Steirischer Herbst: Tanzen, töpfern, teilen - Ja, schaffen wir!

Qing
Qing(c) Simon Wachsmuth
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Während überall die Zweifel keimen, hält die Kunst in Grau die bunte Fahne hoch: „Wir schaffen das“ lautet das Motto des Steirischen Herbsts, der dieses Wochenende beginnt. Macht Mut, wirklich! Und Spaß. Warum nicht.

Es ist ja nicht so, dass wir prinzipiell glauben, dass Kunst die Welt retten wird. In Graz noch dazu. Im Steirischen Herbst überhaupt. Die Wiener sind nämlich ein arrogantes Pack, gepampert tagein, tagaus mit Kunst und Diskurs, Ausstellungen, Symposien und Podien zu Identität, Migration, Krise. Und verkraften Festival-Motti wie „Wir schaffen das“ gar nicht gut. Wofür hält sich dieses steinalte Provinz-Vielsparten-Festival-Teil bitte? Wie banal ist das denn?

Gar nicht. Give Graz a Chance! Gerade hier im Abseits kann vielleicht ein Geist, der sonst nur mehr redundant oder zynisch erscheint, noch wirkkräftig beschworen werden. Reden wir dafür nicht von Theater, Musik, Performance, sondern von den Ausstellungen. Die sind zumindest immer da, wenn man sie braucht, also wenn man in Graz ankommt. Und gerade das Ankommen, die „Willkommenskultur“ des Teams rund um Intendantin Veronica Kaup-Hasler, wird hier gleich einmal als optisches Spektakel auf die Spitze getrieben: Das ganze sogenannte Annenviertel, migrantisch geprägt zwischen Kunsthaus und Bahnhof gelegen, wurde als „Arrival Zone“ gestaltet. Mit einer neonfarben gemusterten Schau-Architektur voller Tore, Fahnen, Türme, ein potemkinsches Zirkusdorf naiver Freu- und Fröhlichkeit.

Wenn das Kollektiv nervt

Dessen Zentrum bei Tag ist der ebenso verkleidete Volksgarten-Pavillon, der programmiert wurde, um die rundherum ansässigen Communities samt Grazern zu mischen, zu vernetzen, bekannt zu machen. In diesem charmanten, bisher brachliegenden Pavillon in dem bisher wenig gut beleumundeten Park gibt es jetzt also gratis Tee und Kaffee und Musik und Drachensteigen und Erzählstunden und Tischtennisturniere und Workshops, Workshops, Workshops. Das betonte Coworking, der „kollektive Prozess“ auf allen Ebenen, nervt zugegebenermaßen ein wenig, aber scheint wie bei der bunten Kulissenarchitektur zu funktionieren, die ebenfalls über Monate hinweg vom britischen Künstlerduo Morag Myerscough und Luke Morgan mit 100 Grazern erarbeitet wurde.

Als nächtliches Zentrum mit Pop-up-Club und nachbarschaftlichem Zimmerpflanzenurwald (zusammengesammelt vom Künstlerkollektiv Mamaza) wurde das nahe Orpheum ausgewählt. Das Kunstzentrum der „Arrival Zone“ ist aber der Kunstverein Rotor mit der (natürlich kollektiv kuratierten) Ausstellung „New Graz“, in der Künstler sich die Lebensbedingungen einzelner Grazer Migrantenszenen vorgenommen haben. Die in Berlin lebende Salzburgerin Moira Zoitl etwa filmte in einem afrikanischen Friseursalon. Der in Wien aufgewachsene Chinese Jun Yang machte aus der Grazer Chinarestaurant-Szene eine grandiose narrative Wandtapete, deren irritierend asiatisch anmutende Graz-Sujets von Murinsel bis Schlossberg er von einem Tuschmaler in China anfertigen ließ. Kurze Texte dazu liefern die Bilderbuch-Fakten: So sind von 1400 Chinarestaurants in Österreich ganze 50 in Graz beheimatet. Man erfährt die Namen der ersten Betreiber – inklusive die Geschichte derer des japanischen Lokals genau gegenüber vom Rotor, die natürlich auch aus China stammen.

„Verschiebung kultureller Kartografien“ eben, so der Untertitel des Steirischen Herbsts, den man leichter lieben kann als das in seiner Strahlkraft auch politisch mittlerweile zweifelhaft gewordene Motto. Wir sind im Grazer Kunsthaus angelangt, die Schwelle des Annenviertels zur Innenstadt. Hier ist die Hauptausstellung zu finden, „Body Luggage“, also das Gepäck, das wir am Körper tragen, was von der indischen Kuratorin Zasha Colah wörtlich gemeint ist: Nämlich unsere Bewegungen und Gesten, die wir wohl nie loswerden bzw. abgenommen bekommen. Tanz ist hier das Stichwort, das uns auch an der Stange hält, vorbei an einigen Paradebeispielen dafür, dass manche (westlichen) Künstler zurzeit alles an den Haaren herbeiziehen, was nur irgendwie mit Flüchtlingen und Betroffenheit zu tun hat.

Wer kennt Hilde Holger?

Es sind die stilleren, historischen, aus der eigenen Kultur heraus erzählten Geschichten der „Migration der Gesten“, die einen bannen: Wer etwa kennt schon die Wiener Tänzerin Hilde Holger, deren Geschichte die Kuratorin für uns recherchiert hat? Holger, die vor den Nazis 1938 nach Indien floh, wurde dort zur (heute vergessenen) Pionierin des modernen Tanzes. Aus dieser Zeit speist sich auch das Video von Simon Wachsmuth, der eine Tänzerin mit Familienerbstücken aus der Zeit der NS-Vertreibung agieren lässt, mit einem Kleid aus Shanghai, einem Teeservice. Das ist nicht der einzige, aber ein sehr guter (Anknüpfungs-)Punkt, um das Rollband in den zweiten Stock des Kunsthauses zu nehmen, wo eine fantastische, konzentrierte Ausstellung von Kurator Peter Pakesch die Keramiken von Ai Weiwei und Edmund de Waal nicht nur zusammenführt, sondern sie auch in eine von den beiden Künstlern eigens zusammengestellte Kulturgeschichte der Keramik einbettet. Ein ephemerer Vitrinenparcours, die perfekte Vertiefung zu den großen Wien-Auftritten der beiden Stars, Ais noch bis 20. November laufendem im 21er-Haus, de Waals nächste Woche anlaufendem im KHM.

Es ist aber auch großes Kino, wenn sich im Grazer Kunsthaus so völlig unbeabsichtigt, zufällig beglückend, zwei Ausstellungen zu einer These fügen, sich die direkten Ausdrucksmöglichkeiten Keramik und Performance, also Ton und Tanz, miteinander verzahnen. Es sind kulturelle Urformen, die alles Menschliche verbinden. So zieht sich in Graz das zumindest subkutane Netz der Gewissheit, dass wir es schaffen könnten, tatsächlich ein wenig wärmender um unsere ideologisch fröstelnden Seelchen. Derlei haben wir nötig.

Der Steirische Herbst läuft noch bis 16. 10., die Ausstellungen länger, alle Infos unter www.steirischerherbst.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2016)

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