Saisonbetrieb für die Moderne

Gemäßigte Moderne der Zwischenkriegszeit: Der Salzburger Maler Georg Jung zeigt „Die Festspielauffahrt“ aus der Bergperspektive, 1929.
Gemäßigte Moderne der Zwischenkriegszeit: Der Salzburger Maler Georg Jung zeigt „Die Festspielauffahrt“ aus der Bergperspektive, 1929.(c) Bildrecht, Wien
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Ist Salzburg wirklich antimodern? Und was hieße das? Sabine Breitwieser verwandelt das Museum der Moderne in der Festspielzeit zum Ausstellungsthinktank.

Es ist schwierig. Und je länger man darüber nachdenkt, desto verworrener wird es. Ist Salzburg antimodern? (Nur weil alle in Tracht herumlaufen und den Jedermann beklatschen?) Oder gar modern? (Weil ein Mal im Jahr die ganze Welt zusammenkommt und die Kunst feiert?) Was heißt heute modern? Was hat es je geheißen? Und worin leben wir, in der Weltmoderne? In einem neuen Hofmannsthal'schen Welttheater, einem religiösen Volkstheater, in das man aus der Krise flüchtet? Als Sabine Breitwieser von New York nach Salzburg zog, um hier das Museum der Moderne zu leiten, kam sie mit den üblichen Vorurteilen an diese „zum Bild gefrorene Stadt“. Womit sie natürlich nicht zufrieden war – wer ist das schon mit seinen vorgefassten Meinungen? Sie gehören hinterfragt. Aus der Recherche entstand so die Ausstellung „Anti:Modern“, ein Riesenstatement auf zwei Geschoßen, das während der Festspielzeit über dem ganzen Geschehen dräut.

Eine einfache Antwort kann man nicht erwarten, Breitwieser und ihr Team haben es sich und uns nicht leicht gemacht. Ziemlich historisch ist die Schau geworden, gespickt mit zeitgenössischen Arbeiten von Künstlern wie Gerhard Richter, Franz West, Renee Green etc., die sich absichtlich nicht direkt oder illustrativ auf die (lokale) Kunst und das Archivmaterial beziehen, zum Teil erstmals zu sehen. Etwa Teile des ominösen Archivs der Salzburger Galerie Welz, von Friedrich Welz gegründet. Er steht wie kein anderer für den so ambivalenten Umgang hier mit Ideologie und Moderne. Welz war Nazi und als Kunsthändler und Ariseur einer der großen NS-Profiteure in Österreichs Kunstbetrieb.

Aber – er schätzte auch die gemäßigte Moderne, kaufte „entartete Kunst“ und war bestens mit Oskar Kokoschka befreundet, der ebenfalls als „entartet“ galt und im Exil lebte. Nach dem Krieg war Welz dadurch wie reingewaschen, er „entnazifizierte sich selbst“, wie es die deutsche Kunsthistorikerin Birgit Schwarz im hervorragenden Begleitbuch zur Ausstellung ausdrückt. Durch die Schenkung seiner Sammlung konnte das Rupertinum gegründet werden, aus dem das heutige Museum der Moderne hervorging.

Welz war es auch, der Kokoschka 1953 als Leiter der Schule des Sehens zurückholte, die berühmte Salzburger Sommerakademie, die es heute noch gibt. Es ging schon damals um Öffnung und Internationalisierung, die die heutige Leiterin, Hildegund Amanshauser, noch steigern will; sie denkt im Begleitbuch sogar über den Ausbau zu einer ganzjährigen Kunstakademie nach.

Avantgarde in den Provinzstädten

Sehen wir diese Ausstellung also als Ansammlung historischer Fallbeispiele, die uns angenehm verwirren können: So wurde die Schule des Sehens zwei Jahre vor der ersten Documenta in Kassel eröffnet, die den Deutschen die Moderne vermitteln sollte. Neben der Biennale Venedig ist die Documenta heute noch wesentlich für die bildende Kunst. So wie die Salzburger Festspiele es für das Musiktheater sein sollten. Es ist interessant: Die Avantgarde liebt also die Provinz. Großveranstaltungen für bildende Kunst kommen aber nicht in den Hautgout der Unterhaltung des reaktionären Geldadels, obwohl dieser auch dort dahintersteht. Warum?

Was ist anders an Salzburg? Ist es der ideologisch aufgeladene, künstliche Mythos, der nicht nur für Österreich, sondern für den ganzen deutschsprachigen Raum eine Identität kreieren sollte? Ein unaufgearbeitetes, politisches, touristisches Monsterkonstrukt, in dem die Moderne Gastspiele hatte – als 1908 der 1. Psychoanalytische Kongress im Electricitätshotel (heute Bristol) residierte, 1922 im Café Bazar die Internationale Gesellschaft für Neue Musik gegründet wurde, die Reformballettschule der Duncan-Schwestern in Klessheim hauste. Doch das Konservative und die Revolution, wie Hofmannsthal sie rhetorisch zusammengeführt hat, ist hier nie wirklich zusammengekommen. Das eine blieb, das andere kam und ging. Ein Saisonbetrieb für die Moderne. Immerhin.

Bis 6. 11. Tägl. 10–18h, Mi bis 20 h.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.07.2016)

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