Ai Weiwei in Wien: Große Geste, großes Gefühl

PRESSEF�HRUNG DURCH DIE AUSSTELLUNG ´TRANSLOCATION TRANSFORMATION´ DES KONZEPTK�NSTLERS AI WEIWEI
PRESSEF�HRUNG DURCH DIE AUSSTELLUNG ´TRANSLOCATION TRANSFORMATION´ DES KONZEPTK�NSTLERS AI WEIWEI(c) APA/HERBERT NEUBAUER
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Ai Weiwei kleckert nicht bei seiner ersten Wiener Ausstellung, er klotzt, und zwar genial: An drei Orten platzierte er große Installationen, die Zeiten und Kulturen zu einem nicht immer wohligen Weltgefühl fusionieren.

Jeder kennt ihn heute, man muss nicht einmal etwas mit Kunst und Kultur am Hut haben. Ai Weiwei ist unserer Zeit größter Künstlerstar, den wir lieben können ob seiner Leidensgeschichte als Dissident und Flüchtlingsaktivist, den wir hassen können wegen seiner angeblichen Mediengeilheit, er ist genau der Künstlerstar, den wir uns verdient haben. Fast minütlich twittert der massige Chinese, der seit einem Dreivierteljahr in Berlin lebt und dort eine Professur hat, aus seinem Leben, wir sehen den Sohn, mit dem er nach seiner Gefangenschaft in China endlich zusammenleben kann, die schöne Frau, wir sehen, wie er sich von Flüchtlingen den Bart schneiden lässt, wie er mit ihnen redet, wie er sie einfach besucht in den Auffanglagern und an den Grenzen, die die meisten von uns nur aus dem Fernsehen kennen.

Wir sehen auch, wie er sich in der Pose des ertrunkenen Flüchtlingsbuben an den Strand gelegt hat, ein provozierender Akt der Solidarisierung, ein Sturm der Häme folgte. In der Halle des 21er-Hauses kämpft Kurator Alfred Weidinger bei der Pressekonferenz mit den Tränen. „Wie kann man einem Menschen allein so etwas antun“, sagt er, bricht abrupt ab. Und kurz weiß man nicht, ob er seine Chefin, Agnes Husslein, damit meint, die in den letzten Wochen in einem Psychokrieg um ihre Verlängerung kämpft. Oder den Künstler, der zwischen den beiden sitzt.

War Foto ein makabres „Fake“?

Der „Shitstorm“, der über den Künstler wegen des Flüchtlingsfotos einbrach, habe ihn nicht losgelassen, Weidinger recherchierte auch vor Ort, fand heraus, dass die Leiche des Buben für das ikonische Foto „inszeniert“ worden war, auf dem Foto sei nicht der originale Fundort zu sehen. Ein makabres „Fake“, wie so oft in der Fotoreportagegeschichte? Enttarnt durch ein intuitives, polemisierendes künstlerisches „Fake“? Steht das kalligrafische „F“, das jetzt so wunderhübsch im großen Bassin vor dem Oberen Belvedere schwimmt, dafür? Oder steht es für Freiheit? Oder Flüchtlinge? Oder schlicht „F*** you“? Der Buchstabe ist gebildet aus zu Lotusblüten zusammengehängten roten, orangen, blauen Schwimmwesten, die Flüchtlinge in Massen auf den griechischen Inseln zurücklassen. Ai Weiwei hat schon einmal mit diesen Relikten einer humanitären Katastrophe gearbeitet, in Berlin. Auch den geretteten, abgetragenen und schließlich verschifften antiken südchinesischen Ahnentempel, der jetzt so beeindruckend die gesamte Halle des 21er-Hauses ausfüllt, so als ob der Schwanzer-Pavillon eigens um ihn herum gebaut worden wäre, hat Ai Weiwei schon einmal gezeigt, voriges Jahr in Peking. Er hatte dort nicht diese Dimension wie hier. Hier ist der perfekte Ort für die 300 Jahre alte, wuchtige Holzarchitektur, in der Weiwei die später ergänzten Architekturteile bunt hervorhob. Eine Verschmelzung der Kulturen und Zeiten, wenn man weiß – und wer tut das schon? –, dass Schwanzers ehemaliger Expo-Pavillon ebenfalls eine Reise hinter sich hat, er stand einst in Brüssel. Vor allem aber, dass er 1958 dafür die Goldmedaille bekam, weil seine mittlerweile unkenntliche Originalform ein Brückensymbol zwischen Ost und West darstellen sollte. Wow. Was für eine formal und inhaltlich mächtige Fusion dieser beiden historischen Architektursymbole!

Eine ähnlich starke, wenn auch subtilere Fusion schafft Ai Weiwei im und vor dem Oberen Belvedere: Rund um das Bassin mit den Schwimmwesten hat er Bronzeköpfe der zwölf Tiere aus dem chinesischen Horoskop aufgestellt. Sie sind denen nachempfunden, die einst den Brunnen im kaiserlichen Sommerpalast in Peking schmückten und 1860 von französischen und britischen Truppen geraubt und in alle Welt verstreut wurden. Hier, vor dem westlichen hochbarocken Sommerpalast-Pendant, führt er sie wieder zusammen, die sieben davon jedenfalls, die bis jetzt wieder aufgetaucht sind, fünf Figuren sind noch verschwunden. Vor dem „Affen“ – in dessen Jahr wir uns übrigens befinden, was „ziemlich viel Probleme“ bedeute, so Ai Weiwei – fotografieren sich jetzt chinesische Touristen, im Hintergrund Prinz Eugens architektonisches Türkenbesieger-Triumphgeheul. Dem entspricht, dass Ai Weiwei die Tierköpfe wie aufgespießt präsentiert, so martialisch hätte auch Prinz Eugen es gefallen – die so duftig weiß daherkommende Dekoration seines Stiegenhauses ist blutgetränkt, geprägt von Waffen und Kämpfenden und Sklaven, die schwer zu tragen haben als Atlanten. Ai Weiwei lässt in diese unsere mythische Welt die chinesische mythische Welt einschweben, als drei wundersame, drachenartige Fabelwesen aus federleichter Seide und Bambusstäben. Jetzt wissen wir, was hier gefehlt hat, was uns fehlt.

„Translocation – Transformation“ heißt die Ausstellung, sie erzählt davon, was passiert, wenn man sich von zu Hause fortbewegt, wie fremd man sich fühlt, wenn man reist, flüchtet, entwurzelt wird, wenn man irgendwo landet, wo man sichtlich nicht hingehört. Und wie schön das auch sein kann.

Bis 20. November. 21er-Haus und Oberes Belvedere.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.07.2016)

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