Bilder von Ungarns verlorener Revolution

Aufständische in Budapest 1956
Aufständische in Budapest 1956(c) Rolf Gillhausen - Westlicht
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Die Wiener Galerie Westlicht dokumentiert mit beeindruckenden Aufnahmen jene Tage im Jahr 1956, als das Volk des Nachbarlands sich gegen die kommunistische Herrschaft erhob – im Kontext mit neuen Bildern von Flüchtenden.

Sie waren die Starfotografen von Agenturen wie Magnum, von Illustrierten wie „Life“, „Time“, „Paris Match“ oder „Stern“, und sie waren zur Stelle, als es für kurze Zeit so schien, als ob die Ungarn sich von der Unterdrückung durch die Sowjetunion befreien konnten: Erich Lessing, David Hurn, Mario De Biasi, Rolf Gillhausen, Franz Goëss und viele andere Mutige fuhren nach Budapest, nach Györ, an die Grenze zu Österreich, nachdem Ende Oktober 1956 in Ungarns Hauptstadt eine große Studentendemonstration jene Schicksalstage eingeleitet hatte, die im Kampf um Unabhängigkeit Tausende Todesopfer forderten und die Hegemonie der UdSSR um 33 Jahre verlängerten.

Im Jahr zuvor hatte Österreich den Staatsvertrag erhalten, die Truppen der vier Besatzungsmächte waren abgezogen. Auch das ließ Reformkommunisten und Oppositionelle in Ungarn Hoffnung schöpfen, vor allem aber, dass nach dem Tod des Sowjet-Herrschers Stalin 1953 unter dessen Nachfolger, Chruschtschow, politisches Tauwetter begonnen hatte. Die Zeichen leichter Liberalisierung wurden in Budapest falsch gedeutet. Anfang November 1956 schlug das Imperium zurück. Der Freiheitskampf ging verloren, nach massivem Einsatz sowjetischer Panzer und Truppen der Roten Armee. Mehr als 180.000 Regimegegner flüchteten aus ihrem Land, die meisten über Österreich, das äußerst aufnahmebereit war. Die Brücke von Andau ist eines der positiven Symbole aus dieser dunklen Zeit des Kalten Krieges.

Meisterhafte Vintage-Prints

Der freundliche Empfang der Flüchtlinge im Nachbarland wird in der von Rebekka Reuter und Fabian Knierim kuratierten Schau „Bilder einer Revolution“, die im Fotomuseum der Galerie Westlicht unter dem Titel „Ungarn 56“ zu sehen ist, ebenfalls breit dokumentiert. Man stellt sie in Kontext zur Massenflucht, die 59 Jahre später erfolgt ist – große, intensive Farbbilder, einige in Plakatgröße, von jenen Menschen, die harten Zeiten im Nahen Osten oder in Afrika entkommen sind: Sie stehen an Grenzzäunen oder sind bereits in Sicherheit, in Notlagern in Wien oder noch zuvor in Nickelsdorf in einer Erstaufnahmestelle. Entbehrung, Sorge und Erleichterung zeichnen sich in diesen Gesichtern simultan ab. Die Aufnahmen von 1956 aber sind zum Großteil wesentlich härter, sie offenbaren all die Brutalität, die vor allem in den Straßen von Budapest geherrscht hat. Es könnte sogar sein, dass auch einige diese Bilder Moskaus Reaktion beeinflusst haben.

Lynchjustiz in den Straßen Budapests

Diese reichhaltige, in den erklärenden Texten bestens dokumentierte und multimedial ergänzte Ausstellung zeigt meisterhafte Vintage Prints von 1956, viele im Großformat, die kein Detail ersparen. Geschundene, Massakrierte, Zerschmetterte, mit Kalk bedeckte Leichen, zerstörte Panzer, selbst die Grausamkeit von Lynchjustiz wird gezeigt, vor allem aber heroische Entschlossenheit. Dominant sind Fahnen, hoffnungsvoll und stolz geschwungene, viele, denen die kommunistischen Zeichen herausgeschnitten worden waren, sodass nur noch die Farben des Landes übrig geblieben sind, brennende Flaggen auch und gestürzte Denkmäler.

Ikonen der Fotografie des 20. Jahrhunderts sind unter den Aufnahmen, etwa jene von Erich Lessing mit Revolutionären, die Bilder des stalinistischen KP-Chefs Mátyás Rákosi anzünden, oder jene von David Hurn, die einen verwegenen Mann mit Holzbein zeigt – János Mesz, der die Kämpfenden in der Corvin-Passage in Budapest anführte. Ein Foto von Rolf Gillhausen aber bringt die Geschichte von 1956 auf den Punkt. Es zeigt den lädierten Kopf des zerstörten großen Stalin-Denkmals. Kommunismus kaputt.

Bis 11. November in der Galerie Westlicht: Di, Mi, Fr: 14–19 Uhr, Do: 14–21 Uhr, Sa, So, Feiertag: 11–19 Uhr, Wien, Westbahnstraße 40. Das Buch zur Ausstellung: „Ungarn 1956“ mit Bildern von Erich Lessing und Texten von Michael Gehler, Tyrolia, 2015, 272 Seiten, 34,95 Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.10.2016)

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