäftigt. Am besten sind die Arbeiten, die sich auf eine Metaebene begeben und nicht banal den Schuldigen (den Westen, die Wirtschaft) prügeln.

Die „Krise“ dominiert zur Zeit das Wiener Ausstellungsgeschehen außerhalb der Museen. Fragen der Migration sind vor allem damit gemeint, angeführt wurde die Welle von der Wiener-Festwochen-Schau „Universelle Gastfreundschaft“, es geht weiter mit Gruppenausstellungen im Kunstraum Niederösterreich und im privaten Kunstraum Franz Josefs Kai 3. „Krise“ unter Anführungszeichen, weil in dem, was wir lapidar Krise nennen, viele Krisen stecken, wie die drei Kuratoren von „Crisis as Ideology?“ im Kunstraum NÖ betonen.

Das aktuelle Krisengefühl unserer mitteleuropäische Gesellschaft wird durch mehrere Problematiken geprägt (Migration, Arbeitsmarkt, Wirtschaft, Populismus). Und die Krise stellt sich auch nicht als Zustand dar, sondern eher als nicht abreißende Kette von Problemen. Dieser Rückblick war nicht erst dem Trio Anamarija Batista (Kunsthistorikerin, Ökonomin), Karolina Radenkovic (Kuratorin) und Dejan Kaludjerovic (Künstler) verdächtig. Sie konnten für ihre These auf theoretische Vorarbeit von in der Kunstwelt angesagten Philosophen wie Giorgio Agamben oder Armen Avanessian zurückgreifen. Schon die fragten: Wem hilft das permanente Beschwören einer Krise? Der Politik und den neoliberalen Kräften natürlich, um mittels Ausnahmezustand mehr Macht auszuüben, zu manipulieren und der Gesellschaft permanente Verzichte abzuringen.

Das Gefühl, wenn alles zu kippen droht

Ist „die Krise“ also ein Konstrukt? Gar, wie der Titel sagt, eine Ideologie? Große Frage. Nur wird man in der Ausstellung keine Antworten auf diese kuratorische Behauptung finden. Die Kunst ist ja kein Orakel, schon gar kein ökonomisches, Gott sei Dank. Es geht hier also eher um die Metaebene. Um ein Herantasten. Ein Gefühl. Ein Sensibilisieren. Wunderbares Beispiel dafür ist ein ganz schlichter Tisch, aufgestellt von der kroatischen Künstlerin Vlatka Horvat. Auf ihm scheint der Moment eingefroren, in dem der Alltag plötzlich prekär zu werden beginnt: Ein Wasserglas, ein Korken, eine Küchenrolle, eine Glühbirne, irgendwelches Zeug – alles ist auf wunderliche Weise, wie durch Zentrifugalkraft, aus der sicheren Mitte vertrieben, gefährlich nahe an die Tischkanten gerückt. Gleich, gleich beginnt der Fall.

Das bewusste Verlangsamen unserer Wahrnehmung, das Herausfiltern wesentlicher Bilder aus dem medialen Dauerrauschen, ihre inspirierende, verstörende, assoziative neue Zusammenstellung – das ist es, was Künstler angesichts der „Krise“ leisten können. In der Kunsthalle am Karlsplatz etwa schafft die Deutsche Andrea Büttner völlig Überraschendes. „Bettler und I-Phones“ heißt die Einzelausstellung im Pavillon hinter dem Kaffeehaus. Erst sieht man eine Wand voll monumental-stilisierter Holzschnitte einer verhüllten Bettlergestalt. Vorbild war nicht etwa ein Handyfoto von der Kärntner Straße. Sondern die Skulptur „Verhüllte Bettlerin“ von Ernsts Barlach 1919, ewig sich wiederholende Formen am Rand.

Die erforscht Büttner auch in der Natur, dem Moos galt hier ihre Aufmerksamkeit, das sie sammelte, trocknete und zu Bildern presste, die sie jetzt hier ausstellt – gestische grüne Naturmalerei. Gar nicht natürlich ist dagegen die wilde Malerei daneben, die bunten Bilder sind die abgenommenen und vergrößerten Wischspuren, die ihre Finger auf dem Display ihres Smartphones (zufällig) hinterlassen haben. Ist jeder Smartphone-Besitzer also auch Maler? Ist das Suchen nach der (flüchtigen) Familie, nach der Identität, nach Wissen über eine Fluchtroute also auch immer ein künstlerischer, malerischer Akt?

Wo befinden wir uns gerade eigentlich?

Um territoriale Grenzen, Migration und Fluchtbewegungen geht es auch in der seit Jahren von Roland Schöny theoretisch vorbereiteten Gruppenschau „Where are we now?“ im Franz Josefs Kai 3. Es ist die präziseste der aktuellen „Krisen“-Ausstellungen. Man betritt sie schon einmal nicht, sondern schlüpft hinein, durch ein Loch in einem Zaun, den Gabriele Sturm aufgezogen hat. Seit Jahren beschäftigt sie sich mit Zäunen und Schlupflöchern, nicht unbedingt für Menschen, auch für Tiere. Im aktuellen Anlassfall reiste sie nach Spielfeld und fotografierte den Zaun in all seiner Lächerlichkeit (locker überwindbar, hört plötzlich auf etc.). Ruth Schnell dagegen ist „ihre“ Zäune nie selbst abgegangen, das hat Google Earth erledigt. Die Bilder der Zäune und Mauern in Israel, Belfast, an der Grenze Mexiko/USA montierte sie zu einer einzigen, täuschend echten Videofahrt. Die Geschichte einer brisanten Fahrt, einer brisanten Bahnstrecke recherchierte auch Ramesch Daha in einer Ölbilderserie. Es geht um die Transiranische Eisenbahn, die einst mithilfe der Nationalsozialisten gebaut wurde, später, im Zweiten Weltkrieg, aber als wichtigstes Transportmittel für die russische Armee im Kampf gegen die Nazis diente.

Krieg und Krise, Migrationsbewegungen und Kulturtransfer. Das scheint eben alles nie wirklich aufzuhören. Und vielleicht hat es ja auch nie wirklich begonnen.

„Where are we now?“, Franz Josef Kai 3, Wien 1, bis 3. Juli; Andrea Büttner, Kunsthalle Karlsplatz, bis 19. 9.;

Crisis as Ideology?, Kunstraum NÖ, Herreng. 13, bis 23. 7.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.06.2016)

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