Hofratstochter? Lieber Hexe!

Jüdisches Museum
Jüdisches Museum(c) Jüdisches Museum
  • Drucken

Viele jüdische Künstlerinnen in Wien vor 1938 sind zu Unrecht vergessen, zeigt das Jüdische Museum in einer Schau.

Der Architekt Adolf Loos ist nicht nur für seine Vorliebe für sehr junge Mädchen bekannt, sondern auch für verächtliche Bemerkungen über weibliche Künstler. Er spottete über „dilettantische Hofratstöchter“ und meinte: „Neunzig Prozent der ,Künstlerinnen‘ nennen sich so, weil sie batiken können . . . Typewriten und Maniküren sind viel nützlichere Beschäftigungen.“ Wenn letzteres Zitat einen groß beim Aufgang zur neuen Ausstellung des Jüdischen Museums empfängt, dann insofern zu Recht, als es typisch für die zwar allem Möglichen, aber nicht unbedingt weiblicher Kunst aufgeschlossene Männerkunstszene am Anfang der Moderne in Wien ist.

Freilich ist das eigentlich kein genuin jüdisches Thema, Künstlerinnen jeder Herkunft waren zu dieser Zeit davon betroffen. Wie man in der Schau „Die bessere Hälfte. Jüdische Künstlerinnen bis 1938“ erfährt, konnten Frauen erst ab 1920 die Kunstakademien besuchen, sie mussten eigene Künstlervereinigungen bilden, weil die bestehenden um die Jahrhundertwende keine Frauen duldeten, und sie bekamen so gut wie keine öffentlichen Aufträge. Diese Geschichte der Künstlerinnen vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Zweiten Weltkrieg in Österreich wäre Stoff für eine große, weit ausgreifende Ausstellung. Doch in der kleinteiligen Wiener Museumslandschaft macht jeder „sein Ding“ – und das Jüdische Museum also eine Schau ausschließlich zu den jüdischen Künstlerinnen. Dass so viele von ihnen nach dem Krieg in Vergessenheit gerieten, hatte freilich seinen Grund nur zum Teil in Flucht und Ermordung, zum Teil auch in anderen Faktoren, die für weibliche Künstler jeder Herkunft galten.

Bild statt Kind im Wagerl

Einmal abgesehen aber von der Frage nach dem Erkenntnisgewinn einer Verengung auf das Jüdische: Als Begegnung mit 44 nur zum kleineren Teil noch bekannten Künstlerinnen ist die Ausstellung gelungen. In sinniger, von Spiegeln beherrschter Optik gewinnt man einen ersten Eindruck von so unterschiedlichen in Wien wirkenden Pionierinnen wie etwa Tina Blau und Teresa Feodorowna Ries, die zu den ersten Frauen gehörten, die die Kunst zum Beruf machten.

Die eine entwickelte als einzige weibliche Beteiligte den österreichischen Stimmungsimpressionismus mit; ein Foto zeigt die bescheidene Dame, ein Bild im kinderwagenähnlichen Handwagen schiebend, auf dem Weg zu ihrer Malarbeit im Prater. Die andere, eine Generation jünger und Selbstbewusstsein ausstrahlend, sieht man auf einem Bild stolz im Malerkittel. Daneben in der Schau zu sehen: ihre Skandalskulptur „Hexe bei der Toilette für die Walpurgisnacht“ von 1895. Und in einer Hinsicht ergibt der jüdische Fokus dann doch wieder Sinn: Die meisten hier vorgestellten Künstlerinnen entstammen dem assimilierten jüdischen Großbürgertum – an dessen kulturelle Leistungen hier einmal mehr erinnert wird.

Bis 1. 5. 2017, Dorotheergasse 11., So–Do 10–18 Uhr, Fr 10–14.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.