Das ist (nicht) Amerika

Für immer Punk? Zeichnung von Raymond Pettibon, 2015.
Für immer Punk? Zeichnung von Raymond Pettibon, 2015.(c) Museum der Moderne
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„Homo americanus“, ein Pandämonium von Baseball über Bibel bis Bodenkrieg: Das Museum der Moderne in Salzburg zeigt Werke des US-Zeichners Raymond Pettibon.

Der hässliche, reaktionäre Flächenstaatenamerikaner, der „American Idiot“, wie ihn die US-Punkband Green Day genannt hat, ist derzeit vielleicht das liebste Phantombild der liberalen Intellektuellen in Europa und Amerika. Dazu scheint die Ausstellung „Homo americanus“ gut zu passen, die das Salzburger Museum der Moderne – in Kooperation mit den Hamburger Deichtorhallen – dem Zeichner Raymond Pettibon widmet. Tatsächlich wurde er, geboren 1957 in Tucson, Arizona, im Gefolge von Bands wie Black Flag bekannt, im Zuge jener amerikanischen Punkbewegung, die in den späten Achtzigerjahren unter dem Signet Hardcore firmierte, ernster, wütender, rauer als der großstädtische Punk der Siebzigerjahre, politisch individualistisch und doch irgendwie links, am ehesten anarchistisch.

Wie ein selbstironischer Rückblick auf diese Jugendtage wirkt das 2015 entstandene Bild, das der Ausstellung den Namen gegeben hat: Es zeigt einen muskulösen Bassisten mit imposanter Irokesenfrisur („Mohawk“ nennt man sie auf Englisch), wer genau hinschaut, könnte in der Griffhand etwas Phallisches erkennen. Die Beschriftung ist für Pettibon minimalistisch: Der Homo americanus, das ist hier kein Redneck, kein verhasster Provinzler, sondern ein Punk. Ecce homo, auch der vermeintliche Außenseiter ist konstitutiver Repräsentant Amerikas, könnte uns Pettibon damit sagen.

„Jim Morrison, I hate you“

Doch eine solche treuherzig affirmative Aussage wäre zu schlicht, zu einsichtig für diesen Feuer- bis Wirrkopf, dessen amerikanische Szenarien keine aufklärerischen Karikaturen sind, sondern Albträume einer verletzlichen, verletzten Seele. „My soul, as far as I understand it“, steht auf einer Zeichnung, die wilde schwarze Schraffur auf blauem Grund zeigt. Auf einer anderen sieht man ein abstürzendes, brennendes Flugzeug: „Even dying she is beautiful“, lautet der Text.

Schon 2006 hat die Wiener Kunsthalle eine Pettibon-Retrospektive gezeigt, sie wirkte schneller, kleinteiliger, ja: punkiger als die Salzburger Schau – die dafür versucht, Pettibons Werk zu ordnen, in Motive wie Baseball, Eisenbahnen, Surfer, Bibel, Erektionen zu gruppieren, was erstaunlich gut funktioniert, weil es die Obsessionen des Künstlers bündelt. Etwa, unter dem Stichwort Woodstock die für den Punk typische Antipathie gegen das Hippietum. „Go back to your crib, you bastard, Jim Morrison, I hate you“, sagt da etwa eine Mutter zu ihrem hässlichen Baby. Netter, aber auch böse ist das Bild, das vier Sixties-Typen zeigt, einen davon mit Bob-Dylan-Wuschelkopf, darunter steht: „Even ,Yellow Submarine‘ is poetry, and ,Desolation Row‘ and ,Whiter Shade of Pale‘ are serious poetry.“ Unterschrift: „Berkeley Undergrad.“

Spott und Hohn, Scham, Schmach und Schande sind hier überall; in Pettibons frühen, formal sauberen, noch Comicstrips gleichenden Zeichnungen münden sie in jähen, oft absurden Pointen; in den wilden, grellen Tableaus zum Thema Krieg, die er vor allem seit dem Zweiten Golfkrieg malt, spritzen sie wie das Blut aus den Körpern. Im wuchernden Text zu einem dieser höllischen Bilder geht's um Oralsex, um die Clintons (die Pettibon besonders zu verachten scheint), um Julie Nixon Eisenhower und um den Erlöser. Dieser scheint auf dem Boden zu liegen, ermordet, doch einer der Soldaten über ihm trägt selbst eine Dornenkrone . . .

Spätestens angesichts solcher Häupter voll Blut und Wunden, solcher Krüppelreigen und Bombenteppiche spürt man echtes Grauen, man geht zurück und bleibt vor einer Zeichnung stehen, die einen schwarzen Dornbusch zeigt. Auf ihr steht: „By now the bush has burnt itself out.“ Keine Offenbarungen mehr. Was für ein dunkles Amerika, was für eine dunkle Welt.

Museum der Moderne: Mönchsberg 32, bis 12. Februar.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.11.2016)

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