In 274.668 Tagen durch (Kirchen-)Raum und Zeit

Minoritenkirche Krems
Minoritenkirche Krems(c) Kunsthalle Krems
  • Drucken

Mit grauen Stäben und Balken verspannt Bildhauer Michael Kienzer die Kremser Minoritenkirche. Ab Samstag.

Wie jede ordentliche Museumsdirektion in Österreich beginnt auch jene von Florian Steininger in der Kunsthalle Krems mit einer Schließung. Wobei die anstehende Generalsanierung des Niederösterreichischen Aushängeschilds für moderne und zeitgenössische Kunst nicht auf dem Mist bzw. der Eitelkeit Steiningers gewachsen ist, muss man zur Ehrenrettung dazusagen. Dennoch, Steininger übernahm im Juli ein geschlossenes Haus, das erst nächsten Juli wieder eröffnen soll, und zwar mit einer Ausstellung über abstrakte Malerei.

Das klingt schon ganz nach dem ernsthaften Steininger. Wie auch der Zwischenruf, den er jetzt als erstes direktorales Lebenszeichen von sich gibt: Michael Kienzer bespielt auf seine Einladung hin die Minoritenkirche in Krems mit einer Rauminstallation. Einer Raumverspannung, muss man sagen. Langhaus bis Apsis durchmisst der 1962 in Steyr geborene Künstler, einer der konsequentesten Bildhauer seiner Generation, mit grauen Stäben und Balken. Es ist ein Spiel der Kräfte und Mächte, das in seiner Hingeworfenheit an Mikado erinnert, in seiner neutralen Übertünchung und seiner dadurch undefinierbaren Materialität an die Künstlichkeit von Playmobil. Sind das etwa Baggerschaufeln an den Enden der Stäbe, die versuchen, die Kirchenwände auseinanderzupressen? Aber wie können sie überhaupt pressen, wenn die Stäbe nur lose und locker auf einem Sockel in der Mitte des Kirchenschiffs aufliegen? Was ist das überhaupt für eine Form? Aus der Vogelperspektive erinnert es an ein (zerbrochenes) Kruckenkreuz, ein vom Austrofaschismus benutztes, aber seit der Steinzeit geläufiges Symbol, das gemeinhin als germanisch-christlich gedeutet wird.

Was das hier bedeutet? Die seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert säkularisierte Kremser, eigentlich die Steiner Minoritenkirche ist eine der ältesten Bettelordenskirchen nördlich der Alpen. Der aus dem 13. Jahrhundert stammende gotische Raum ist einer der schönsten, einer der stärksten Kirchenräume Österreichs. Er wurde schon als Salzdepot, als Tabakwarenlager, als Rüsthaus der freiwilligen Feuerwehr Stein genutzt. Seit Anfang der 1990er-Jahre ist er der Kunst gewidmet; hier wurde einst die Kunsthalle Krems begründet, jetzt gehört er als Klangraum Krems der experimentellen Musik.

Kienzer begnügt sich aber nicht mit dem Austasten der Erzählung dieses historischen Raums. Er will auch die Zeit, die dieser Raum verinnerlicht hat, fassbarer machen: „24 von 274.668 Tagen“ lautet der Titel der Installation. Denn vor 274.668 Tagen, so rechnete Kienzer aus, wurde die Kirche geweiht. Sein Innehalten hier dauert nur so lang, wie man gemeinhin auf das Christkind warten muss. Das ist Kienzers große, sehr subtile Leistung hier – die Zeit hört man plötzlich ticken. Den Ort lernt man plötzlich sehen, in all seinen Unregelmäßigkeiten und Asymmetrien, aus allen Winkeln und Perspektiven. Und von keinem Standpunkt aus kann man ihn ganz erfassen.

Installation der Kunsthalle Krems im Klangraum Krems, Minoritenkirche, ab morgen, 27. August, bis 18. 9.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.08.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.