Pingpong spielen gegen die politische Realität

Július Koller, Object Self-Portrait, 1970
Július Koller, Object Self-Portrait, 1970(c) Mumok - The art collection of Erste Group and ERSTE Foundation
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Voraussichtlich die Ausstellung des Jahres: Die erste umfassende Schau über Julius Koller, einen der wichtigsten Konzeptkünstler Europas, führt in eine utopische Gegenwelt zur Politik. Die für jeden zugänglich sein sollte.

Vier Tischtennistische stehen in der großen Halle des Museums moderner Kunst, verwandeln sie in eine Sporthalle für engagierte Utopisten. Für Menschen, wie der slowakische Konzeptkünstler Julius Koller (1939–2007) einer war. Das schreibt sich so leicht. Das versteht man sogar leicht: Das Tischtennisspiel mit seinen klaren Regeln und seinem kommunikativen, menschlichen Maß war für Koller nicht nur Symbol, sondern auch Praxis. 1970 stellte er erstmals in einer Galerie in Bratislava einen Tischtennistisch auf. Damit die von der Niederschlagung des Prager Frühlings geschockten, vom erstarkten konservativen Kommunismus vieler Freiheiten beraubten Menschen hier wieder Fairplay üben konnten. Damit sie wieder miteinander spielten, miteinander sprachen.

Das war damals nicht leicht, und ist es heute, fast ein halbes Jahrhundert danach, wieder nicht. Wer wird sich diesmal zusammenfinden an den zwei bespielbaren Tischen im Mumok? Im „J. K. Ping-Pong-Club“? Vor, aber auch nach der Bundespräsidentenwahl? Zwei weitere Tischtennistische sind nur über Hindernisse bespielbar. Auf einem ersetzen Stapel von Zeitungen das Netz (die Medien!). Ein anderer ist durch rot-weiß-rotes Absperrband kreuz und quer verspannt; ziemlich national verspannt, denkt man. Wobei das Zufall ist, spielte Koller doch mit der Verwendung des klassischen Absperrbands auf die Farben der Tschechoslowakei an (blau war die Tischplatte).

Was hier so leicht und verspielt daherkommt, ist der Auftakt zum immens vielschichtigen Werk eines der wichtigsten Konzeptkünstler Europas, nicht nur hinter dem Eisernen Vorhang, wo, wie man ungern eingesteht, die allgemeinen Entwicklungen des Westens nicht nur mitgemacht, sondern manchmal auch überholt wurde. Gemeinsam mit dem ebenfalls bereits verstorbenen Stano Filko ist Koller die herausragende Avantgarde-Künstlerfigur der Slowakei. Die große Leistung des Kuratorendreigespanns, Kathrin Rhomberg, Georg Schöllhammer und Daniel Grúň, ist es, dieser Rolle Kollers in einer ersten umfassenden Ausstellung nicht nur Rechnung zu tragen, sondern das in Hunderten Sackerln und Paketen in einer kleinen Bratislaver Wohnung gehortete Werk zugänglich zu machen. 150.000 Objekte! Alle von Daniel Grúň erfasst und aufgearbeitet. Die Dias und Fotos nicht mitgerechnet. Natürlich ist das alles nicht ganz neu, kannte man Koller doch immer schon auch im Westen, spätestens seit den 1990er-Jahren. Man kennt die einprägsame, an der Pop-Art orientierte Zeichensprache seiner konsequent konstruierten Gegenwelt eines möglichen Zusammenlebens, eines humanen Sozialismus, die über die Sprachbarriere hinaus klar lesbar war: Der statt der Faust hochgestreckte Pingpong-Schläger, das fette, weiße Fragezeichen, das er überall aufmalte oder druckte, die überall in mutierender Bedeutung auftauchende Abkürzung U.F.O., seine aus dem Sci-Fi-Zeitgeist entlehnte Selbstbezeichnung als „U.F.O.naut“.

Jeden Tag 30 Zeitungen

Noch nie aber konnte man bisher die ganze Bandbreite von Kollers utopischer Widerstandshaltung erkennen. Er wollte nicht nur das Leben, sondern auch die Avantgardekunst in seiner Heimat trotz Repressionen und Zensur positiv gestalten, neue „kulturelle Situationen“ schaffen. Zudem arbeitete er sich an seiner Gegenwart, am täglich Erlebten ab. Jeden Tag stand er auf, kaufte sich um die 30 Zeitungen, ging nach Hause, leerte sein Postfach und begann alles miteinander zu verarbeiten, zu kommentieren, auszuschneiden, zu collagieren, zu ordnen, zu sammeln. Diesen Archivalien ist etwa ein Drittel der Schau gewidmet, Grandioses findet man hier, etwa ein Papiersackerl mit Coco-Cola-Werbung, das er 1969 aus Wien mitgebracht hat, wie er auf dem Blatt vermerkte, auf das er es fein säuberlich, in bester Warhol'scher Manier, als eigenständiges Kunstwerk aufgeklebt hatte.

Zu den Routinen, die er den Routinen des politisch korrumpierten institutionellen Kunstbetriebs seines Landes entgegensetzte, gehörte auch, jedes Jahr ein Selbstporträt fotografieren zu lassen, nur eines jeweils, ab 1970, das seine Biografie und künstlerische Entwicklung äußerst humorvoll kommentierte. Im Jahr des Mauerfalls, 1989, hält er sich den legendären Kunstkatalog „Westkunst“ vors Gesicht. In den nächsten erscheinen wieder die Fragezeichen auf seiner Stirn etc. – wird die „Ostkunst“ je dazugehören? Eine andere Routine war die Balkon-Galerie, sein einziger Ausstellungsort in der kommunistischen CSSR: Seine Frau fotografierte ihn, wie er dort seine Werke stolz in die Kamera hielt. Auch seine Malerei übrigens, was wieder zu einer Routine führt: Denn er gab nie auf, was er gelernt hatte an der Kunstakademie, realistische Malerei, er empfand es, so die Kuratoren, wie eine Art Pflicht, dem Staat, der seine Ausbildung finanziert hatte, etwas zurückzugeben.

Mit den Erlösen daraus aber finanzierte er auch seine Antihaltung. Eine von vielen Ambivalenzen, die man hierzulande schwer deuten kann, ist man doch bei Urteilen über Künstler an Schwarz-Weiß-Muster gewöhnt – radikale Verweigerung und Affirmation. Koller versuchte es subtiler – etwa bei seiner Arbeit mit Amateuren. Jahrzehntelang organisierte er Sommercamps, wo er einerseits verdiente, andererseits Zugang zu den Leuten bekam, ihnen seine Kunst, seinen Zugang vermitteln konnte. Die Ausstellung zeigt die vielen Kataloge, die vielen Fotos von gemeinsamen Aktionen. Zugänglich zu bleiben war Koller wichtig, das macht seine Arbeit auch so grenzenlos sympathisch, jederzeit kann man in philosophische und theoretische Tiefen abtauchen. Aber immer kann man auch zum Beispiel die rote Fahne lesen, auf der das beidseitig aufgemalte weiße Fragezeichen durch den Durchdruck das achterförmige Ewigkeitssymbol ergibt.

So weit man sehen kann, muss Julius Koller also neu bewertet werden. Und ist die Ausstellung des Jahres gefunden.

Bis 17. April. Am 1. Dezember wird der donnerstags stattfindende, offene Ping-Pong-Club um 18.30 unter Moderation von Dirk Stermann eröffnet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2016)

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