KHM: Willkommen in der Unterwelt!

PRESSEF�HRUNG ZUR AUSSTELLUNG ´DURING THE NIGHT´ IM KUNSTHISTORISCHEN MUSEUM IN WIEN
PRESSEF�HRUNG ZUR AUSSTELLUNG ´DURING THE NIGHT´ IM KUNSTHISTORISCHEN MUSEUM IN WIEN(c) APA/GEORG HOCHMUTH
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Der britische Keramikkünstler und Autor Edmund de Waal hat für das Kunsthistorische Museum ein wohldurchdachtes Gruselkabinett gestaltet. Wundersame Objekte erzählen von alten Ängsten und genauso alten Versuchen, sie zu bannen.

Nichts weniger als der Untergang. Nichts Geringeres als die Apokalypse! Als Albrecht Dürer in einer Nacht des Jahres 1525 von einem Albtraum hochschreckte, stand ihm das Bild klar vor Augen: Der Himmel hatte seine Schleusen geöffnet, Massen von Wasser fielen herab, bald, ja bald würde die Erde untergehen, im wahrsten Sinne des Wortes. Er zitterte, wusste nicht mehr, was Traum war und was Realität. Am nächsten Morgen, den Schreck noch in den Gliedern, schrieb er seine Eindrücke nieder und malte ein so zartes wie beklemmendes Aquarell, das selten zu sehen ist, denn Aquarelle sind heikel: Jeder Lichtstrahl lässt ihre Farben verblassen.

Dieses kostbare Bild aus Dürers Kunstbuch hat es Edmund de Waal angetan, dem britischen Keramikkünstler und Autor des berühmten „Hasen mit den Bernsteinaugen“. Er war vom Kunsthistorischen Museum gebeten worden, eine Ausstellung zu kuratieren – alles war möglich, fast alles erlaubt, es gab keine weitere Vorgabe als die, in einen Dialog mit den Sammlungen des Museums zu treten. Fast zu viel der Freiheit, möchte man meinen. Aber als de Waal Dürers „Traumgesicht“ sah, wusste er, wovon sie handeln sollte, seine Schau: von Angst. Von der Angst vor Tod und Teufel, dem bösen Blick, dem Untergang. Und von noch etwas: von dem, was diese Angst bannen sollte.

Und das ist tatsächlich nicht weniger gruselig.

Alraunen, Haifischzähne

Da wären etwa die Alraunen, deren Wurzeln manchmal menschenähnliche Gestalt annehmen: Was hat man sich nicht alles von ihnen erzählt! Dass sie unter dem Galgen wachsen, genährt vom Blut und Sperma der Hingerichteten. Dass sie schreien, wenn man sie aus der Erde zieht, und dass ihr Schrei töten kann. Aber wenn man sie erst in seinen Besitz gebracht hatte, halfen sie gegen allen möglichen bösen Zauber. Zwei Pseudo-Alraunen – aus gewöhnlichem Holz gefertigt – zeigt de Waal in seinen Vitrinen: ein Kruzifix und eines mit einer Perlenkrone.

Viele Objekte der „During the Night“ betitelten Schau berichten von einer Welt, in der alles beseelt schien, alles eine Geschichte hatte: Die Korallen, die angeblich entstanden sind, als Perseus das Haupt der schlangenhaarigen Medusa auf Algen bettete. Haifischzähne wurden zu einem Tischaufsatz verarbeitet: In der Nähe vergifteter Speisen, versprach man sich, würden sie schwitzen und den Besitzer so warnen. Genau wie der Becher aus Bezoar: Das ist ein Klumpen aus unverdaulichem Material, der sich im Magen von Tieren findet. Wer aus einem Bezoar-Becher trank, war auf der sicheren Seite.

All diese kostbar gefassten Objekte sollten Wunderdinge vollbringen, uns schützen, heilen, erlösen. Und wirken heute selbst wie der Stoff, aus dem Albträume sind: Wie Boten aus einer Unterwelt, so wie sie da im Fastdunkel in den Vitrinen lagern. Weil sie uns an alte Ängste erinnern? Oder weil die Ängste gar nie alt sind, sondern stets neu?

Nicht immer liegt das Unheimliche, von dem Edmund de Waal uns in seiner 55 Objekte aus sieben Sammlungen umfassenden Schau erzählt, gleich offen zu Tage. Vor allem die Gemälde, die er gefunden hat, wirken auf den ersten Blick erstaunlich harmlos: Den drohenden Schatten hinter Cranachs Schöner entdeckt man erst auf den zweiten oder dritten Blick. Saverys „Landschaft mit Tieren“ wirkt geradezu paradiesisch: Da lagert der Gepard friedlich neben der Antilope, der Schimmel scheint mit dem Löwen zu spielen. Doch im Hintergrund sieht man Orpheus, verfolgt von den Thrakerinnen, die ihn zerreißen werden. Oder eine „Allegorie der Tugend“: Da muss man schon de Waals Text dazu lesen, um zu erfahren, was uns dann beklemmt: Der Weg zur Tugend ist steil, ein Mann fällt die Klippen hinunter.

Überhaupt sind die Kommentare de Waals ein weiterer Grund, sich die Ausstellung anzusehen. Noch einer: Die edel-düstere Vitrine mit grauen Bechern, Scherben, Blei, die der Keramiker als Kommentar zur Schau gestaltet hat. Und wer noch einen allerletzten Grund braucht: Auch der Hase mit den Bernsteinaugen, das Netsuke, das dem Buch de Waals den Titel lieh und ihm in der Zeit, als er auf den Spuren seiner Familie unter anderem in Wien forschte, als Talisman diente, ist zu sehen. Nicht in der Schau selbst, sondern davor. So bewache er die Ausstellung. Dinge, sagt Edmund de Waal, haben Macht.

Und man glaubt ihm.

Edmund de Waal: „During the Night“, bis 29. Jänner. Di bis So 10 bis 18 Uhr, Do bis 21 Uhr (www.khm.at)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.10.2016)

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