Wie schön ist ein Pissoir? Wie wird es zum Ort der Romantik?

Nach dem Glück widmet er sich der Schönheit: Der in New York erfolgreiche Vorarlberger Designer Stefan Sagmeister plant für 2018 eine „Beauty Show“ im Wiener MAK. Ebendort hielt er schon jetzt ein Plädoyer für Schönheit – und gegen die Doktrin des Funktionalismus.

Andy Warhol hat viele Waren aus dem Supermarkt zu Kunstwerken erklärt – warum fällt uns gerade seine Brillo-Box ein? Weil ihr Design von einem abstrakten Expressionisten (James Harvey) stammt, erklärte Stefan Sagmeister: „Die Schönheit hat sich durchgesetzt.“ Das war der Kehrreim seiner Vorlesung am Sonntag beim Ästhetik-Kongress: Schönheit triumphiert. Auch weil sie oft besser funktioniere als das rein Funktionelle, sagte Sagmeister und nannte die U-Bahn in Moskau als Beispiel. Dort haben alle Stationen ein individuelles, schönes Gesicht: „Der Passagier sieht sofort, wo er ist.“

Sagmeister, 1962 in Bregenz geboren, ist international erfolgreicher Designer: Er hat Plattencovers für die Stones, Lou Reed und die Talking Heads entworfen und bereits zwei Grammys gewonnen. 2015 hat er im MAK seine „Happy Show“ präsentiert: eine nur scheinbar naive Ausstellung über das Glück, für die er sich intensiv mit wissenschaftlichen Theorien darüber befasst hatte.

Ähnliches hat er nun mit der Schönheit vor: Für Herbst 2018 ist im MAK die Ausstellung „Sagmeister & Walsh: The Beauty Show“ (mit Jessica Walsh führt er gemeinsam in New York eine Agentur) geplant, jetzt schon beginnt er ein Sabbatical, während dessen er, nicht zuletzt im heimatlichen Bregenzerwald, die Schönheit studieren will.

Sinn für Schönheit bleibt lang

Bei seiner Wiener Vorlesung gab er einen ersten Einblick in seine Überlegungen, inspiriert hat ihn u. a. die Forschung des derzeit an der Wiener Uni aktiven Psychologen Helmut Leder, der etwa herausgefunden hat, dass Demenzpatienten den Sinn für Schönheit erst sehr spät verlieren. Er ließ seine Versuchspersonen mehrmals Kunstwerke nach ihrer Schönheit ordnen, die Ergebnisse waren reproduzierbar. Und: Das als „Fountain“ von Marcel Duchamp ausgestellte Urinal kam verlässlich auf den letzten Platz . . .

Das mag in der Kürze wie antimodernistische Polemik klingen, doch Sagmeister betont gegenüber der „Presse“, dass er die Verdienste der Moderne sehr wohl schätze. Er glaube halt nicht an die von Adolf Loos in „Ornament und Verbrechen“ propagierte Idee, dass Verzierungen an Gebrauchsgegenständen unangemessen und überflüssig seien. Beim Vortrag zitierte er Théophile Gautier: „Etwas kann nur wirklich schön sein, wenn es keine Funktion hat. Der funktionalste Raum im Haus ist das Klo.“ Nicht ganz zu dieser These passt eine Auftragsarbeit von Sagmeister & Walsh: Sie malten eine New Yorker Unterführung, die notorisch von männlichen Passanten als Pissoir benutzt wurde, mit einem ornamentalen „Yes“ aus. Ergebnis: Statt Notdürftigen kamen Liebespaare, um sich fotografieren zu lassen. Auch hier erwies sich eine – scheinbar nutzlose – Verschönerung als durchaus funktional.

Woher kommt unsere Vorstellung von Schönheit? Sagmeister brachte kurz biologische Ableitungen – Schönheit diene der Partnersuche, siehe das Rad des Pfaus –, machte aber schnell klar, dass er keine Lust hat, Schönheit nur von der Natur abzuleiten. Die Skyline von New York findet er sehr schön, überhaupt sei ihm diese Stadt bebaut lieber als im bewaldeten Urzustand.

Warum wir Wasserrauschen schöner finden als Straßenlärm, fragte ein Zuhörer. Sagmeister dachte lang nach und meinte dann, es liege vielleicht an der fraktalen Struktur des Wasserrauschens. Genau diese in der Natur häufige fraktale Qualität – dass ein Objekt in mehreren Größenbereichen ähnlich strukturiert ist, wie eine Küstenlinie oder eine Schneeflocke – wird bei seinen Erkundungen der Ornamente gewiss noch eine große Rolle spielen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.09.2016)

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