Wenn Unternehmen sammeln: Der Nackte und die Bank

Kontroverse Kunst am Bau: Tomislav Gotovac, „Watch on the Rhine“, 1994. Installationsansicht Campus Erste Group.
Kontroverse Kunst am Bau: Tomislav Gotovac, „Watch on the Rhine“, 1994. Installationsansicht Campus Erste Group.(c) Kontakt/Erste Group und Erste Stiftung
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Das Engagement der Erste Bank, eine nomadische Sammlung mit Namen ("Kontakt") und strengem Profil.

Keine Bürodekoration, kein interner Leihverkehr, alles ist im Lager – die Sammlung der Erste Group ist anders. Erst vor zwölf Jahren gegründet, ist es eine der jüngsten, vor allem aber die wohl anspruchsvollste unter den Corporate Collections. „Wir haben von Anfang an ein Kapitel der südosteuropäischen Kunstgeschichte aufgearbeitet“, erklärt Walter Seidl. Seidl arbeitet zusammen mit Sammlungsdirektorin Kathrin Rhomberg für „Kontakt“, wie die Initiative der Erste Group und der Erste Stiftung heißt. Der Schwerpunkt liegt auf konzeptueller Kunst der 1960er- und 1970er-Jahre aus Zentraleuropa. Als sie 2004 damit begannen, gab es noch keine Recherchen dazu. Nicht einmal der Kunstmarkt interessierte sich für diese wegweisende Epoche aus jener Zeit, als die Staatskünstler im Stil des Sozialistischen Realismus malten, die Dissidenten als Neoavantgardisten dagegen mit geringstem finanziellen Aufwand ihre eigenen Wege beschritten.

Anfangs kauften sie vor allem direkt bei den Künstlern. Manche lokale Institutionen waren damals davon gar nicht so begeistert und behaupteten hinter vorgehaltener Hand, die Wiener hätten die Preise hochgetrieben. Aber Kathrin Rhomberg betont, es wären „an westlichen Maßstäben angemessene, eher noch niedrige Preise gewesen“. Heute besitzt die Sammlung rund 500 Werke, darunter Schlüsselwerke von Július Koller, Tomislav Gotovac, Mladen Stilinović, aber auch von auffallend vielen Künstlerinnen wie Maja Bajević, Greta Br?tescu, Dóra Maurer – alles Namen, die mittlerweile auf dem Kunstmarkt gefragt sind und denen große Einzelausstellungen in europäischen Museen gewidmet werden.

Kunst als Identitätsstifterin. Das Modell von „Kontakt“ ist außergewöhnlich. Es gehört zur Erste Group, die sich als „einer der größten Finanzdienstleister in Zentral- und Osteuropa“ beschreiben und aus rund 1000 Bankfilialen in Österreich bestehen, dazu 1800 Niederlassungen in sechs osteuropäischen Ländern und weiteren Korrespondenzbanken. „Kontakt“ ist das gemeinsame, identitätsstiftende Projekt dieser vielen Banken, denn es ist als gemeinnütziger Verein gegründet. Finanziert wird der Verein aus Mitgliedsbeiträgen. Die Mitglieder sind die Banken der Erste Group, die pro Jahr mittlerweile nur noch rund 400.000 Euro einzahlen. „Anfangs war das Budget höher, aber es gab massive Einschnitte“, erinnert sich Sammlungskurator Seidl, der seit Beginn dabei ist.

Die Hälfte der Einzahlungen wird für die Betreuung, wissenschaftliche Aufarbeitung und Publikationsförderungen aufgewendet. Denn „Kontakt“ sammelt nicht nur, sondern unterstützt auch Initiativen in Osteuropa. Künstler, Kuratoren und Institutionen können Vorschläge für Bücher einreichen, die meist Künstler der Sammlung betreffen. Ein weiterer Teil wird für die drei Teilzeitmitarbeiter von „Kontakt“ benötigt. Ein kleiner Rest bleibt für eigene Projekte und Ankäufe übrig – aber da springt die Erste Stiftung als wichtiger Partner und Geldgeber ein, denn dafür reichen die Mitgliedsbeiträge nicht.

Künstler in prekären Situationen. Immer wieder seien Mitglieder auch bereit, höhere Summen einzuzahlen, sagt Rhomberg. Zumal es zu den Aufgaben von „Kontakt“ gehört, in osteuropäischen Ländern Teile der Sammlung auszustellen und lokale Institutionen zu unterstützen. Rhomberg spricht hier von einer „dringlichen Notwendigkeit“, weil die Kunstszene in jener Region in prekäre Situationen gerate, da es kaum staatliche und nahezu keine privaten Förderungen gebe. „Die Situation hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verschlechtert.“ Das nächste Projekt findet von November 2016 bis Mai 2017 in Zagreb statt, in einem dichten Rhythmus werden Sammlungsstücke und Neuproduktionen in Ateliers, Wohnungen und Institutionen zu sehen sein.

Bei diesen Aktivitäten verwundert es nicht, dass Rhomberg die Sammlung als eine Hybride beschreibt, die anders als die anderen Corporate Collections weder zweckorientiert noch repräsentativ angelegt sei. Der Name geht zurück auf ein Werk von Julius Koller, der 1969 das Wort Kontakt auf eine Postkarte geschrieben und verschickt hat – ein typisches Werk der damaligen Neoavantgarde, zugleich Tatsache und Aufruf. Sehr bewusst habe Boris Marte sich bei der Gründung gegen einen eigenen Ausstellungsraum entschieden, wie es 2004 noch Bawag und Generali Versicherung betrieben haben. Stattdessen sei Kontakt nomadisch organisiert, man geht mit der Sammlung in die Länder, und einzelne Werke werden kontinuierlich an Museen und Großausstellungen verliehen. In den vergangenen Jahren werden zudem Künstlerarchive aufgearbeitet und Werke jüngerer Künstler erworben, die eine Verbindung zu der älteren Generation halten – darunter übrigens auch von Österreichern wie Josef Dabernig, Carola Dertnig und Heimo Zobernig. Denn „Wien ist Teil des geopolitischen Gefüges“, auf das die Sammlung konzentriert ist, betont Rhomberg.

Warum aber hängt keines der Werke in den Gängen und Büros der Mitarbeiter? „Wir haben ausschließlich Werke in Museumsqualität“, erklärt sie, die konstante klimatische Bedingungen benötigen. Konsequent hängt denn auch im neuen Erste-Campus auf dem Wiener Hauptbahnhof keine Flachware, sondern es wurde Kunst am Bau beauftragt – wofür nicht „Kontakt“, sondern die beiden Kuratoren Rhomberg und Pierre Bal-Blanc verantwortlich waren.

Der verletzliche männliche Körper. Eines dieser zehn Werke sorgt jetzt für Aufregung: In einem semiöffentlichen Bereich für Besprechungen ist die Fotografie eines lebensgroßen nackten Mannes an der Wand affichiert. Das Motiv entstammt einer älteren Performance des 2010 verstorbenen Tomislav Gotovac, der 1994 als „living sculpture“ auf dem Dach des Hauses der Kulturen in Prag stand. Gotovac habe sich mit faschistischen Tendenzen auseinandergesetzt, erklärt Rhomberg, was heute wieder sehr aktuell sei. Die Fotografie wurde zusammen mit den Nachlassverwaltern für die neue Raumsituation adaptiert. Jetzt schaut Gotovac also über die Dächer von Wien, „nach außen“, wie Rhomberg betont. „Dieser massive, aber verletzliche, nackte, sehr skulpturale Körper, der da in einer perfekten Architektur zu sehen ist, berührt die Menschen tief“, erläutert Rhomberg, „ich sehe es als Glücksfall – auch im Sinn des Künstlers.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.08.2016)

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