Belvedere: Der göttliche Funken im ekligen Macho

Karikatur oder lasziv-schwülstiger Ernst? Bei Franz von Stuck kann man sich da nie sicher sein, verkaufen musste es sich trotzdem gut: eine von vielen Versionen der „Sünde“, 1893.
Karikatur oder lasziv-schwülstiger Ernst? Bei Franz von Stuck kann man sich da nie sicher sein, verkaufen musste es sich trotzdem gut: eine von vielen Versionen der „Sünde“, 1893.(c) Galerie Büttiker, Zürich
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Im Unteren Belvedere kann man sich diesen Sommer mit zum Teil unfassbarem Schwulst des Münchner Symbolisten Franz von Stuck unterhalten. Dennoch hatte er großen Einfluss auf Klimt und die Wiener Secessionisten.

Der Platz war durchaus brisant gewählt: Die zuletzt ob ihrer Amtsführung in Kritik geratene Belvedere-Direktorin, Agnes Husslein, stand bei der Pressekonferenz der großen Sommer-Ausstellung ausgerechnet vor der „Sünde“, einem Hauptwerk Franz von Stucks. Hat zu etwaigen „Sünden“ (Trennung Privat/Staat) ihrer Direktionszeit allerdings keine Stellung genommen, die Untersuchung läuft noch, in der zweiten Juli-Woche könnte es interessant werden. Bis dahin wird im Belvedere-Konzern ein Ausstellungsfeuerwerk abgebrannt, das seinesgleichen sucht. Begonnen hat der Kraftakt vor einer Woche mit einer wesentlichen Ausstellung zur Verwendung der Fotografie bei den Malern um 1900. Weiter geht es ab heute mit dem Einfluss des Münchner Symbolisten Franz von Stuck auf die Wiener Secessionisten, eine köstliche Ausstellung! Und in zwei Wochen wird Ai Weiwei das 21er-Haus bespielen. Belvedere rules.

Wie schnell Führungspositionen verloren gehen können, dafür ist Franz von Stuck ein gutes Beispiel. Ende des 19. Jahrhunderts war er ein Star, zu dem die Avantgarde aufgeschaut hat, ein Radikaler, ein Neuerer, ein Gründer der Münchner Secession (1892), nach deren Vorbild fünf Jahre später die Wiener Secession entstanden ist. Ab 1900 aber war Stuck wieder völlig uninteressant für die Wiener, so Kurator Alexander Klee. Sie gingen in Richtung Ornament, Abstraktion, Form, während Stuck weiter seinen Symbolismus ausschlachtete. In zum Teil grottiger Weise, es gibt Bilder, vor denen man hell auflachen muss – ein nackter Bacchus-Putto etwa, der fast herunterrutscht von dem Panther, auf dem er reitet. Oder ein lebensgroßer Satyr, der eine Nixe auf den Schultern trägt, die sich an seinen Hörnern anhält. Der Knabe hat sich inhaltlich echt nichts geschert, was gut gegangen ist, wurde gemalt, Kommerz pur.

Die „Sünde“ als Markenzeichen

Dazu passt auch die Konzentration auf skandalträchtige Bilder, die wie Markenzeichen funktioniert haben – etwa seine x-fach ausgeführte „Sünde“, der von einer Schlange umrahmte weibliche Oberkörper. Der „Luzifer“ mit den glühenden Augen. Und die Dutzenden Pane und Faune, mit denen er sich selbst identifizierte. Frauenversteher war Stuck sicher keiner, „er war ein widerwärtiger Macho mit skandalösen Familienverhältnissen“, spricht Klee Klartext. Den Mann sah der Sohn eines niederbayerischen Dorfmüllers als „Kraftmensch“, das „Weib“ habe vor allem anschmiegsam zu sein. Das üblich misogyne Zeug dieser Zeit halt. Was Stuck interessant macht, vor allem aus heutiger Sicht, vor allem in der Masse der Bilder einer derart großen Retrospektive, ist diese Überspitzung zur Kenntlichkeit. Eine immer spürbare ironische Note, eine doppelte Ebene, die laut Klee daher kommt, dass Stuck ursprünglich aus der Karikatur gekommen ist, ein seltener Werdegang für einen Maler damals (und heute). Das sei übrigens auch der Grund, warum er nie so ernst genommen wurde, nie so erfolgreich war wie zum Beispiel der um ein Jahr ältere Klimt. Stuck führte mit seiner Familie ein knallhartes Gewerbe – Gattin Mary fotografierte vermutlich die meisten der Motive, nach denen er malte. Die der leiblichen Mutter in einem sehr hässlichen Gerichtsprozess abgeluchste Tochter führte die Kunden durch die zum Gesamtkunstwerk gestaltete Villa Stuck. Der Meister höchstpersönlich führte dann die Verkaufsgespräche.

Doch Stuck war nicht nur Marketingstratege, er war in seiner Frühzeit auch künstlerisch ziemlich einflussreich, was diese Ausstellung zwischen all dem fröhlichen Schwulst und Kitsch wieder spürbar macht: Diese typisch dunklen, fast schwarzen Landschaften zum Beispiel (von denen es nur wenige gibt, sie haben sich wohl nicht gut genug verkauft). Der hochgezogene Horizont, der wahrscheinlich daher kam, dass Stuck bzw. seine Frau die Kamera für die Vorbild-Fotos zum Teil direkt auf den Boden legte. Der dadurch entstehende flächige Hintergrund, zum Teil auch aus Gold.

Mit 29 Jahren große Ausstellung in Wien

Klimt und die Secessionisten, aber auch bedeutende Fotografen wie Heinrich Kühn wurden von diesen Arbeiten klar inspiriert. Denn sie kannten sie alle. Von der großen Stuck-Ausstellung, die 1892 im Wiener Künstlerhaus stattfand, der bislang größten Ausstellung des gerade 29-Jährigen. Alexander Klee hat versucht, besonders viele der damals hier gezeigten Werke wieder nach Wien zu bekommen, sie sind eigens mit Symbol gekennzeichnet, was großen Spaß macht. Warum das gerade in Wien stattgefunden hat, ist übrigens leicht zu erklären: Hier ist der Verleger Martin Gerlach gesessen, für dessen Bestseller „Allegorien und Embleme“ Stuck die meisten Zeichnungen geliefert hat.

In Wien war Stuck eine Berühmtheit und ein Ansprechpartner, um im Nachbarland zu reüssieren, wie ein aus heutiger Sicht skurril wirkender Brief Egon Schieles zeigt, der Stuck 1908 um Hilfe gebeten hat, bei der Frühlingsausstellung der Münchner Secession angenommen zu werden: „Ein Wort von Ihrem göttlichen Wesen genügt und meine Erstlinge werden angenommen. [. . .] Ein Schreiben von Ihnen Hochverehrter wäre eine Reliquie.“ Heute ist Schieles Schreiben die Reliquie. Damals hatte sein Geschleime trotzdem keinen Erfolg, er stellte erst fünf Jahre später in der Münchner Secession aus.

„Sünde und Secession“, bis 9. Oktober, Unteres Belvedere.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.07.2016)

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