Fremde Götter, bekannte Zweifel

MAX PECHSTEIN
MAX PECHSTEIN(c) Pechstein Hamburg/Tökendorf/Bildrecht, Wien
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Leopold-Museum. „Fremde Götter“ ist eine wunderschön inszenierte, didaktisch gelungene Ausstellung, die sogar den Zweifel an sich selbst nicht ausblendet: Darf man afrikanische Gebrauchskunst überhaupt so kontextlos ausstellen?

Solche Geschichten liebt man eben: Als Erwin Melchart 2009 als „Krone“-Kunstkritiker-Legende in Pension ging, begann der Stress erst, er machte seinen ersten Bildungsweg, Völkerkundler, zum dritten – und baute im Dorotheum die Sparte für außereuropäische Kunst auf. Um bei der ersten Auktion 2011 einen Knaller zu landen, fiel ihm „der Rudi“ ein, erzählt er. Denn Rudolf Leopold, damals schon verstorben, hatte in den frühen 1960er-Jahren gemeinsam mit Melchart in Wien afrikanische Kunst zu sammeln begonnen. Bei einem Kunsthändler, der tatsächlich Diamand mit Nachnamen hieß.

Aber der Kino-Schinken von einer Ausstellungshistorie geht weiter: Melchart rief damals also Witwe Elisabeth Leopold an. Und als man so gemeinsam beim Kaffee in der Küche des Grinzinger Hauses saß, öffnete sie ganz beiläufig ein Türchen – und Melchart schritt in sein Sesam und verließ es die nächsten drei Wochen nicht mehr. Bis er die rund 500 afrikanischen und ozeanischen Masken, Figuren, Schmuckstücke, Speere, Schwerter, Orakelbretter, Schalen, Hocker, Pfähle etc. katalogisiert hatte. 180 Stück davon kamen in seine Auktion. Danach machte Melchart sich an den Bestandskatalog der rund 250 Stammeskunstwerke, die nicht im Privatbesitz der Leopolds verblieben, sondern in der Sammlung des Leopold-Museums, also der Stiftung, gelandet waren. Die hatten bis dahin nämlich auch niemanden so recht interessiert.

Geistern um spektakuläre Schaubühnen

Aus dieser ganzen Expertise wurde nun eine Ausstellung, die basierend auf den Leopold'schen Objekten den Einfluss der Stammeskunst auf die Klassische Moderne erzählt. Melchart ist dazu Kurator Ivan Ristić zur Seite gestellt worden. Heraus kam eine wunderschöne, aber auch irritierende Schau. Denn wir sind in Wien nicht gewohnt, diesen Diskurs über Tribal Art, wie sie international heißt, zu führen. Seit 2001 ist die Dauerausstellung des Völkerkundemuseums, heute Weltmuseums, geschlossen. Ein derart prominentes Haus wie es heute etwa das Musée du Quai Branly in Paris ist, gab es sowieso nie.

So geistert man ein wenig fassungslos um die spektakulären Schaubühnen voll fremder Artefakte herum, die Melchart/Ristić in jedem zweiten Saal so wunderschön inszeniert haben. Dazwischen läuft der Erzählstrang der Maler der Moderne, die in Paris und Berlin Anfang des 20. Jahrhunderts den „Primitivismus“ entdeckten, wie man früher sagte. Die Gauguin-Gemälde aus Polynesien darf man sich allerdings nicht erwarten, derartige Leihgaben sind nahezu unerschwinglich, man bekam zumindest eine Noa-Noa-Holzschnittserie. Dafür wird mit feinen Vergleichsgruppen didaktisch gründlich gearbeitet: Gemälde von Picasso, Modigliani, Brânuşi hängen neben und zwischen den inspirierenden Objekten, neben einem Modigliani u. a. etwa eine Guro-Maske, die Rudolf Leopold noch von der Intensivstation aus bei einem Auktionshaus gekauft hat.

Diese Leidenschaft teilte er mit den Malern von damals, die alle auch selbst Afrikana sammelten, wovon historische Atelierfotos von Picasso, aber auch vom deutschen Expressionisten Ernst Ludwig Kirchner erzählen, der sich überhaupt eine Art Faschingsurhöhle gebastelt hat. Anders als die Pariser Modernen, die von der Freiheit der Form fasziniert waren, waren die deutschen von der romantischen Vorstellung eines ursprünglichen Lebens ergriffen. Beides natürlich Projektionen, wie auch unsere heutige Sicht auf diese Objekte: Sie standen nie auf Sockeln oder in Museen, sie waren in permanenter Verwendung, keine Kunst, sondern Alltagsgegenstände. Ist unser Blick also falsch? Gar arrogant? Kolonialistisch?

Um diesen in vielen Städten seit Jahren in Welt- und Völkerkundemuseen geführten komplexen Diskurs nicht völlig auszublenden, wurden zwei Arbeiten des zeitgenössischen Künstlers Kader Attia eingebaut. Gleich im ersten Saal entlarven seine zerborstenen Spiegelmasken die Ausstellung rundherum als eurozentrisches Zerrbild einer fremden Kulturgeschichte, als exotische Fantasie, in der einfach so zu schwelgen uns die Geschichte verbietet. So inszeniert diese Ausstellung unseren Zweifel als rhythmische Abfolge zwischen Skepsis unserer Moderne gegenüber und Skepsis gegenüber der eigenen, heutigen Faszination, die man Aug in Aug mit den Objekten immer noch empfindet.

Bis 9. Jänner. Tägl. außer Di, 10–18h, Do bis 21h.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.09.2016)

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