Albertina: Wiener Farbholzschnitt - endlich in Wien

(c) Albertina, Wien
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Was in der Frankfurter Schirn und vom Taschen-Verlag opulent gefeiert worden ist, ist nun in Wien angekommen - der Wiener Farbholzschnitt um 1900. Und zu Hause schaut er auch fast wieder wie Aschenputtel aus.

Kunst für alle!“, hieß die große Sommerausstellung der Frankfurter Schirn Kunsthalle. Gefeiert wurde eine überraschende Wiederauferstehung, eine Wiederentdeckung: Der Wiener Farbholzschnitt um 1900 sollte hier neben dem japanischen Farbholzschnitt und dem der deutschen Expressionisten als dritte Größe in diesem Genre etabliert werden, das sowieso bisher nicht durch großen Glamour glänzte. Dazu sind wir Europäer viel zu hörig dem genialischen Original, dem Einzelstück, der Malerei – bunte, alte Drucke? Flohmarkt!

Außer natürlich, es stünden die Initialen von Klimt, Schiele oder Kokoschka darauf. Doch dieses alles überstrahlende Dreiergestirn hat man in der von einem Theaterregisseur dramatisch inszenierten Frankfurter Schau genauso wenig finden können, wie man sie in dem gewichtigen Taschen-Prachtband, den Kurator Tobias Natter parallel zur Schirn-Ausstellung herausgegeben hat, findet – oder jetzt, bei der dritten Schuhprobe dieses Aschenputtel-Themas, in der Albertina. In Frankfurt ging die Verzauberung durch opulente, dramatische Inszenierung auf. In den beschaulichen Tietze-Galerieräumlichkeiten im zweiten Stock der Albertina ist das Märchen wieder zu Ende. Und in der kunsthistorischen Realität angekommen.

Hübsche, kleine Lügen

Die Anzahl der Exponate ist im Vergleich zu Frankfurt fast um die Hälfte geschrumpft, von 170 auf 100, auch der Titel wurde entzaubert, die Ausstellung heißt nicht mehr „Kunst für alle!“ oder noch schöner „Art for All“ wie Natters Taschen-Buch, sondern ganz prosaisch „Wiener Farbholzschnitt um 1900“. War sowieso eine hübsche, kleine Lüge, denn für jedermann war der Farbholzschnitt rund um Wiener Werkstätte und Secession sowieso nur theoretisch gedacht, wie der ganze Anspruch damals, mit Kunst den Alltag zu durchdringen, eine nahezu frivole Anmaßung war – die Preise von Bildern, Objekten, Ausstattungen der Wiener Secessionisten waren exorbitant.

Auch die Wiener Farbholzschnitte dieser Zeit wurden nicht in Tausender- oder Hunderter-Auflagen unters Volk geschmissen (eine Ausnahme ist der kirschenpickende Pfau von Carl Moser, der 500-mal gedruckt wurde). Vorwiegend wurden die Tier- und Genreszenen und Stadtansichten nur in geringer Zahl gedruckt, sie waren Bildersatz für das reiche Bürgertum, das sich etwa eine Reform-Wohnungsausstattung geleistet hatte, wie man auf alten Fotos sieht. Manchmal war die Auflage so gering, dass sich nur ein Exemplar erhalten hat, so geschehen bei einem für den Schönbrunner Tiermaler Ludwig Heinrich Jungnickel völlig überraschenden Sujet des einsamen Tennisspielers, der da 1905/06 lässig wie Hofreiter aus Schnitzlers „Weitem Land“ vor einem steht, nur fünf, sechs Jahre vor seiner Erfindung. Das Blatt hat die Albertina-Ko-Kuratorin Eva Michel ziemlich zerzaust aus dem Depot geborgen, das sie in monatelanger Arbeit erstmals auf die Wiener Farbholzschnitt-Bestände durchforstet hat. Es sind nicht viel mehr als die 100 ausgestellten. Sie stammen alle von Männern. Womit wir bei der zweiten hübschen, kleinen Lüge sind, die uns Frankfurter Ausstellung und Taschen-Buch glauben machen wollen. Dort kommen nämlich erstaunlich viele Künstlerinnen vor, von denen man selbst in Wien praktisch nie gehört hat. Der Wiener Farbholzschnitt, liest man da, sei nämlich das Genre der Frauen gewesen, hier wären sie sogar führend gewesen, in einer Zeit, als sie sich erst langsam aus dem Gatter der angewandten Kunst, in dem sie von der Gesellschaft gehalten wurden (kein Akademie-Zutritt etc.), befreiten.

Wie aus der Zeit katapultiert

Es gibt tolle Beispiele für starke, experimentelle Farbholzschnitt-Künstlerinnen, Broncia Koller-Pinell etwa oder Fanny Zakucka, deren auf Flächen und Kuben und Primärfarben reduzierte Schönbrunn-Ansicht neben den in der Albertina ausgestellten traditionellen von Carl Moll wie aus der Zeit katapultiert erscheint. Von Zakucka aber findet sich in der Albertina nicht die Spur, auch nicht von den übrigen „wiederentdeckten“ Damen. Es war nämlich so: Sie dominierten auch damals nicht das Genre, wie man gern glauben würde, jedenfalls nicht in der öffentlichen Wahrnehmung. Sie wurden etwa von den Albertina-Kuratoren nicht als der Sammlung würdig angesehen, was gemeiner klingt, als es wohl war – sie schienen schlicht nicht so präsent, nicht so konsequent in ihrer Arbeit, ihrer Karriere wie die Malerstars, die eben auch Holzschnitte machten wie Josef Stoitzner, Maximilian Kurzweil oder Koloman Moser.

Also keine Ankäufe damals. Also keine Präsenz in der Albertina heute, die gerade bei dieser an sich schon kostengünstigen Ausstellung entschieden hat, sich ausschließlich auf die eigene Sammlung zu konzentrieren. Von der klaffenden Lücke in dieser Sammlung erzählen nur zwei aufgeschlagene Exemplare des „Ver Sacrum“, der Secessionisten-Zeitschrift, die gerade zwei wunderbare Holzschnitte von Nora Exner und Mileva Roller enthüllen.

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Bis 15. Jänner. Tägl. 10–18 Uhr, Mi 10–21 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.10.2016)

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