„Golem“: Leben, durch die Schrift erschaffen

(C) Jüdisches Museum Berlin/ Joshua Abarbanel
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Von den drei Buchstaben, die eine Figur aus Lehm beleben, bis zu den vier Buchstaben der DNA: Die Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin, behandelt einen alten jüdischen Mythos, der bis heute kulturell fruchtbar ist.

Wie kommt eine Baseballmütze mit der Aufschrift „Make America Great Again“ in eine Ausstellung über den Golem, diese Kreatur der jüdischen Mystik? Über einen kanadischen Journalisten: „Wie der Golem scheint Trump mit jeder wahnwitzigen Rede an Macht zu gewinnen“, sagte er auf CBC: „Und wie der Golem droht er, seine Schöpfer zu zerstören, sollte man versuchen, die magischen, ihm Leben schenkenden Buchstaben von seiner Stirn zu entfernen.“

Der Vergleich mag weit hergeholt wirken, aber er zeigt, wie tief das Motiv dieses Mythos in unserer Kultur (zu der Trump irgendwie doch auch dazugehört) sitzt: Die Schrift ist mächtig, mächtiger noch als das Wort. Schreiben ist schöpferisch. Am Anfang war die Schrift. „Heute lernen wir die Sprache, in der Gott Leben erschaffen hat“, sagte Bill Clinton im Juni 2000 bei der Präsentation des menschlichen Genoms; und das Feuilleton der „FAZ“ druckte sechs Seiten lang unter dem Titel „Das Buch des Lebens“ eine Sequenz aus den vier Buchstaben A, C, G und T, die für die Basen der DNA stehen.

Das Gen-Pathos ist inzwischen nicht nur der „FAZ“ abhandengekommen, der Mythos Golem ist geblieben. Seine wohl bekannteste Form lautet: Im Jahr 5240 nach Erschaffung der Welt, also 1580 n. Chr., bildete der Prager Rabbiner Judah Löw mit zwei Gehilfen aus feuchtem Lehm eine Figur mit menschlichen Zügen. Sie umschritten sie siebenmal, dann sprachen sie den Satz aus der Genesis: „Gott blies ihm den Odem des Lebens in die Nase, und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen.“ Da öffneten sich die Augen des Golems.

Es gibt viele Varianten dieser Legende, in allen wird der Golem über Schriftzeichen gesteuert: über einen Zettel im Mund oder über ein Siegel, auf dem der Name Gottes oder – in einer anderen Version – das hebräische Wort für Wahrheit (Emet) steht. Entfernt man den ersten der drei Buchstaben, bleibt das Wort für Tod (Met), und der Golem ist deaktiviert.

Die Idee, dass Gott die Welt aus Buchstaben geschaffen hat, ist zentral in der jüdischen Mystik, der Kabbala: Wer beim Schreiben der Tora nur einen Buchstaben auslässt oder einen Buchstaben zu viel schreibt, zerstöre die ganze Welt, heißt es in einer Erzählung des Rabbi Meir aus dem zweiten Jahrhundert. Somit sei Hebräisch „buchstäblich die Matrix-Sprache“, schreiben die Ausstellungskuratoren im Text zum Golem von Joshua Abarbanel. Da liegt er auf dem Boden des Museums, das Aleph um den Hals, in seiner hölzernen Wucht, man meint zu spüren, dass er genau jetzt erwachen könnte.

Der Untam in Paul Wegeners Filmen

Dabei wissen wir doch, dass der Golem ganz anders aussieht! Wie Paul Wegener nämlich, der ihn 1920 zum ersten Mal im Film gespielt hat, mit Helmfrisur und winzigen Pupillen, als ungelenken Untam, eher täppisch als fürchterlich. Ähnlich hat ihn schon Fritz Aschers ebenfalls höchst expressionistisches Gemälde „Der Golem“ 1916 gezeigt. Kann er auch eine Frau sein, eine Eva aus Lehm sozusagen, wie Annie Lennox, die in Amos Gitais Film „Naissance d'un Golem“ zu indischer Musik aus der Erde wächst?

Für Niki de Saint Phalle war er eine Urmutter, eine Fruchtbarkeitsgöttin: Auf ihrer Plastik im Rabinovich-Park in Jerusalem rutschen und spielen die Kinder, wie sie mit (viel kleineren) Golem-Pokemons und -Bionicles spielen, die in der Ausstellung, ganz in ethnologischer Manier, mit „China, 21. Jahrhundert“ beschriftet sind. Hanno Loewy, Direktor des Jüdischen Museums in Hohenems, kommentiert fürs Schwestermuseum eine kleine Garde solcher Actionfiguren: „Ob Superman auch einen Zettel in seiner Brust trägt, auf dem das hebräische Wort Emet steht?“

Golem kann im Hebräischen auch Embryo bedeuten, oder Larve, ein Wesen in der Entstehung. In „Crisálidas“ von Jorge Gil hängen Stofffiguren von der Decke, die aussehen wie Schmetterlingspuppen, nur mit menschlichen Gesichtern: Chimären aus dem gentechnischen Gruselkabinett, auch sie ein Ergebnis mutwillig veränderter Buchstaben?

Die Wirkmächtigkeit von Zeichen beschwört dann auch die verstörendste Arbeit der so klugen wie reichhaltigen Schau: „The Golem“ aus der Serie „Symbols“ von Michael David ist eine Swastika, also ein Hakenkreuz, aus schmutzigem, bemoostem Stein. Möge niemand je wieder dieses Zeichen beleben.

ZUM ORT

Das Jüdische Museum Berlin (Kreuzberg, Lindenstraße 9-14) besteht aus dem 1735 gebauten Kollegienhaus und dem 1999 eröffneten, zickzackförmigen Neubau von Daniel Libeskind, der sich durch viele spitze Winkel und leere Räume (Voids) auszeichnet. „Golem“ läuft noch bis 29. 1. 2017. Sehr empfehlenswert ist auch die Dauerausstellung über zwei Jahrtausende deutsch-jüdischer Geschichte. Geöffnet täglich von 10 bis 20 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.11.2016)

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